Das Leben danach

Jella Haase, Carlo Ljubek, Eva & Volker Zahn, Weegmann. Posttraumatische Liebe

Foto: WDR / Alexander Fischerkoesen
Foto Rainer Tittelbach

Das Loveparade-Drama „Das Leben danach“ erzählt von der Wut einer Überlebenden, die schwer traumatisiert, auch nach Jahren nicht zurück ins Leben findet. Man spürt bei diesem Ausnahme-Fernsehfilm die Verantwortung gegenüber der Wirklichkeit, man erkennt aber auch „eine fiktive Geschichte, die nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit“ erhebt. Und die Liebe(sgeschichte) ist hier sehr viel mehr als der übliche Versuch, eine gesellschaftliche Tragödie auf ein privates Drama herunterzubrechen. Die Situationen im Film sind oft schwer auszuhalten. Der Film selber ist es nicht. Weil er eine klare (Erzähl-)Haltung besitzt, ein Drehbuch voller Zwischentöne, eine präzise, die Geschichte miterzählende Filmsprache, weil Haase & Ljubek eine vielschichtige Kombi sind oder weil starke Nebenfiguren für Entlastung sorgen. Dass der Film eine Versöhnung in Aussicht stellt, ist nur ein Grund von vielen.

Die Hoffnung auf ein Bisschen Liebe & Glück ist nur von kurzer Dauer
Was ist das für ein merkwürdiger Typ?! Er taucht immer öfter da auf, wo auch Antonia (Jella Haase) ist – nachts, auf leeren Straßen, vor der Duisbar, in der Straße, in der sie wohnt oder am Karl-Lehr-Tunnel. Dort, wo sich 2010 tausende Menschen in tödlicher Enge zusammenquetschten, um irgendwie zu überleben, trafen die beiden, die seit damals schwer traumatisierte junge Frau und Sascha (Carlo Ljubek), der seltsame Taxifahrer mit den müden Augen, das erste Mal aufeinander. Sie hatte gerade die Gedenkstätte mutwillig und voller Zorn zerstört. Er hat sie gefahren und nicht bei der Polizei angezeigt. Auch sie fragt sich wohl: Was soll das? Was will der Typ von mir? Ist der nicht viel zu alt? Will der nur ficken? Andererseits lässt sie es geschehen, folgt sie ihm wie in Trance, ein bisschen Abwechslung von dem ewigen Traurigsein, der Verzweiflung, der Wut. Die beste Freundin (Anna Drexler) sagt tschüss. Und die aus der Selbsterfahrungsgruppe sind auch irgendwie scheiße drauf. Kann sie vielleicht wieder lieben – nach all den Jahren, der Therapie, den Alpträumen, den Panik-Attacken, ihren missglückten Einstiegen ins Berufsleben? Bei ihrem Vater (Martin Brambach) und ihrer Stiefmutter (Christina Große) kommt Hoffnung auf. Antonia sitzt das erste Mal wieder am Klavier. „Sky And Sand“, ihr Bessere-Zeiten-Song. Doch dann erfährt sie die Wahrheit über diesen falschen Taxifahrer, der sich mitschuldig gemacht hat am Loveparade-Unglück. Und sie prophezeit: „Ich mach’ den Typ fertig; der muss dafür bezahlen.“

Das Leben danachFoto: WDR / Alexander Fischerkoesen
Nähe kann die junge Frau (Jella Haase) nur schwer zulassen. Sie fühlt sich zu Sascha (Carlo Ljubek) seltsam hingezogen. Seine Kaputtheit sieht sie zunächst als Chance für sich. Nur weshalb behauptet er, dass auch er mittendrin an der Rampe war?

Plötzlich wird der Schuldige zum Opfer der destruktiven Rachlust der „Heldin“
Opfer und Täter in inniger Umarmung. Zwei Seiten einer Schicksalsgemeinschaft? Eva Zahn und Volker A. Zahn öffnen in ihrem Drehbuch zu „Das Leben danach“ die Tür mehr als nur einen schmalen Spalt. Bezogen auf die Geschichte, die sie hier mit allen Mitteln der universalen Erzählkunst erzählen, ist dieser leise Hoffnungsschimmer eine gute, humane Lösung. Diese Liebesgeschichte sollte man natürlich nicht mit der juristischen Auseinandersetzung verwechseln, der Anklage von zehn Verantwortlichen der Katastrophe ab Dezember 2017. Dennoch verdichtet das schräge Gefühlsduett durchaus auch etwas von dem, was im politisch Großen abgelaufen ist. Dort ist viel Angst im Spiel, Existenzangst, weil eine moralische Geste, eine Entschuldigung, als offenes Schuldeingeständnis gewertet werden und juristische Konsequenzen haben könnte. In der Geschichte im Film ist es eine andere Angst, die schwer mit Vernunft zu fassen ist. Und es ist ein besonderer Mensch, der auf eine sehr schonungslose Art mit der eigenen Schuld umgeht. Auch das Leben dieses Mannes, der eine moralische Mitschuld trägt an der Katastrophe (auch wenn seine Ex-Frau diese Mitschuld wegzurationalisieren versucht), ist ein Trümmerfeld. Die Familie verlassen, haust er in seiner Wohnung, fährt nachts durch die Straßen, filmt jeden seiner Fahrgäste, in der Hoffnung, sein Leben damit besser auf die Reihe zu kriegen. Die Chancen für eine mögliche Versöhnung stehen gut – narrativ. Denn die Autoren machen in der zweiten Filmhälfte den Schuldigen zum Opfer der destruktiven Rachegelüste der „Heldin“. Am Ende sind beide schuldig. Jetzt pocht sie an seine Tür und sie ist es, die sich als erstes entschuldigt für ihre Wahnsinnstaten.

„Die Frage, wer wie schwer Verantwortung für die vielen Opfer trägt, muss juristisch geklärt werden, eine fiktionale Aufarbeitung des Schuld- oder Ursachen-Komplexes fanden wir deshalb unangebracht.“ (Volker A. Zahn, Autor)

„Mir ist wichtig, dass nichts eindimensional erzählt wird, dass der Zuschauer unterschiedliche Perspektiven angeboten bekommt. Wir reduzieren die Betroffenen nicht auf liebe, arme Opfer, sondern zeigen sie in ihrer ganzen Ambivalenz, mit Licht und Schatten. Der Film soll schließlich eine Wahrhaftigkeit haben. Damit gehen wir natürlich auch an Grenzen.“ (Nicole Weegmann, Regisseurin)

Das Leben danachFoto: WDR / Alexander Fischerkoesen
Antonia (Jella Haase) zertrampelt die Gedenkstätte. Sie ist wütend darüber, dass nur die Todesopfer Aufmerksamkeit bekommen. Sascha fragt nach, und sie begründet ihre Aktion wie folgt: „Weil die tot sind und ich lebe. Aber die, die tot sind, das sind die Guten, die ach so Wunderbaren, um die alle trauern können, und die, die überlebt haben, wir sind die Kaputten, die Arschlöcher, die nichts auf die Reihe kriegen.“

Eine gesellschaftliche Tragödie klug auf ein privates Drama heruntergebrochen
Wenn Themen von großem öffentlichen Interesse fiktional bearbeitet werden, ist mitunter die Furcht, es allen recht zu machen, so groß, dass kein wirklich guter Film entstehen kann. Hier hat man nie den Eindruck, die Macher hätten es sich leicht gemacht. Man spürt die Verantwortung gegenüber der Wirklichkeit, was die Genauigkeit der Darstellung der posttraumatischen Belastungsstörungen angeht. Man erkennt aber genauso gut „eine fiktive Geschichte, die nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit“ (Eva Zahn) erhebt. Und die Sache mit der Liebe ist sehr viel mehr als der Versuch, eine gesellschaftliche Tragödie auf ein privates Drama herunterzubrechen. In der Liebe, der Möglichkeit, sich auf einen anderen einzulassen, spiegelt sich die seelische Verfassung eines Menschen. Die Geschichte bringt das Dilemma, sich nach Nähe zu sehnen, diese nach dem traumatischen Erlebnis, bei dem menschliche Nähe mit Erdrückungs- und Niedertrampelungstod assoziiert wird, aber nur noch schwer ertragen zu können, auch visuell eindrucksvoll auf den Punkt. Dies wird einem mitunter geradezu physisch vermittelt, beispielsweise in einer Szene, in der Antonia in einem Laden durch den Schlüsselreiz „Rosa“ eine Panikattacke erleidet und wie von Sinnen wegrennt. Sascha will ihr helfen, sie ohrfeigt ihn, will ihn nicht an sich herankommen lassen; es dauert, bis sie sich umarmen lässt. Da überrascht es, dass es beim Sex dieses Nähe-Problem offensichtlich nicht gibt. Da der Film nur zwei solcher intimen Szenen (sehr kurz) andeutet, hat es den Anschein, als mogelten sich die Autoren geschickt um das Thema herum.

Das Leben danachFoto: WDR / Alexander Fischerkoesen
Antonias Vater (Martin Brambach) und ihre verständnisvolle Stiefmutter (Christina Große) sind langsam auch am Ende.

„Sascha hält sich ja ganz lange zurück, versteckt sich, redet kaum – erst recht nicht über sich. Die Herausforderung bestand darin, der Figur in dieser Stille etwas Aktives mitzugeben; diese scheinbare Passivität, das In-sich-Gekehrte der Rolle einen aktiven Prozess durchlaufen zu lassen.“ (Carlo Ljubek)

„Das Leben danach“ erzählt eine Geschichte, die ihren Charakteren gnadenlos in die Seele schaut und die selbst in der ersten Hälfte bei aller Hoffnung eine Menge Verzweiflung im Gepäck mitführt. Das Leben dieser beiden Täter-Opfer ist und bleibt unberechenbar. Jella Haase und Carlo Ljubek sind perfekt als „kaputtes“ Paar. Augen, die aussehen, als hätten sie Nächte durchgeweint. Ein weiblicher Körper in der Trotzphase; hier will oder kann jemand nicht erwachsen werden. „Du bist ein furchtbar kranker Mann“, sagt Antonia – und es scheint sie nicht zu stören, weil es ihr die Hoffnung gibt, einen Gleichgesinnten gefunden zu haben, der vielleicht über ihre Macken hinwegsehen wird. Die Psychologie der Geschichte geht in sehr vielen Momenten in den Blicken der beiden Schauspieler auf. Da ist bei Haase/Antonia zunächst diese Hoffnung zu sehen, bis sie nach Kenntnis der bitteren Wahrheit nur noch ein Ziel im Auge hat (nicht die Art von Ziel, die ihr Vater meint): Antonia entwickelt eine zerstörerische Energie, Selbstbewusstsein, Motivation, was sich in ihren Blicken ausdrückt, die nicht (zurück)weichen, die sie lange stehen lässt. Sie übernimmt den aktiven Part. Der Blick des Mannes dagegen steckt häufig voller Ausflüchte, ist mal leer, mal voller Unruhe, denn dieser Sascha versteht ihre Andeutungen, die Aufforderung, die Wahrheit zu sagen, nicht, weil er nicht ahnt, dass Antonia so viel weiß über ihn. Die Kombination Haase/Ljubek ist so überzeugend, weil sie von Anfang an diese tiefe Verbindung einer „Schicksalsgemeinschaft“ besitzt. Und sicher auch, weil Ljubeks Typus das „Geheimnis“, das seine Figur in sich birgt, von vornherein andeutet. Dass Regisseurin Nicole Weegmann anfangs die Besetzung eines „Normalos“ vorschwebte, ist nur schwer nachzuvollziehen, da gerade Ljubeks fiebrige Sinnlichkeit entscheidend zur Ambivalenz der Beziehung beiträgt.

Das Leben danachFoto: WDR / Alexander Fischerkoesen
Die „kaputte“ junge Frau Jella (Haase) lernt Saschas Sohn (Jeremias Meyer) kennen. Wird Antonia ihren Racheplan fortführen?

„Nach einem traumatischen Erlebnis verliert man seine Lebenssicherheit. Damit verlieren die Betroffenen ihre Orientierung. Die Erfahrung, dass diese Veränderung von vielen nicht verstanden und das Leid nicht gehört wird, kann unkontrollierte Wut und Fehlverhalten auslösen. Besonders dann, wenn für diese Trauma-Erfahrung ein Mensch verantwortlich gemacht wird.“   (Sybille Jatzko, Gesprächs-Therapeutin, Expertin für Trauma-Therapie)

Die Situationen im Film sind oft schwer auszuhalten, der Film indes ist es nicht
Man muss sich in den letzten 40 Minuten des Films ständig fragen, was sich diese junge Frau wohl schon wieder hat einfallen lassen. Es tut einem fast leid um diesen Mitschuldigen; aber man kann auch zwischenzeitlich diese unbändige Wut verstehen. „Das Leben danach“ ist also durchaus auch für den Zuschauer ein Drahtseilakt – nervenaufreibend, mitreißend, unvorhersehbar. Die Situationen im Film sind oft schwer auszuhalten. Der Film selber ist es überraschenderweise nicht. Dafür gibt es viele Gründe. Die Hauptdarsteller wurden bereits erwähnt. Auch die Nebenfiguren und ihre Top-Darsteller tragen zur Entlastung bei. Martin Brambachs & Christina Großes Eltern bringen – trotz der jahrelangen Krisensituation – eine schöne selbstverständliche, alltägliche Menschlichkeit in den Film, zu der es auch gehören kann, dass man die eigene Tochter rausschmeißt, wenn sie den Bogen überspannt. Und so egoistisch und grausam sich die „Heldin“ auch verhalten mag, so spürt man doch, dass hier jemand wieder in seine Kraft kommt. Es muss nur noch das richtige Ziel her. Dass diese junge Frau kein Dummchen ist, dass sie trotz allem gelegentlich eine gesunde Ironie besitzt – und dass Jella Haase ihr Blicke schenkt (wie ihren letzten, der als Versöhnungsangebot gelesen werden kann), Blicke, die Antonias (Selbst-)Zerstörungswut entgegenstehen, machen aus dieser WDR-Produktion nicht das befürchtete Heulsusendrama, sondern einen Film mit einer klaren Haltung, die sich auch in der präzisen Filmsprache (Bildgestaltung: Alexander Fischerkoesen) spiegelt. In ihr korrespondiert das äußere Wechselspiel von Enge und Weite, von kleinen Räumen, menschenleeren Straßenfluchten, (trügerisch) Freiheit konnotierenden Flussauen, mit den psychischen Stimmungsschwankungen, der Suche nach Nähe und diesen Momenten, in denen man den anderen nur noch wegstoßen möchte. All das macht aus „Das Leben danach“ ein preiswürdiges Gesamtkunstwerk, das zeigt, zu welchen Spitzen trotz Serienbooms der 90minütige Fernsehfilm noch immer in der Lage ist. (Text-Stand: 3.9.2017)

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Fernsehfilm

WDR

Mit Jella Haase, Carlo Ljubek, Jeremias Meyer, Martin Brambach, Christina Große, Jakob Diehl, Anna Drexler, Charlotte Bohning, Lena Stolze

Kamera: Alexander Fischerkoesen

Szenenbild: Petra Klimek

Kostüm: Barbara Fiona Schar

Schnitt: Florian Drechsler

Musik: Florian van Volxem, Sven Rossenbach

Soundtrack: Paul Kalkbrenner („Sky and Sand“)

Produktionsfirma: Polyphon

Produktion: Valentin Holch, Christoph Bicker

Drehbuch: Eva Zahn, Volker A. Zahn

Regie: Nicole Weegmann

Quote: 2,31 Mio. Zuschauer (7,7% MA); Wh. (2020): 1,83 Mio. (6,9% MA)

EA: 27.09.2017 20:15 Uhr | ARD

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