Für Arthur Grünberg (Alexander Scheer) hat jeder Mensch einen Anspruch aufs Glück. Deshalb kämpft der Tausendsassa aus dem Scheunenviertel für das erste Kreditkaufhaus im Herzen von Berlin. Ein Risikogeschäft, zumal der jüdische Kaufhausgründer mit dem Vermögen seiner Frau Alice (Nina Kunzendorf) jongliert und sie gleichzeitig betrügt. Während das schillernde Paar, jeder auf seine Weise, um die Zukunft ringt, hat Sohn Harry (Ludwig Simon) mit dieser Welt abgeschlossen. Sein Herz schlägt für den Jazz und für Vicky Maler (Naemi Florez). Kompromisslos und charmant zugleich hat sich das mittellose Mädchen aus Pommern eine Stelle im neuen Kaufhaus „Jonass“ erkämpft. Bald darauf sind es die finanziellen Verbindlichkeiten der Inhaber, die Vickys Unabhängigkeit und ihrem Glück mit Harry, den sie für einen mittellosen Pianisten hält, im Wege stehen. Die Verstrickungen der Generationen legen die Grundlage für eine dramaturgisch fein gewebte Tändelei, die das junge Paar bald vor große Herausforderungen stellt. Drehbuch, Ausstattung und visuelle Machart kleiden das Geschehen in sepiafarbene Bilder. Dabei wirft Lichtgestalter Matthias Beier („Kruso“, 2018) die wärmsten Strahlen konsequent auf das Ensemble der jungen Träumer.
In den ersten sechs Folgen der bislang auf zwölf Episoden ausgelegten Saga sind die politischen Umbrüche nur zu erahnen. Während „Babylon Berlin“ von Anfang an den Tanz am Abgrund choreografiert, konzentriert sich die erste Staffel von „Haus der Träume“ auf die Verwicklungen zwischen den Geschicken des jüdischen Kaufmanns Arthur Grünberg und den Träumen der mittellosen Verkäuferin Vicky Maler. Wie der Titel vermuten lässt, ist „Haus der Träume“ damit die filmische Variante einer Heldinnenreise, wie sie auf aktuellen Buchtiteln mit dem immer gleichen Cover um Leserinnen wirbt: Eine junge Frau steht mit Koffer in der Hand vor einer Villa, einem Herrenhaus oder einem Hotel. Ob sie das Haus erobert oder verlässt – sie trifft die Entscheidung ihres Lebens.
„Das Haus der Träume“ übernimmt dieses Bild, wenn der Blick des Zuschauers zum ersten Mal auf die Fassade des neuen Kaufhauses „Jonass“ fällt. Außenaufnahmen und Totalen können gezeichnete Kulissen nicht verbergen. Aber: Sobald man über die Schwelle tritt, „atmet“ der Schauplatz. Von Klezmer-Swing begleitet, eröffnet Episode zwei mit einem Blitzlichtgewitter auf die Gesichter der Verkäuferinnen. Am Ende der Episode weiß der Zuschauer um die Schwächen und Nöte aller, die unter dem oft bestaunten Glasdach des Kaufhauses arbeiten. Er weiß um den Kosmos „Jonass“. Hinter dieser Bühne fallen die Entscheidungen im Privathaus der Grünbergs. Die dortige Szenerie ist um einige Lux gedimmt. Ob man sich die Nachfolge der gebrechlichen Haushälterin wird leisten können, steht in den Sternen. Arthur Grünberg hat den Tresor um das Vermögen seiner Schwiegereltern erleichtert. Weil auch das ihn nicht retten wird, bleibt er auf seine Frau Alice und deren Verehrer, Metallwarenhändler Carl Goldmann (Samuel Finzi) angewiesen. Geschäftliche Unterredungen und Verhandlungen mit potenziellen Kreditgebern finden am Rande nobler Diners oder in privaten Räumen statt, die ihre hellsten Tage hinter sich haben. Neben dem schönen Schein, der die Versprechen auf Wohlstand und Luxus in den Verkaufsräumen des „Jonass“ spiegelt, und der lichtschluckenden Wirklichkeit in den Büros und Privaträumen findet das eigentliche Leben rund um Vicky und Harry statt. Hier ist immer ein helles Strahlen. Sonnenlicht fällt auf ihre Gesichter, im Park dringt es durch das Grün um sie herum, selbst in dem ärmlichen Zimmer, dass sich Vicky mit drei Freundinnen in Tag- und Nachtschichten teilt, tanzt flirrender Staub durch das spärlich hineindringende Tageslicht.
Naemi Florez als Vicky, Ludwig Simon als Harry und Amy Benkenstein in der Rolle von Vickys temperamentvoller Freundin Elsie bilden ein mitreißendes Trio, dem man auf der Suche nach dem Platz im Leben gerne folgt. Alle drei spielen mit beeindruckender Leichtigkeit. Florez alias Vicky vermeidet so, dass narrative Standards wie das Nichtwissen um Harry Herkunft und das unvermeidliche Abschneiden alter Zöpfe (natürlich schneidet sich Vicky irgendwann selbst die Haare und geht danach mit 1-A-Bobfrisur durch die Welt) abgenutzt wirken. Im Ensemble der Älteren spielt Samuel Finzi angenehm zurückhaltend und selbst Alexander Scheer verzichtet auf allzu viel Fahrigkeit. In ruhigen Momenten gewinnt seine Figur an Ambivalenz und Tiefgang. Für die großen Wow-Effekte sorgt Grünbergs Gattin Alice. Mit der Grandezza einer Unantastbaren trägt Nina Kunzendorf die Geschmeide aus besseren Tagen zur Schau, kommentiert leise, aber bissig die Alleingänge ihres Mannes und ist ihrem Sohn Harry eine sichere Vertraute. Im Pelzmantel und unter ausladenden Hutkrempen verwandelt diese Alice jedes Pflaster in einen roten Teppich. Gleichzeitig durchweht ein Hauch von Wild-West jeden ihrer Auftritte. Es ist ein Vergnügen vom Rand der Arena aus zuzuschauen. Und es ist ein weiterer Pluspunkt, dass auch dieser Figur der Moment der Blöße nicht erspart bleibt. Auge und Können im Team um Kostüm-Bildnerin Ute Paffendorf („Brecht“, „Hotel Lux“) prägen nicht nur die großen Grünberg-Auftritte, sondern auch das Detail. Unter den Ärmsten der armen jungen Frauen sind Beine auch mal unrasiert, Harrys Hemdkragen beginnt auszufransen, sobald er nicht mehr behütet im Elternhaus lebt.
Am Ende der ersten Staffel kehrt „Das Haus der Träume“ an seinen Anfangsschauplatz zurück. Nach sechs Episoden unter der Regie von Sherry Hormann („Nur eine Frau“, „Altes Land“) ist der Zuschauer jetzt mit der Dachterrasse des „Jonass“ vertraut. Er kennt den Kosmos darunter und weiß, auf welch wackligen Füßen der Palast steht. Im Gegensatz zur Tanzschule Schöllack am Kudamm 56 erwarten die Besitzer und Angestellten der Torstraße 1 allerdings weitaus dunklere Zeiten. Eine Herausforderung für Umut Dag als Regisseur der zweiten Staffel. Und eine Chance „Das Haus der Träume“ weiterhin nicht nur als freischwebendes Herz-Schmerz-Geschichte, sondern über eine lange Zeit als historisch verankertes Drama zu erzählen. Die Romanvorlage umfasst acht Jahrzehnte. In dieser Zeit war „Torstraße 1“ Kreditkaufhaus, Heim der Hitlerjugend und SED-Zentrale. Heute beherbergt es das „Soho House Berlin“, einen Privatclub mit Hotel und Pool auf der Dachterrasse.