Eine Sturmflut, die Hamburg unter sich begräbt; ein Tsunami, der Sylt zu überfluten droht; eine Feuersbrunst, die Dresden niederbrennt; ein Tornado, der durch die Hauptstadt fegt; ein Supervulkan, der die beschauliche Eifel in eine Lavahölle verwandelt: Vor einigen Jahren ließen deutsche Produzenten nichts aus, um dem einstigen Kinogenre „Disaster Movies“ telegen nachzueifern. Flugzeugkatastrophen („Airport“) sind wohl noch eine Nummer zu groß, aber mit „Inferno – Flammen über Berlin“, der Titel legt es nahe, wurde auch eines der letzten Vorbilder aus der großen Zeit der Hollywood-Katastrophenfilme in den Siebzigern adaptiert. Brannte in „Flammendes Inferno“ bloß ein Wolkenkratzer, muss für ProSieben der Berliner Fernsehturm dran glauben, der schon in „Tornado“ ziemlich demoliert wurde.
Natürlich ist die Erkenntnis nicht neu, dass die Fans des Genres in erster Linie überzeugende Spezialeffekte erwarten und wenig Wert auf ausgefeilte Wortwechsel legen. Trotzdem ist es schade, dass sich Autor Frank Raki bei der Zusammenstellung des Personals eher einfallslos an den berühmten Vorbildern orientiert hat, zumal die Dialoge von teilweise bemerkenswerter Schlichtheit sind („Das Treppenhaus ist eingestürzt!“ – „Was soll das heißen?!“). Bei aller Bewunderung für die Professionalität der optischen Effekte und selbst wenn man die Filme kaum miteinander vergleichen kann: Von einer Produktionsfirma, die auch „Das Leben der Anderen“ hergestellt hat, hätte man in dieser Hinsicht etwas mehr Niveau erwarten dürfen.
Angesichts des hohen Spannungsniveaus und der packenden Bilder hört man aber ohnehin nur mit halbem Ohr auf die wenigen Wortfetzen, zu denen die von einer Feuersbrunst in die nächste stolpernden Hauptfiguren überhaupt in der Lage sind. Deutlich höheren Anteil an der akustischen Wirkung hat die donnernde Musik von Philipp F. Kölmel („Rubinrot“ / „Saphirblau“), die sich zwar unverhohlen an den Klängen von Hollywood-Star-Komponist Hans Zimmer orientiert (der hat mit „Backdraft“ auch mal einen Feuerwehrfilm orchestriert), aber immer noch für Spannung sorgt, wenn den Flammen mal die Luft ausgeht.
Das wiederum ist nur selten der Fall, weshalb die Feuersbrunst unangefochtene Hauptdarstellerin des Spektakels ist. Dabei beginnt alles ganz harmlos: eine Schweißarbeit, ein Schwelbrand, stiller Qualm – und dann bricht wie aus heiterem Himmel das Inferno los. Eine Rauchgasexplosion (im Fachjargon „Feuersprung“, wie auch der Arbeitstitel lautete) im Restaurant des Fernsehturms sorgt dafür, dass sich die Flammen mit rasender Geschwindigkeit ausbreiten. Die Feuerwehr ist machtlos: Beim Absturz eines Fahrstuhlmotors ist das halbe Treppenhaus weggerissen worden. Eine Rettung der Menschen aus der Luft ist wegen des starken Winds unmöglich. Doch es droht auch der Einsturz des gesamten Wahrzeichens: Wenn das Feuer nicht gelöscht werden kann, reißen die Zugbänder (eine Erfindung Rakis), mit denen die knapp 5.000 Tonnen schwere Kugel am Turm befestigt ist.
Foto: Pro Sieben
Das Desaster aber ist selbstredend bloß die eine Seite. Gemäß den Genre-Konventionen müssen die Protagonisten die ständige Lebensgefahr zwischendurch immer wieder mal vergessen, um ihr Gefühls-Chaos zu sortieren: Taxifahrer Tom (Stephan Luca) war früher auch Feuerwehrmann, wurde aber unehrenhaft entlassen, weil er angeblich einen Kollegen in den Flammen zurückgelassen hat. Der Mann war nicht nur der Sohn vom „Chief“ (Klaus J. Behrendt), sondern auch der Bruder von Toms Freundin Katja (Silke Bodenbender), die wiederum als Aushilfe im Fernsehturmrestaurant arbeitet. Keine Frage, dass Tom alles stehen und liegen lässt, um Katja zu helfen. Prompt ist er am Ende der einzige Feuerwehrmann, der sich noch auf zwei gesunden Beinen halten kann; er rettet die Guten unter den Gästen (die Bösen kommen in den Flammen um oder stürzen in die Tiefe) und stellt auch seinen Ruf wieder her, denn selbstredend war das damals alles ganz anders.
Keine besonders komplizierte Geschichte also. Gerade deshalb wirken manche Seitenstränge wie angeklebt. Und der Versuch, den Nebenfiguren mehr Profil zu geben, scheitert nicht zuletzt an den talentfreien Darbietungen. Das ist dann doch der Unterschied zu Hollywood: Die Effekte aus „Inferno“ mögen in der Tat imposant sein, doch wo beispielsweise in „Erdbeben“ selbst eine Minirolle mit Walter Matthau besetzt wurde, dilettieren hier Kleindarsteller. Aber eine gewisse Schwäche in der Schauspielerführung zieht sich ohnehin durch die Filmografie von Rainer Matsutani (etwa in der „Mona Sailer“-Trilogie mit Mariele Millowitsch, RTL). Sehenswert ist „Inferno“ trotzdem. Markige Kerle, viel Pathos („Macht uns Ehre“ ist die Losung vor jedem Einsatz), große Gefühle, konkurrenzlos gute Effekte und am Ende ein fesselnder Wettlauf mit der Zeit: prima Popcorn-Fernsehen. (Text-Stand: 2007)