Auf den ersten Blick wirkt das Konzept der ARD-Reihe „Das Kindermädchen“ wie ein cleverer Vorwand für TV-Tourismus: Henni Höffner, bodenständige Bayerin und eine Frau mit viel Lebenserfahrung, reist als vermeintliche Premium-Nanny kreuz und quer über den Globus. Den Auftakt machte Mauritius, es folgten Südafrika und Kanada. Der Auftakt des vierten Teils, diesmal aus Süditalien, erfüllt alle entsprechenden Klischees: Henni (Saskia Vester) steigt in Otranto aus dem Bus und erfreut sich am Meerblick; dazu ertönt mit „Via con me“ von Paolo Conte einer jener Schlager, die bei solchen Filmen unvermeidlich sind. Aber der Eindruck täuscht, denn die Reihe ist deutlich anspruchsvoller, als die gefällige Verpackung vermuten lässt, selbst wenn die erste Begegnung der Nanny mit der Familie ins Bild passt: Die neuen Arbeitgeber betreiben eine Olivenplantage und haben keine Zeit für ihre beiden Teenager. Die ehemalige Kioskbesitzerin hat nie eine psychologische Ausbildung genossen, aber ihre Lebenserfahrung lässt sie umgehend ahnen: In dieser Familie stimmt was nicht.
Wohlstandsverwahrlosung war allerdings bereits Thema des letzten Films („Mission Kanada“, Januar 2021). Diesmal geht es um etwas anderes: Benno (Janek Rieke) steht zwar wegen der bevorstehenden Ernte unter Druck, zumal viele Olivenbäume von einer Krankheit befallen sind und die finanzielle Situation des Betriebs ziemlich angespannt ist, aber er liebt seine Frau Rosa (Clelia Sarto) wie am ersten Tag. Die Gattin hingegen wird immer fahriger und zieht sich innerlich zunehmend zurück. Benno erklärt sich das mit den bevorstehenden Wechseljahren. Rosa gesteht Henni jedoch, sie sei schwanger, wolle ihre Familie angesichts ihres nicht mehr ganz jungen Alters aber erst einweihen, wenn klar sei, dass kein Risiko für die Geburt bestehe.
Natürlich sorgt Regisseur Sascha Bigler, der auch „Mission Kanada“ inszeniert hat, für viel Augenfutter, aber die Kamera (Ralf K. Dobrick) weidet sich längst nicht so ausgiebig an den Urlaubsbildern aus Apulien wie das übliche Fernwehfernsehen à la „Traumschiff“. Außer dem Conte-Klassiker ertönen auch keine Canzoni mehr. Fans der Reihe werden allerdings Jürgen Tonkel vermissen. Die kleinen Scharmützel zwischen Henni und Sachbearbeiter Loibinger von der Jobagentur gehörten in „Mission Kanada“ zu den schönsten Szenen des Films. Diese Rolle hat nun Gerhard Wittmann übernommen, der das ähnlich sympathisch macht. Brigitte Zeh als Hennis Tochter und Nick Julius Schuck als Enkel wirken dank zweier Videotelefonate zwar ebenfalls mit, tragen aber nicht viel zur Handlung bei.
Für das deutsche Oliven-Ehepaar hat sich Autor Simon X. Rost („Ella Schön”) bei seinem „Kindermädchen“-Debüt komplexe Biografien ausgedacht. Gerade Benno hat einen besonderen Bezug zu dem Land: Sein Vater war in den Siebzigern unter dem Künstlernamen Bruno Bianco ein Schlagerstar, und dass Henni seinen größten Hit zum Besten geben kann, verschafft ihr direkt einen fetten Pluspunkt. Die entsprechende Szene ist zwar durch und durch klischeehaft, aber auch voller Lebensfreude: Freunde und Nachbarn versammeln sich zum gemeinsamen Abendessen auf der Terrasse und singen „Ciao, Bella, ciao“. „Mission Italien“ wäre jedoch auch ohne Rosas Aussetzer kein Heile-Welt-Film: Eine nicht näher benannte Krise hat zur Folge, dass die Gastronomie kein Olivenöl mehr kauft, und die zum Teil uralten Bäume sind von einer rätselhaften Krankheit befallen, gegen die noch kein Mittel gefunden worden ist; die Bilder der vom Bakterium Xylella dahingerafften Baumgruppen sind traurige Realität. Kein Wunder, dass Benno nicht mehr der Mann ist, der einst Rosas Herz im Sturm erobert hat, zumal in Gestalt der stets fröhlichen Erntehelferin Vittoria (Lisa Tzschirner) – „Kleine Konflikte erhalten die Liebe“ – ernste Konkurrenz droht; sie schaue Benno an „wie der Hund den Osterschinken“, stellt Henni fest. „Schwanger oder Scheidung“, vermutet die kluge ältere Tochter Luisa (Laila Padotzke) angesichts der Spannungen zwischen ihren Eltern, aber Henni fürchtet, dass es noch eine dritte Möglichkeit gibt.
Auch die beiden Kinder sind nicht bloß die filmtypisch renitenten Teenager: Überfliegerin Luisa ist zu intelligent für ihre Umgebung und entsprechend einsam, Sohn Julian (Marlon Heidel) hat keinen Bock mehr auf Schule, weil er ohnehin Musiker werden will. Anders als die meisten sonstigen deutschen Auslandsproduktionen ist der Film auch sprachlich glaubwürdig. Clelia Sarto beherrscht die Landessprache dank ihrer Wurzeln, Lisa Tzschirner spricht ein sehr glaubwürdig klingendes Italienisch und ein ausgesprochen reizendes Deutsch, weil Vittoria eine deutsche Mutter hat. Wenn die beiden Jugendlichen auf Italienisch fluchen, klingt das zwar eindeutig nicht einheimisch, aber darüber lässt sich leicht hinweghören, zumal gerade Laila Padotzke (Tochter der Schauspielerin Susu Padotzke) ihre Sache prima macht und Luisas sarkastisch-süffisante Dialoge mit großer Selbstverständlichkeit vorträgt. Sascha Bigler hat nicht erst mit den beiden „Kommissar Pascha“-Krimis (ARD-Degeto) und zwei „München Mord“-Episoden bewiesen, dass er ein ausgezeichneter Regisseur ist. Freitags im „Ersten“ geht es nicht um Filmkunst, aber seine Arbeit mit dem Ensemble ist sehenswert.