Da muss in der Kindheit ganz gehörig was schief gelaufen sein
„Ein guter Koch kocht mit dem Schwanz“, brüllt Michi Griesebach (Fritz Karl) durch die von ihm zum Schlachtfeld erklärte Küche. Bei diesem sexsüchtigen Kochlöffelprofi muss gehörig was schief gelaufen sein in der Kindheit. Definitiv etwas schief gelaufen ist bei Helene Dumont (Christina Hecke) – die bekommt feuchte Augen, wenn ihre Schülerinnen von ihren Papis schwärmen. Bei ihrem gab es keine Nahrung für die Seele, dafür Gourmet-Delikatessen bereits im Vorschulalter. Helene ist mit Mitte 30 Veganerin, alleinstehend, ziel- & orgasmuslos und sie lässt sich noch immer von ihrem Vater verunsichern. Dieser ist Harry Dumont (Herbert Knaup), ein gefürchteter Restaurantkritiker. Der muss nicht nur wegen der unpädagogischen Auslegung seiner Vaterrolle eine Klatsche haben, sondern auch wegen seiner extremen Feindschaft zu jenem Michi Griesebach: Weil der einst mit Dumonts Frau eine Affäre hatte, ging alles, was dieser fortan anpackte, daneben, denn sein Erzfeind schrieb ihn jahrelang in Grund und Boden. Jetzt steht Griesebach erneut vor einer Restauranteröffnung – mit Serge (Stipe Erceg) und Patrizia (Sylta Fee Wegmann) und mit Giovanni von Houten (Filip Peeters) als Kompagnon. Ein Wink des Schicksals lässt ihn in die Rolle seines Bruders Volker (Martin Brambach) schlüpfen: der ist Psychotherapeut und hat bald eine neue Patientin: Helene Dumont. Ihre Infos könnten ihm möglicherweise Dumont ans Küchenmesser liefern. Doch der Coup geht nach hinten los – muss sich Michi Griesebach doch in Helenes Erfahrungen mit ihrem Totalversagervater selbst erkennen. Und dann hat er sich auch noch in sie verliebt.
Foto: Degeto / Frank Dicks
Zwei exzessive, narzisstische & Testosteron gesteuerte Macho-Diven
„Liebe geht durch den Magen.“ Auf der Grundlage dieses Sprichworts entstanden jahrzehntelang liebenswerte Wohlfühlfilme wie „Babettes Fest“, „Bella Martha“, „Chocolat“, „Madame Mallory und der Duft von Curry“ oder „Soul Kitchen“. Die Gaumenfreuden werden in diesen Kinofilmen vom bezaubernden Reich latenter Erotik umspielt. In „Das beste Stück vom Braten“ ist es hingegen durchtriebene Fleischeslust oder sexuelle Frustration, die die beiden männlichen Helden, „diese exzessiven, Frauen verachtenden, narzisstischen und Testosteron gesteuerten Diven“, antreibt. Was die sexuelle Gier, den krankhaften Machismo angeht, so spiegeln sich in der männlichen Hauptfigur, Fritz Karls Meisterkoch, schon eher die dekadenten Herren aus „Das große Fressen“ oder der selbstsüchtige Lust-Zampano aus „9 1/2 Wochen“, hinter dessen Sinneslust Abgründe lauern. Und irgendwann geht dem Helden ein Licht auf, nachdem er das Buch seines Psychologen-Bruders gelesen und das „innere Kind“ in sich entdeckt hat. Und weil er jetzt seine „narzisstische Persönlichkeitsstörung“ kennt, rät er sogleich der Frau, in die er sich verliebt hat, von einem wie ihm ab. Die Sinn-Krise folgt auf dem Fuß. „Ich koche nur für mich, für mein Ego, nicht für die anderen, um ihnen eine Freude zu machen“, muss er erkennen und verfällt in Weltschmerz. Jetzt kann er seine Egomanie nicht mal mehr in der Küche ausleben. In dieser Situation kann ihm nur einer helfen: sein Erzfeind. Denn der hat dieselben Probleme und der liebt dieselbe Frau. Und so bringen der Koch & der Kritiker auf der Zielgeraden dieser ARD-Komödie „ein besoffenes Männerding“ an den Start: Saufen & Essen aus Verzweiflung. Auch Helene, gerade erst von der lustlosen Essensaufnahme befreit, ist unglücklich und schaufelt alles in sich ’rein.
Foto: Degeto / Frank Dicks
Situations- und Charakterkomik halten sich wirkungsvoll die Waage
Dem intelligenten Subtext zum Trotz ist „Das beste Stück vom Braten“ eine Komödie der sehr direkten Art. Wo man hinschaut und hinhört sind Exzentriker zugange – da wird gebrüllt und gebrutzelt, geflucht und betrogen, gepupst und geprotzt. Und zu diesem Lügen- und Intrigenspiel mit bewussten und zufälligen Verwechslungen passen große Gesten, überzogene Verhaltensweisen, geborene Laut-Sprecher. Die Witze spielen mit Macho-Klischees („Was langes Blondes mit französischem Akzent“), enden allerdings meist auf Kosten der Frauen-Verächter. Und auch bei der Wandlung zum Frauenversteher gibt es immer wieder Rückfälle („Das ist für Männer mit kleinen Penissen“). Manch eine Pointe gerät sogar ein bisschen selbstreferentiell: „Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie aussehen wie Meg Ryan?“, fragt der sich als Therapeut ausgebende Koch. „Die ist 50 und sieht aus wie ein operiertes Robben-Baby“, wundert sich die Patientin (Hecke ist 37 und ihr Lächeln erinnert deutlich an Julia Roberts). Diese musste im Übrigen auf dem Therapeutenstuhl Platz nehmen, weil es sich der falsche Seelenklempner auf der Couch gut gehen lässt. Überhaupt macht die Situations-Komik, die selbstredend immer auch viel Charakterkomik mitbringt, den besonderen Reiz aus.
Echte Schmunzelkomödie: Hohes Tempo, gutes Timing & ein Top-Cast
Klassische Schmunzel- oder Ablachkomödien sind selten geworden im Fernsehen, seitdem Sat 1 kaum noch welche produziert, im Ersten und im ZDF Alltag, Realismus oder anschlussfähige Themen die Oberhand auch im leichten Fach gewinnen (und somit beim abendfüllenden Format allenfalls von Dramödie geredet werden kann) und seitdem auch Sitcoms fast ganz aus dem Angebotsportfolio der Sender verschwunden sind. Auf diesem Hintergrund dürfte „Das beste Stück vom Braten“ Freunden dezent ab- und überdrehten Komödien-Handwerks besonderen Spaß machen. Hohes Tempo, gutes Timing, dazu ein passend dynamischer Score von Helmut Zerlett, mit Knaup, Hecke, Brambach und Fritz Karl als Koch, der nichts anbrennen lässt, eine Top-Besetzung – und im Schlussdrittel einige Ruhemomente mit der zu erwartenden Läuterung. Die Küche – ein Käfig voller Neurotiker und mieser Väter. Und eigentlich müssen sie alle auf die Couch. (Text-Stand: 25.4.2016)
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