Neurosen erblühen auf Maillingers Berghütte
Karl Maillinger (Friedrich von Thun) hat wieder Oberwasser. Die zwei Jahre Gefängnis wegen Steuerhinterziehung hat der Schraubenfabrikant abgesessen, jetzt will er die Geschäfte wieder übernehmen. Tochter Anna (Sophie von Kessel) ist empört. Sie und ihr Bruder Vince (Marc Hosemann) haben die Firma geleitet unter der Bedingung, dass sich der Alte nach der unfreiwilligen Auszeit freiwillig ganz aufs Altenteil zurückzieht. An diese Abmachung kann sich das Familienoberhaupt plötzlich ebenso wenig erinnern wie an sein Baby-Versprechen gegenüber Dina (Franziska Schlattner). Da würde er lieber schon seinen Knastkumpel Edward (Christoph Letkowski) adoptieren. Der hat alles, was der Alte bei den eigenen Kindern vermisst – und er steht plötzlich auf der Matte von Maillingers Berghütte. „Ein ganz gewöhnlicher Hochstapler“, schnauft Anna vor Wut, die nun endgültig ihre Firmenfelle davonschwimmen sieht. Dieser gut aussehende junge Mann schmeichelt der Sippe, hat auf alles eine Antwort und lässt sich so realistisch von falschen Geldeintreibern auf die Nase schlagen, dass Karl mal eben 50.000 € locker macht. Als Edward dann auch noch Anna seine Liebe gesteht, fühlt sie sich bestätigt: ein Menschenfänger! Aber Papas neuer bester Freund ist nicht das einzige Problem. Auch Sorgenkind Tom (Arnd Klawitter) ist mit seinem Afrika-Hilfsprojekt ins Straucheln geraten; er ersäuft seinen Weltschmerz im Schnaps und prügelt sich mit Vince, weil dieser glaubt, Susan (Petra Schmidt-Schaller) würde wieder mit Tom schlafen. Nur bei Miriam (Anneke Schwabe) läuft es ausnahmsweise gut, dank arabischer Touristen, die sie durch die Landschaft führt und die sich ein Wunder was kosten lassen.
„Das beste aller Leben“ wurde wie die vorausgehenden Episoden „Das Beste kommt erst“ (2009), „In den besten Familien“ (2012) und „Beste Bescherung“ (2013) von der Münchner Firma Roxy Film entwickelt und produziert. Produzenten sind Andreas Richter, Annie Brunner und Ursula Woerner.
Foto: ZDF / Christian Hartmann
Die Kinder finden nur schwer ihren Weg
Dieser Familie ist nicht zu helfen. Zwar hat es sich auch bis zum Maillinger-Clan herumgesprochen, dass Geld allein nicht glücklich macht – aber mit den Beziehungen ist das eben auch so eine Sache: Und so ist die Älteste, Anna, mal wieder solo, wird Vince von Eifersucht und Tom von Selbsthass geplagt. Der einzige, der immer wieder auf die Beine fällt, ist der Senior. Während andere den eigentlich für ihn bestimmten Schaukelstuhl ausprobieren, bleibt Karl Maillinger auch in „Das beste aller Leben“, der vierten Episode über die unverbesserliche Fabrikantenfamilie der Macher – mit Angelrute, Jagdgewehr und auch ein schwarzer Koffer ist mal wieder im Spiel. Die Doppeltaufe von Enkel und Edward nimmt selbstredend auch er in die Hand und zum Sex (ohne Zeugungsversprechen) lässt er sich dann doch noch hinreißen, nachdem er zunächst ständig seinen geliebten Gustl als Schutz vor Dinas Wollust auf dem Arm herumträgt. Gegen diesen Haudegen haben die Nachgeborenen einen schweren Stand. Die einen setzen ständig alles in den Sand (Papa wird’s schon richten!) und die, die noch am ehesten ihrem Vater das Wasser reichen könnte, Anna, steht sich mit ihrem übertriebenen Ehrgeiz und der verkrampften Wesensart selbst im Weg. Erst als sie ihre kriminelle Energie entdeckt, besteht eine Chance, alte Familienmuster aufzubrechen.
Der alte Herr bekommt einen Stellvertreter
Dennoch sind sich die Maillingers treu. Jeder hat seine Rolle in diesem hysterischen Spiel. Es bleibt abzuwarten, was sich Kathrin Richter und Jürgen Schlagenhof nach diesem überraschenden Finale für die fünfte Geschichte ausdenken werden. Es sieht im Film so locker aus, als ob sich die Situationen beinahe zufällig ergeben würden (das ist die Kunst einer guten Komödie). Grundlage dafür ist ein dichtes, gut strukturiertes Drehbuch. Die Geschichte selbst ist hingegen nicht ganz so prall gefüllt wie die letzte Episode „Beste Bescherung“ um das Steuervergehen des Patriarchen. Sie punktete Weihnachten 2013 mit einer Fülle an absurden und exzessiv komischen Details und besaß hohes Tempo & zahlreiche Wendungen (völlig unverständlich, dass das ZDF diesen, den besten aller deutschen TV-Weihnachtsfilme 2015 nicht ausstrahlt!). Als ein so starkes, verbindendes Motiv zwischen den verschiedenen Geschichten, wie es das Weihnachtsfest war mit dem hysterischen Familienkrippenspiel, ist das Event Taufe freilich nicht. Das Ende der Haft mit dem christlichen Ritus der Taufe zu begehen, ist allerdings schon auch ein höchst sinnfälliges Motiv. Der Herrgott allerdings verzeiht nicht jede Sünde. Die Reinwaschung des liebenswerten Hochstaplers wird jedenfalls zum Reinfall. Und auch der alte Maillinger kommt nicht durch mit seinem zweiten Koffer. Die Qualität von „Das beste aller Leben“ liegt in der Mehrdeutigkeit vieler Situationen. Der Zuschauer hat zwar von Anfang an einen Informationsvorsprung, was die Machenschaften des „besten Freundes“ angeht, aber so ein Mehrwissen kann auch trügerisch sein.
Foto: ZDF / Christian Hartmann
Der Zuschauer sollte sich kein „Bildnis“ machen
Eine weitere Stärke liegt in der Spannung und der Vielschichtigkeit des Konflikts, der sich zwischen dem „Eindringling“ als Stellvertreter für den alten Herren und der weiblichen Hauptfigur, die sich mal wieder nicht gewürdigt und benachteiligt sieht, entwickelt. Dieser Konflikt trägt somit den Vater-Tochter-Urkonflikt in sich. Dass sich in den Konkurrenzkampf sexuelle Anziehungskräfte mischen, verkompliziert selbstredend das Ganze. Die Erotik wird allerdings von der kopfgesteuerten Anna boykottiert; mit welchem Ergebnis, das zeigt das Schlussbild, das vieles der vorherigen 90 Minuten zurechtrückt: vornehmlich das Bild, das Anna abgibt. Sophie von Kessel verleiht den Neurosen menschliche Züge; und ein bisschen kann ihre ewige Tochter einem schon leid tun. Christoph Letkowski spielt seinen Nie-aus-der-Rolle-Fallenden schön uneindeutig – so bleibt die Spannung in der Interaktion zwischen ihm und Anna. Und Friedrich von Thun ist köstlich in seinem Rollenwechselspiel zwischen Großvater, Clan-Oberhaupt, blauäugigem Freund, stürmischem Liebhaber und bauernschlauem Strippenzieher. Anstatt abzutreten bringt sich der Alte Verstärkung mit. Und immer kommt es ein bisschen anders, als man denkt. Man sollte sich kein „Bildnis“ machen.
Und was sonst noch so alles im Spiel ist …
Die Geschichten der anderen Figuren scheinen ein bisschen beliebiger zu sein. Und der Subtext kreist weiterhin um die Psychologie einer (patriarchalen) Familie: Trotzphase, Abnabelungsversuche, heimliche Bewunderung des Vaters, ins Erwachsenendasein verlängerte Pubertät. Die Wollsocken-Alternative Miriam entdeckt die Maillinger in sich – und bejubelt ihren Deal mit dem arabischen Märchen-Käufer mit den Worten: „Jetzt bin ich eine richtige Geschäftsfrau!“ Vince und Susan bleiben Funktionsfiguren, Dina sorgt für launige Zwischenspiele, während Tom der Familie und den Zuschauern noch einige Western-like Aufregung beschert. Diese Figur ist im Übrigen die einzige, die im Laufe der Jahre den Schauspieler wechselte und von Fabian Hinrichs auf Arnd Klawitter überging. Der Score spiegelt das Verspielte dieser poetischen Komödie – mit Western- und Country-Klängen, mit angejazzten Passagen und ein Honky-Tonk-Piano klimpert auch schon mal mit. Der künstliche Herbstnebel legt sich mehr oder weniger gewollt auf die Szenerie und verhindert, dass keine falschen Assoziationen zum Kitsch-affinen Berg-Wald-Wiesen-Genre aufkommen.