Es ist der 8. Juli 2009, irgendwo im Ländlichen, in einer deutschen Kleinstadt. Ein 13-jähriges Mädchen ist spurlos verschwunden. Alles ist wie damals. Auf den Tag genau vor 23 Jahren ist eine 11-Jährige auf einem Feld vergewaltigt und ermordet worden. Der Täter wurde nie gefasst. Bei dem damals für den Fall zuständigen, heute pensionierten Krischan Mittich läuten die Alarmglocken. Dasselbe Muster, derselbe Tatort. Allein, es fehlt die Leiche. Den Ex-Kollegen Jahn kann er von seiner Theorie überzeugen, Kripo-Chef Grimmer nicht: der hält sich nur an die Fakten. Die Ermittlungen laufen ins Leere. Währenddessen zeigt die Beziehung der Eltern des vermissten Mädchens Auflösungserscheinungen. Auch bei der Mutter der vor 23 Jahren Ermordeten brechen die alten Wunden wieder auf. Da hilft es wenig, dass sie sich in eine Affäre mit Mittich stürzt. Besonders betroffen ist Familienvater Timo Friedrich. Er ist Mitwisser des Verbrechens im Sommer 1986, wenn nicht sogar Mittäter. Den Kontakt zu seinen dänischen Freund Peer Sommer – ihre pädophilen Neigungen führten sie damals zusammen – brach er nach dem Mord abrupt ab. Wenig später heiratete er und verdrängte die Tat erfolgreich – bis heute. Ist der zweite Mord eine Botschaft des alten Freundes an ihn?
Filmemacher Baran bo Odar über die Vorlage:
„Nicht so sehr die Themen und Motive wie Pädophilie und Mord, Verlust und Trauer, Schuld und Sühne sind das wirklich Verstörende an dem Buch, es ist viel mehr die geradezu existenziell anmutende Kontakt- und Kommunikationsstörung zwischen den Personen, die weit über den tragischen Fall hinausweist.“
„Das letzte Schweigen“ führt Opfer, Täter und Ermittler gleichberechtigt nebeneinander – das ist mutig und risikoreich zugleich. Aus dieser dramaturgischen Grundidee baute der Debütant Baran bo Odar einen Ensemblefilm, der die Verstörung, die das Erzählte beim Zuschauer hervorrufen kann, noch ästhetisch doppelt. Er benutzt wohlbekannte Versatzstücke aus Thriller und Melodram und reizt die filmsprachlichen Mittel bis an die Grenze des Erträglichen aus: Ton und Sounddesign dröhnen tief, surren hoch (selbst vor dem Fernseher), sollen Atmosphäre schaffen, die Irritation erhöhen, die Spannung steigern. Der Film erzählt mitunter quälend langsam, verschachtelt gelegentlich Raum- und Zeitebenen, dann wieder überrascht er mit Stakkato-Schnitten und atmosphärischen Kamerafahrten. Dieser beklemmende Film mit zehn handlungsprägenden Figuren will es allen zeigen – und sein Macher wollte es wissen! Für „Das letzte Schweigen“ passt sie, die Kritiker-Floskel vom „weniger wäre mehr“.
Diesem Film – obwohl nach einem Roman entstanden – fehlen Struktur und ein durchgängiger Erzählton, ihm fehlen eine klare Perspektive und vor allem eine Haltung. Das ist umso problematischer, da Baran bo Odar kein großes Interesse an der Psychologie seiner Figuren zu haben scheint und mehrfach den Thrill aus dem krankhaften Trieb zieht. Manchmal scheint es gar, dass der Filmemacher dem Grauen seiner Geschichte erliegt (völlig überflüssig: die Entdeckung der Wasserleiche). Zu offensichtlich soll alles im Film dem Zuschauer den Atem verschlagen. Auch die Besetzung. Vier, fünf weniger große Namen hätten dem Film gut getan. Zu viele bekannte Gesichter lenken von der Geschichte ab. Apropos Geschichte: am Ende fragt man sich schon, was dieser Film erzählen will. Ist Verstörung schon ein narrativer Wert an sich? Fazit: Der handwerklich perfekte, zwischentonstark von Katrin Sass und Karoline Eichhorn gespielte Debütfilm, dieser melodramatische Einsamkeitstriller, sieht zu sehr aus wie eine Bewerbung für den ZDF-Fernsehfilm. Dass es dann sogar Hollywood geworden ist – den russischstämmigen bo Odar, 1978 in der Schweiz geboren, wird es kaum gestört haben. (Text-Stand: 17.6.2012)