Jana (Anna Unterberger) ist im Stress. Das Büffet für die Geburtstagsfeier ihres Mannes Alexander (Hanno Koffler) am Abend muss vorbereitet werden. Zwischendurch legt sie eine Yoga-Pause ein, aber beim Video-Meeting mit ihrer Dozentin schaltet die zweifache Mutter die Kamera gar nicht erst ein, weil sie gleichzeitig noch Gemüse schnippelt. Dass Haushaltshilfe Natalia (Kristina Yaroshenko) ausnahmsweise ihre kleine Tochter Anna (Anna Cheban) mitbringt, nimmt sie aber entspannt und freundlich auf, zumal sie selbst eine Tochter namens Anna in ähnlichem Alter hat. Anna und ihre ältere Schwester sind in der Schule, also führt Jana die Tochter von Natalia in das Kinderzimmer voller Spielsachen. „Wow“ entfährt es Anna, die umgehend im Spiel mit der beleuchteten, detailverliebt ausgestatteten Puppenstube versinkt. Viel später wird man ihre eigene, etwas bescheidenere Puppenstube sehen. Das Spielzeug bildet im Kleinen die soziale Kluft der filmischen Realität ab: Das schicke Haus von Jana und Alexander auf der einen, Natalias Frauen-WG in einem Marzahner Plattenbau sowie die bescheidene Wohnung von Natalias Oma in Moldau auf der anderen Seite.
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Foto: ZDF / Gordon Muehle
Jana muss zur Uni und bittet Natalia, noch den Ofen abzustellen und das Sakko ihres Mannes Alexander aus der Reinigung zu holen. Doch Natalia verunglückt im hektischen Berliner Straßenverkehr. Jana wundert sich bei ihrer Rückkehr über das fehlende Sakko und den immer noch laufenden Ofen. Ihr vergeblicher Anruf bei Natalia führt dazu, dass die Polizei während der Geburtstagsfeier vor der Tür steht. Doch Jana und Alexander sind weder der Nachname noch der Wohnort Natalias bekannt – allzu groß war das Interesse an der von Freundinnen vermittelten Haushaltshilfe wohl nicht. Erst spät am Abend entdecken Jana und Alexander die schlafende Anna, die sich in der (natürlich nicht eingeschalteten) Sauna zur Ruhe gelegt hat. Dass sie sich in der fremden und fremdsprachigen Umgebung nicht getraut hat, nach der ausbleibenden Mutter zu fragen, erscheint etwas seltsam, aber keineswegs ausgeschlossen. Und Jana dachte, dass Natalia ihre Tochter wohl mitgenommen habe.
Präzise und spannend entwickelt Autorin Frauke Hunfeld („Lauchhammer – Tod in der Lausitz“) nun die Konflikte, die das tragische Ereignis auslöst. Natalia, die im Krankenhaus im Koma liegt, hält sich illegal in Deutschland auf und wurde dementsprechend von Jana und Alexander schwarz und ohne Versicherungsschutz beschäftigt. Alexander fürchtet nicht nur gewaltige Kosten für Gesundheitsbehandlung und Haftpflicht auf sich zukommen, sondern auch um seine gerade begonnenen politischen Ambitionen. Denn eine Illegale schwarz zu beschäftigen, macht sich nicht so gut für einen Kandidaten, der für Diversität und soziale Gerechtigkeit stehen möchte und mit Appellen für eine nachhaltige Welt Karriere machen will, wenn auch vorerst nur im Bezirksparlament. Auch beruflich gerät Alexander unter Druck, weil ein wichtiger Auftrag wegzubrechen droht. Martin (Daniel Christensen), sein Geschäfts-Partner, wirft ihm vor, sich zu verzetteln und nicht bei der Sache zu sein. Die mit ihm seit Friedensdemo-Zeiten befreundete Anwältin Andrea (Britta Hammelstein) rechnet kühl vor: Natalias Tod sei billiger, als wenn sie zu einem Pflegefall würde. So bekommt hier auch die Doppelmoral im linksliberalen Milieu, in dem man sich aller hochtrabenden Bekenntnisse zum Trotz billiger Arbeitskräfte aus Osteuropa oder anderswo bedient, ihr Fett weg.
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Im Mittelpunkt aber steht Janas Ringen mit ihrem schlechten Gewissen gegenüber Natalia und ihrer Sorge für Anna, während die Ereignisse ihre eigene Familie vor ein schwer auflösbares Dilemma gestellt haben. Mithilfe einer Zeichnung von Anna findet Jana heraus, wo Natalia in Berlin gelebt hat. Aber in die Frauen-WG in Marzahn will sie Anna nicht zurückbringen, zumal dort ein zwielichtiger Vermieter (Ivan Vrgoc) auftaucht und die aus Osteuropa stammenden Bewohnerinnen kräftig abkassiert. Anna einfach den Behörden zu übergeben, kommt nach einiger Zeit immer weniger in Frage, denn auch ohne Übersetzungssoftware im Smartphone freunden sich die moldawische Anna und die Berliner Anna immer mehr an. Verena S. Freytag inszeniert die Szenen mit den Kindern in diesem hochemotionalen Drama ohne falsche Rührseligkeit. Und auch sonst werden keine Figuren billig vorgeführt. Holly Finks Bildgestaltung sorgt für Nähe und Intensität, und die teils offenen, teils zupackenden Dialoge vermeiden geschwätzige Belehrung oder oberflächliche Empörungs-Rhetorik.
Interessanter Weise – und keineswegs abwegig – steht hier ein klassisches Familienmodell für das grüne, linksliberale Milieu, das hier also durchaus konservativ gezeichnet wird. Alexander geht arbeiten und bringt das Geld nach Hause, Jana studiert, muss sich aber praktisch allein um Kinder und Haushalt kümmern. Die Frage, was mit Anna werden soll, lässt auch die Konflikte um die Rollenverteilung in der Ehe aufbrechen – emanzipatorische Kritik bleibt also nicht außen vor. Dass der Film doch wieder hauptsächlich die Perspektive der wohlhabenden deutschen Familie einnimmt, ist ein teilweise berechtigter Einwand. Mit Annas Schmerz und ihrer Sorge um die Mutter, dem Ausgeliefertsein der illegal in Deutschland lebenden Frauen in Marzahn und den Lebensumständen von Annas schwer kranker Oma werden immerhin auch die Realitäten von Menschen in den Blick genommen, die aus einem der ärmsten Länder Europas stammen. Natalia ist Diplom-Ingenieurin, muss aber als Haushaltshilfe in Berlin arbeiten, um die medizinische Behandlung ihrer Mutter finanzieren zu können. Dass der Film nicht in Hoffnungslosigkeit endet, sollte man ihm nicht übel nehmen. Entscheidend ist eher die Botschaft, dass sich etwas bewegen lässt, wenn man Verantwortung übernimmt.
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