Paul ist das Ein und Alles seiner Eltern. Auch wenn ihn gelegentlich Albträume plagen, ist der Siebenjährige ein wohl geratener Junge. Das Glück der Familie Storath wird schlagartig in Frage gestellt, als Mutter Gesine eine alte Bekannte wieder trifft. Jene Kathrin Stiller glaubt, in Paul ihr eigenes Kind zu erkennen. Wie paralysiert schaut „die traurige Frau“, wie Paul sie nennt, dem Jungen in die Augen, als sie seiner Mutter und ihm zufällig begegnet. Es ist sieben Jahre her, da hatte sie auch ein Kind. Bei einem von ihr verschuldeten Zimmerbrand ist das Neugeborene ums Leben gekommen. Noch heute beteuert sie ihre Unschuld. Doch es hilft nichts: ihr Leben ist verpfuscht, ihre Seele ein Torso. So eine Frau hat schlechte Karten im Kampf mit einer Familie, die zusammenhält und in der ein Anwalt zu Hause ist. Bei einem solchen Ungleichgewicht greift schon mal gern der Schwächere zu unangemessenen Waffen.
Zu viel sollte man nicht verraten von dem Psychothriller „Das Geheimnis der falschen Mutter“ (Titel bei der Arte-Erstausstrahlung: „Eine gute Mutter“). Der Film von Matthias Glasner steckt voller überraschender Wendungen, kleiner Irritationen und auch die Gesetze des Genres bedient er nicht immer. Für den Kino- und TV-Provokateur Glasner („Der freie Wille“) selbst war es der Versuch, mit zwei Genres zu spielen. „Meine Idee war, einen Thriller mit den Mitteln eines Melodrams zu erzählen, der in optischer Hinsicht an den Dogma-Stil anknüpft.“ Dieser wilden Mixtur, getragen von einem stimmigen Rhythmus und einer sehr subtilen, atmosphärischen Spannung, kann man sich als Zuschauer nicht entziehen.
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Es ist der jener Sog, von dem so viele Filmemacher träumen und den keiner so beherrschte wie Hitchcock. An den großen Meister des Suspense erinnern denn auch viele Themen und Motive in Glasners Film: das rätselhafte Spiel mit Identitäten, das dramatische Finale auf einem Leuchtturm mit leisen Anleihen bei „Vertigo“, die krankhafte Liebe einer Mutter. Der Archetyp „Mutter“ freilich wird im Buch von Johannes W. Betz („Die weiße Massai“) mit den gewöhnlichen „Pathologien“ des Alltags spannend kurzgeschlossen. Eine gute Mutter sein zu wollen ist weitgehend ein Naturgesetz. Wo daraus eine Ideologie gemacht wird, sozialer Druck inklusive, kann das Ganze paradoxe, ja wahnsinnige Züge annehmen. Und so zeigt der Film, wie verrückt Frauen reagieren können, wenn es um Kinder geht.
Traumwandlerisch sicher wirkt alles in diesem auf ästhetische Reduktion bedachten Drama. Wie Getriebene bewegen sich die Figuren durch die Wohlstandsbürger-Szenerie. Das mutet bisweilen gespenstisch an – und erinnert an die bösen Familiendramen Claude Chabrols, der bekanntlich auch ein großer Hitchcock-Verehrer ist. Nichts ist wie es ist, der Schein regiert. Diesem Prinzip ordnen sich Barbara Auer, Justus von Dohnányi und Jungtalent Jördis Triebel in ihrem Spiel großartig unter. Die Stimmungen wechseln, die Emotionen sind im Fluss, der Wahnsinn hat System. (Text-Stand: 19.7.2007)