Mario (Charlie Hübner), Bruder Thorsten „Toddo“ (Devid Striesow) und Toddos Tochter Jäcki (Luise von Finkh) brechen zur Weihnachtsfeier nach Schwaben auf. Nach Jahrzehnten der Abstinenz wollen die Meurers mit der wohlhabenden Familie ihrer, noch vor der Wende in den Westen geflüchteten Schwester Sabine (Claudia Michelsen) feiern. Die Gründe für den Sinneswandel werden noch Thema sein. Im schwäbischen Schlössle begrüßt Schwager Alexander (Oliver Wnuk), CEO des Sanitär-Unternehmens Streuble, die Branchenkollegen aus dem Osten. Im Separee warten Alexanders Eltern (Nicole Heesters, Wolf-Dietrich Sprenger), seine aus Frankreich angereiste Schwester Dorothee (Andrea Sawatzki) und seine Tochter Simone (Lena Klenke). Sabine selbst lässt sich entschuldigen, sie steht noch im Stau. Der Zuschauer weiß es längst besser. Eine ganze Weile noch wird „Bine“ auf ihrem Außenposten ausharren. Von Schuldgefühlen geplagt ist sie in einer Schänke am Weg eingekehrt und beichtet dem Herbergsvater (Jan Georg Schütte als Jesusgleicher Therapeut, Wirt und Ratgeber), warum sie so gar keine Lust auf Familie verspürt.
Regisseur Jan Georg Schütte arbeitet wie gewohnt mit verschiedenen Versatzstücken. Mal ist es ein anderer Schauplatz (wie Bines Satellitenposten), mal die Perspektive der jungen Generation, die dem Geschehen neuen Drive oder eine entscheidende Wendung verleiht. Mit den Grundzügen der Biografie ihrer Figur ausgerüstet kommt das Ensemble ans Set. Jeder hat ein Ziel und ein Geheimnis, dass die Beziehung zu den anderen bestimmt. Aus diesem Wust an Motiven nimmt das Miteinander seinen Lauf. Diesmal nicht im ehemaligen Grenzgebiet am Mecklenburger Schaalsee, sondern im tiefsten Schwabenland. Tatsächlich drehte das Team im Frühjahr innerhalb von drei Tagen in einer 1400 Quadratmeter großen Villa bei Hamburg. Viel innen, wenig außen. Sobald einer zum Durchschnaufen vor die Tür tritt, ruft das Käuzchen vertraute Edgar-Wallace-Erinnerungen wach. Eine kleine Spielerei am Rande.
Am voll verkabelten Schauplatz wurde nach Möglichkeit sechs bis zehn Stunden am Stück gespielt. Bevor jeder Schauspieler, jede Schauspielerin den richtigen Ort und das beste Timing für eine Enthüllung oder einen neuen Charakterzug nutzen konnte, galt es für die Setbauer und Ausstatter, die Technik am Drehort unsichtbar zu machen. Oberbeleuchter Stefan Fahle Meese musste am Multikamera-Drehort mit einem Grundlicht arbeiten. Weil Umleuchten beim Impro-Dreh nicht möglich ist, wurde viel im Lowlight-Bereich gearbeitet. Im Endeffekt stört das nicht. In der weihnachtlich geschmückten Villa Streuble leuchtet es festlich, hier und da glitzert und funkelt es nach, den Rest erledigen die silbernen Ziernähte auf Dorothees festlicher Robe. Eine Ausnahme von all dem visuellen Geklimper gibt es: Es ist ein gelb gestrichener, karger und gleichmäßig kalt ausgeleuchteter Toilettenraum, in der sich die Meurer/Streubles gefährlich nahekommen. War der Waschraum in „Das Begräbnis“ der Ort für den entlarvenden Blick in den Spiegel, so wirkt der enge, niedrige Raum diesmal wie eine Druckkammer, die das unmögliche Miteinander der Familie zum Bersten bringt.
Im Ensemble ergänzen die „Neuen“ aus dem Streuble-Clan die bekannten Gesichter aus der Vorgänger-Serie „Das Begräbnis“. Ob Elisabeth schon immer oder erst seit der Demenz-Erkrankung ihres Mannes die Fäden in der Hand hält, ist unklar. Nicole Heesters verkörpert die prinzipientreue Seniorin sehr nonchalant. Selbstverständlich dringt weder ein bäuerlicher Typ wie Mario noch dessen Bruder, der den Ausflug nach Schwaben als Pitch für seine neueste Business-Idee versteht, zu ihr durch. Oliver Wnuk gerät als Unternehmersohn zwischen alle Fronten. Andrea Sawatzki pflegt das Image der verstrahlten Esoterikerin. Ihr siebter Sinn ist aber nicht von schlechten Eltern. Sie ahnt schnell, was vor sich geht, nachdem die jungen, einander herzlich fremden Cousinen Simone und Jäcki von der Bildfläche verschwunden sind. Zu diesem Zeitpunkt ist das Glas längst zerbrochen und das Geheimnis einer genialen Erfindung, die West- und Ostrohre tropfenfrei verbindet, gelüftet. Die im Dialekt herabrieselnden Streitereien der Gastgeber gehören zu den Highlights der Serie. Überhaupt spielen Wortwahl und Wortwitz eine herausragende Rolle. Die Meurer-Streubles und eine Supermuffe als Objekt der Begierde, das hätte auch Loriot einfallen können.
Den bekannten Gesichtern im Cast entspricht vertrautes Stammpersonal in der Crew: „Das Fest der Liebe“ ist bereits das achte Projekt, das Grimme-Preisträger Jan Georg Schütte mit Kameramann Nikolas Jürgens realisiert. Beim Dreh teilte Jürgens die 40 Kameraleute zwischen einem Bühnen- und einem Personenprinzip auf. Die meisten waren einem bestimmten Raum oder Bereich zugeordnet und „verfolgten“ ihrer Position entsprechend die Protagonisten. Gleichzeitig konzentrierten sich einige eher auf Nahaufnahmen, andere auf Totalen. An fünf Probetagen bereitet sich die Kamera-Crew so auf den Hauptdreh vor. Nach mehreren Durchläufen mit Statisten einer Schauspielklasse prüft das Regie-Team dann, ob alles wie gedacht funktioniert. Erst diese Probeläufe garantieren der Crew ein sicheres Raumgefühl. Sicher genug, um die Mannschaft aufs Spielfeld zu lassen. Tatsächlich klingt das alles mehr nach Fußballspiel als nach aneinandergereihten Innen-Drehs. Zum sportlichen Charakter dieser Dreh-Variante gehören zuletzt auch Protokollanten, die die Bildregie informieren, was wo geschieht und wo sich handlungsrelevante Szenen anbahnen. Zuletzt legt das Regie-Team gemeinsam mit Benjamin Ikes und Nikolai Hartmann im Schnittraum fest, wann und wo Weihnachten explodiert. Ein Wahnsinn.
Die Vor-Erzählung von „Das Fest der Liebe“ explodierte nach der Ausstrahlung in der Mediathek. Mehr als ein Drittel der Streamer und Streamerinnen waren zwischen 14 und 49 Jahre alt. Die wollen alle Sender haben. Entsprechend schnell war klar, dass Jan Georg Schütte nochmal in Sanitär macht. Ihm sind ein sauberer Anschluss, eine klasse Performance und ein Fest mit viel Witz gelungen. „Das Fest der Liebe“ macht aber auch klar, dass eine improvisiert gespielte Figur genauso auserzählt sein kann wie das Pendant aus dem Drehbuch. Im Presseheft zum „Fest der Liebe“ klingt es auch bei Schütte nach einem Abschied von den Meurer-Brüdern. Gedanklich tanzt er längst auf einer nächsten Hochzeit.