Er war kein gehorsamer Hirte, sondern ein unbequemer Rebell, jener Hilfspfarrer Joseph Mohr, der im Jahre 1818, eine Nacht vor Heiligabend, das wohl populärste Weihnachtslied aller Zeiten textete und wahrscheinlich auch komponierte – „Stille Nacht, Heilige Nacht“. Franz Xaver Bogner, preisgekrönter Experte für bayerisch-österreichische Volkskunst, recherchierte die Entstehungsgeschichte des Liedes – und er stieß dabei auf einen hoch dramatischen gesellschaftlichen Stoff. Das Weihnachtslied als Hymne der armen Leute.
Joseph Mohr ist in erster Linie Christ und erst in zweiter Linie Pfarrer. Und er ist ein charismatischer Volkssänger, der – wenn es sein muss – sogar in der Gastwirtschaft die Heilige Messe abhält. Doch Mohr hat es schwer in einem zweigeteilten Dorf an der Salzach. Auf der einen Seite die Bayern, reiche Händler, und auf der anderen Seite des Flusses die blanke Armut, österreichische Schiffer, die ausgehungert werden von einem Großkaufmann. Mohr stellt sich auf die Seite der Geknechteten. Es muss gehandelt werden, die Menschen sterben weg. Doch wie weit kann ein Gottesmann gehen? Aufstand? Plünderung?
„Kein seliger Heimatfilm, eher ein Politkrimi“, sei „Das ewige Lied“ geworden, so Franz Xaver Bogner. Der Münchner, bekannt geworden durch die Serie „Irgendwie und sowieso“ und das Grimme-preisgekrönte „Zur Freiheit“, verbindet in seinem poetischen Alpendrama sozialkritischen Impetus mit seinem Interesse an der Volkskultur. Und er gelangte zu der Überzeugung, Mohr, „dieser Michael Kohlhaas“, habe die Melodie von „Stille Nacht“ den Rufen der Berghirten abgelauscht. „Ein spiegelverkehrter Jodler“, vermutet Bogner, „wobei die Jodler ja ebenso Arbeitsrufe waren.“ Das Weihnachtslied also eine Art Bergler-Blues?
Das größte Glück für Bogner: Er konnte Tobias Moretti gewinnen. Mittlerweile schwärmt der Schauspieler von dem Menschenfreund im Talar: „Mohr ist komplex, zerrissen und voller biographischer Kanten. Er ist ein musikalisch beseelter Mensch, den das Leben in sein Priesteramt hineingeschwemmt hat“, betont Moretti, der Komposition studiert hat und von Klavier bis Gitarre eine Reihe Instrumente spielt. „Er kommt aus einem sozialen Nirwana, einem gesellschaftlichen Vakuum.“ Das habe ihn besonders gereizt. Bogner spricht vom „Anarchischen des Helden“. Die Geschichte indes besitzt eine archaische Urkraft, wie sie guten Bergdramen eigen ist. Liebe, Tod und Geburt – am Ende steht nicht nur ein Lied, es wird auch ein Christkind geboren. Ähnlich bewegt sollen auch die Dreharbeiten gewesen sein: Dauerregen, Stechmückenplage, der Kameramann auf der Intensivstation, außerdem Star und Regisseur unter einer 30 Meter langen Dekorationswand begraben. (Text-Stand: 22.12.1997)