„Ich geh jetzt auf die Brücke – das letzte Mal.“ Der Anruf seines lebensmüden Bruders reißt den Modefotografen Anno aus seinem unbeschwerten Yuppie-Dasein. Julian hat schon mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen, doch dieses Mal scheint die Lage ernster als sonst. Also holt ihn Anno nach München, er lockt ihn mit seinen Leidenschaften: dem Fliegen und den Frauen. „Ich zeig dir, wie schön das Leben sein kann“, verspricht er Julian, der nur die eiserne Disziplin seines Vaters kennt und der mit Ende 20 noch keine Frau geküsst hat. Der zeigt sich auch bald begeistert von dem lockeren Leben seines Bruders und von der verschlossenen Schönen Laura, auf die auch Anno ein Auge geworfen hat.
„Das letzte Stück Himmel“ bleibt nicht in der Leichtigkeit des Seins hängen. Versucht auch der Bruder Leichtfuß die Probleme seines Bruders wegzutherapieren, die seelischen Konflikte lassen sich nicht aus den Kleidern schütteln. Julian ist autistisch veranlagt. Seine krebskranke Mutter ist in seinen Armen gestorben, als er vier Jahre alt war, von seinem Vater wurde er geschlagen, von seinem größeren Bruder verlassen. Auch Laura, das Objekt des brüderlichen Begehrens, hat ihr Päckchen zu tragen. Nur beim Segelfliegen ist sie mit sich und der Welt im Einklang. Obwohl das Leben dem Trio einiges abverlangt, gelingt es, die Geschichte in einem Schwebezustand zwischen Hoffen und Bangen zu belassen. Die Inszenierung ist leicht und die Dramaturgie wirkt allen Zufällen und Unfällen zum Trotz unaufdringlich. Alles scheint sich wie von selbst zu erzählen. Das ist auch ein Verdienst der preisgekrönten Kamerafrau Judith Kaufmann („Vier Minuten“), die ein besonderes Faible für ambivalente Stimmungen besitzt.
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Es überrascht, dass der auf historische Stoffe abonnierte Jo Baier, der mit Filmen wie „Der Laden“, „Stauffenberg“ oder „Nicht alle waren Mörder“ bei Publikum wie Preis-Jurys gleichermaßen erfolgreich ist, sich an einer Gegenwartsstory versucht hat. Ungewöhnlich außerdem: die Handlung spielt unter Mittzwanzigern und besitzt etwas von jenen Coming-Of-Age-Plots, in denen Jungfilmer die wenige Jahre zurückliegende Jugend verarbeiten. Die Handschrift aber ist erkennbar. Und die gipfelt in der Sorgfalt bei der Wahl der Schauspieler.
David Rott (29) machte sich einen Namen mit der Kino-Koproduktion „Ganz und gar“, der ihm den Max-Ophüls-Preis einbrachte. Max von Pufendorf (30), fünf Jahre am Deutschen Theater tätig, ist ein Gesicht, das man kennt: in den letzten Jahre war er in allen namhaften Krimi-Reihen zu sehen. Komplettiert wird das verhängnisvolle Dreieck von Nora Tschirner (26). Mit Filmen wie „Soloalbum“ oder „FC Venus“ hat sich die Berlinerin aus dem MTV-Schatten herausgespielt. In „Das letzte Stück Himmel“, wo von ihr mehr verlangt wird, als nur schön zu sein, zeigt sie, dass sie durchaus das Zeug haben könnte, in die Fußstapfen von Heike Makatsch und Jessica Schwarz zu treten. (Text-Stand: 17.8.2007)