Was sie auch spielt, sie wirkt leicht entrückt, seelisch befreit von den Erfordernissen der Realität, immer ein wenig wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Die Banalitäten des Alltags sind nicht das Fach von Jeanette Hain. Die Münchnerin, die vor Jahren ein Regiestudium an der Filmhochschule ihrer Heimatstadt begann, jedoch bald erkennen musste, dass die Schauspielerei ihr mehr lag, ist eine der angenehmsten Erscheinungen in der Filmbranche hierzulande. Ob Kino oder Fernsehen, wer auch ihre Partner waren, ob Iris Berben oder Robert Atzorn, ob Götz George in “Das Trio” oder Jürgen Vogel in “Sass” – immer ist sie es, an die man sich erinnert und die Filmen wie dem Grimme-Preis-gekrönten BR-”Tatort: Im freien Fall”, der Stefan-Heym-Verfilmung “Die Frau des Architekten”, ja selbst der leichten “Lauter tolle Frauen”-Romanze “Die Westentaschenvenus” ihren Stempel aufdrückt.
Oft vergräbt sie sich in ihren Rollen in die rätselhafte Welt der Ästhetik. Selbst einer Hure tuscht sie einen Schatten auf die Seele. Wie in ihrer ersten Hauptrolle in “Liebe und Verhängnis” spielt sie auch in ihrem neuen Film “Das falsche Opfer” eine Cellistin. Weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort war, hat eine Explosion ihr Gehör stark in Mitleidenschaft gezogen. Nur mit technischem Gerät kann sie des Geräusch-Cocktails in ihrem Kopf einigermaßen Herr werden. Mit ihrem Beruf ist es aus, und auch mit ihrer Ehe steht es nicht zum Besten. Nach wie vor plagen sie Albträume, und sie bekommt das Gefühl nicht los, dass es sich nicht um einen Unfall gehandelt hat. Auch SEK-Mann Braun (guter Typ: Thomas Sarbacher), der an jenem Tag sechs seiner besten Leute verlor, glaubt nicht an einen Unfall. Er vermutet, dass der Anschlag einer Kronzeugin galt, die in einem Prozess gegen einen Unterweltpaten aussagen wird. Obwohl er die Frau anfangs stark unter psychischen Druck setzt, entwickelt sich bald ein Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Eigenbrötlern.
Bei aller Innerlichkeit, die nach außen drängt, spielt Jeanette Hain auch in diesem Film, der wahrlich kein Meisterwerk des Genres ist, auf ihre unnachahmliche Art, leise und unprätentiös. Anders als Regisseur Ulrich Stark, der im bunten Genre-Mix, weniger aber im stilsicheren Krimi zuhause ist, trifft Hain punktgenau die Zwischentöne zwischen tragischer Vergeblichkeit und engagiertem Aufbegehren. (Text-Stand: 24.9.2004)