Eine Frau gesteht einen Mord, eine andere kann das nicht glauben!
Es gibt schönere Arten zu sterben, als betäubt bei lebendigem Leib Pekaris zum Fraß vorgeworfen zu werden. Was bleibt: ein angenagter Kopf, ein Schuh, Kleiderfetzen; der Rest des Mordopfers befindet sich in den Bäuchen der gefräßigen Nabelschweine. Ganz schön eklig für die, die sich um die menschlichen Überreste kümmern müssen. Die Streifenpolizistin Sanela Beara (Alina Levshin) ist als erste vor Ort, als Kriminalkommissar Gehring (Jürgen Tarrach) eintrifft, schickt dieser die übereifrige Kollegin erst einmal zum Kaffeeholen. Dabei trifft diese auf Tierparkpflegerin Charlie Rubin (Anna Loos). Auf dem Weg zurück zum Tatort wird Beara von hinten mit einem Spaten niedergeschlagen. Gerade wollte sie einen Blick in den Container mit Fleischabfällen werfen. Als sie im Krankenhaus wieder zu sich kommt, erfährt sie, dass Rubin unter dringendem Mordverdacht verhaftet wurde. Sie kann es nicht glauben; für sie gibt das alles keinen Sinn. Wenig später gesteht die Frau den Mord sogar: „Er war einfach da; ich hatte Lust zu töten.“ Auch der Psychiater (Benjamin Sadler), der die Zurechnungsfähigkeit & Strafmündigkeit der Inhaftierten feststellen muss, wundert sich über diese Frau, die wenig später in seiner Anwesenheit einen Selbstmordversuch unternimmt.
Eine Polizistin und ein Psychiater gehen der „Sache“ auf den Grund
„Das Dorf der Mörder“ ist ein ZDF-Montagskrimidrama der düsteren Sorte. Die junge Heldin lässt sich bald nicht mehr abspeisen, will sich weder auskurieren noch will sie länger Kaffee holen. Sie glaubt an die Unschuld dieser Frau – und Ungerechtigkeit kann sie nur schlecht aushalten; die Kroatin musste als Kind mit ansehen, wie ihre Mutter vor ihren Augen getötet wurde. Jetzt fühlt sich jene Sanela verantwortlich für diese seltsam ruppige Frau, die – wie sie glaubt – überhaupt nur durch sie in den Fall hineingeraten ist. Aber weshalb das Geständnis? Will Rubin den wahren Täter decken? Der Psychiater vermutet die Ursachen für die Störung in deren Kindheit. In diese Richtung machen er und die Polizistin sich alsbald auf – getrennt: Er fährt zu Charlies jüngerer Schwester Cara, die als Tierärztin auf einem Reiterhof arbeitet, und sie ins brandenburgische Heimatdorf der Schwestern, Wendisch Bruch. Heute ein Geisterort, die Männer sind weggegangen oder liegen auf dem Friedhof, nur ein paar Frauen sind geblieben. Während sich der Psychiater an der erfreulicheren Seite von Charlies Vergangenheit delektieren darf, der schönen, zehn Jahre jüngeren scheinbar unbeschwerten Schwester, die sich auffallend schnell heranmacht an den Seelendoktor von der traurigen Gestalt, muss die Trauma-erfahrene Kroatin in die schrecklichen Familienverhältnisse der Rubins eintauchen und stößt dabei auf die schwarze Seele eines ganzen Dorfes.
Schreckliche Ereignisse, lustvolle Filmsprache und spielerische Momente
Geheimnisse aus der Vergangenheit sind die Hüter der Spannung in zahlreichen Fernsehfilmen der letzten Jahre. Meist sind Frauen auf der Suche nach der eigenen Identität, mal ist das politisch motiviert, mal reißerischer Humbug. „Das Dorf der Mörder“ ist in diesem vom ZDF bevorzugten Subgenre ein sehenswerter Ausreißer nach oben. Autor-Regisseur Niki Stein hat nach Motiven des gleichnamigen Romans von Elisabeth Herrmann einen Film geschaffen, der die Stärke der Vorlage – dichte Charaktere und ein psychologisch ausgefeilter Thriller-Plot – aufnimmt und gekonnt ins Medium der bewegten Bilder überträgt, indem er besonders die filmspezifischen Möglichkeiten nutzt. Schon immer hat er mit seinem Lieblings-Bildgestalter Arthur W. Ahrweiler Ehrgeiz darin entwickelt, Einstellungen ohne Schnitt durchzudrehen, was vornehmlich ein Privileg des Arthauskinos’ ist. Bei schnellen Szenen werden auf diese Weise Bewegungen und Tempo noch gesteigert („Der Tote im Eis“); in Komödien sind solche Plansequenzen einfach nur schräg und spielerisch („Dr. Gressmann zeigt Gefühle“) und in Kammerspielen betonen sie häufig die Komplizenschaft („Die Konferenz“). In „Das Dorf der Mörder“ verfolgt die Kamera das erste Aufeinandertreffen von Psychiater und „Prinzessin“, Charlies Schwester Cara, in einer einzigen Einstellung und nimmt damit ihr späteres Verhältnis quasi filmästhetisch vorweg, bevor die Sprache der Frau („Spritzen Sie mal“) und die Körpersprache des Mannes (Verunsicherung & Befangenheit) mit weiteren Symbolen das erotische Spiel anfeuern. In den letzten 15 Minuten, in denen es Thriller-mäßig so richtig zur Sache geht, sorgt eine weitere Plansequenz für das letzte Augenzwinkern im Film: Der Kommissar braucht mal wieder einen Kaffee, die Mitarbeiterin ist so freundlich und holt das nötige Wasser dazu von der Damentoilette – ihr Chef folgt willig und lässt sich dabei noch die neuesten Rechercheergebnisse mitteilen. Geschnitten wären diese knapp eineinhalb Minuten nur der halbe Spaß. Dass solche Szenen nicht als Fremdkörper wirken, dass es gelingt, Jürgen Tarrachs Macho-Bullen anzuschrägen, ohne eine Karikatur aus ihm zu machen, und dass Stein Benjamin Sadlers schambesetztem Psychiater sowie Anna Brüggemanns aufgekratzter Schönheit schwere und leichte Momente gleichermaßen ins Textbuch geschrieben hat – das ist gerade bei einem Film wie diesem, der davon erzählt, zu welchen Grausamkeiten Menschen in der Lage sind, eine großen Leistung.
Alina Levshin, Anna Loos & die allgegenwärtige Logik des Schreckens
Und trotz solcher entlastender Momente bleibt in „Das Dorf der Mörder“ stets alles der Logik des Schreckens untergeordnet, was bei den Pekaris ihren Anfang nimmt. Der Mythos des schrecklichen Dorfes steigt nach und nach am Horizont auf, wahrgenommen allein von der Heldin. Es wird kein singuläres biographisches Ereignis gesucht, das irgendwann aus der Kiste springt. Der menschliche Horror schwelt, ist ständig spürbar. Das heruntergekommene, verlassene Kaff, der Rubinhof – wie er von der Tochter verlassen wurde, so steht er heute noch da, am Waldrand, das nasskalte Winterwetter tut das Übrige. Die Polizistin und auch Charlies wohlbehütete Schwester, zusammen mit ihrem Psycho-Lover, gehen in diesem Haus auf Zeichen-Jagd. Immer wieder sind es also Bilder (das Unbehauste, Püppchen als Symbole für die Rollen in der Kindheit, ein Metallbett, ein Schloss), die sich vor die Sprache schieben und den Zuschauer aktiv und suggestiv am Geschehen und dessen Enträtseln beteiligen.
Anna Loos mit ihrem Hang zum Ein-Mienen-Spiel ist in ihrer tragenden Nebenrolle künstlerisch sehr viel überzeugender als in einigen ihrer Hauptrollen („Mord in den Dünen“). Ihre Charlie Rubin ist ein Charakter voller kräftiger Frage- und Ausrufezeichen. Eine Frau, die sich nicht in die Karten gucken lässt, wild, unversöhnlich, unberechenbar. Sie schimpft, sie bellt, sie verhält sich wie ein verletztes Raubtier, das spürt, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hat. Alina Levshin in der Hauptrolle darf endlich mal wieder Blick-Schauspielerin sein wie in „Alaska Johansson“ oder „Kriegerin“. Ihre Polizistin ist eine Frau, die sich zu allem ihren Teil denkt (auch zum Kaffeeholen), zunächst aber gehorsam schweigt, dann explodiert („Wenn Sie alle Ihre Arbeit machen würden, dann bräuchte ich mich nicht darum zu kümmern“), bevor sie in aller Ruhe ihr Ding macht. Levshin ist ein gutes Medium für Steins Geschichte, denn sie trifft mit ihrem Spiel sehr genau die Tonlage des Films. Nur gegen Ende muss sich ihre Sanela Beara vom Genre geschlagen geben. Dann gerät auch noch Cara in die Fänge eines Dorfbewohners. Zwei junge Frauen in Gefahr – das muss als Höhepunkt eines überaus spannenden Krimidramas wohl immer noch so sein.