Sarajevo, 28. Juni 1914. Der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie fallen in der bosnischen Hauptstadt einem Attentat zum Opfer. Der ansässige Untersuchungsrichter Leo Pfeffer, ein gewissenhafter Jurist, ein kleiner Beamter, dem Großes versprochen wird, soll die Ermittlungen leiten. „Es ist offensichtlich, dass die serbische Regierung hinter diesem Attentat steckt und Sie, Dr. Pfeffer, werden das beweisen“, so lautet sein Auftrag. Die Kriegstreiber in Berlin und Wien benötigen einen wasserdichten Bericht, alles muss seine Richtigkeit haben – oder zumindest so aussehen. Pfeffer entdeckt zunehmend Ungereimtheiten: die unzureichende Sicherung des Thronfolgers oder die Veröffentlichung dessen Fahrtroute in allen Zeitungen. Sind die Morde von Sarajevo nur die Tat von drei halbwüchsigen Attentätern im Auftrag der serbischen Regierung? Oder sind höchste Kreise der deutsch-österreichischen Diplomatie in die Vorgänge involviert? Der Druck auf den aufrechten Beamten wächst. Pfeffer, der sich unglücklicherweise in die Tochter eines wohlhabenden serbischen Geschäftsmannes verliebt, wittert eine Verschwörung.
Fiktionalisierte Historie, hundertjähriges Gedenken einmal anders. „Das Attentat – Sarajevo 1914“ verengt die Perspektive, erfindet hinzu und schärft damit den Blick auf das, was die meisten Zuschauer noch vage aus dem Schulunterricht wissen. Vor allem aber unterhält der Film von Genre-Regisseur Andreas Prochaska („Spuren des Bösen“) und Grimme-Preisträger Martin Ambrosch („Tatort – Angezählt“), ein Film, der gar nicht erst versucht, das Gedenktag-Ereignis, das die Weltgeschichte in ein Davor und ein Danach teilt, geschichtsbuchgetreu abzubilden, Fakten akribisch zu rekonstruieren. „Das Attentat“ ist ein historisch-politischer Thriller, ein stimmungsvolles Melodram, es ist die Tragödie eines Einzelgängers, der sich entscheiden muss zwischen Pflicht und Moral, zwischen Vernunft und Leidenschaft. Einen kleinen Untersuchungsrichter zum Entscheider über die politische Weltlage zu machen – das ist eine kühne Entscheidung. Einen kroatischen Juden zum Zünglein an der Waage des Weltfriedens zu erklären – das ist zudem eine kühne historische Interpretation. Derselbe Hass, der den Serben in jenen Jahren entgegen– und der sich in Progromen niederschlug, den bekamen die Juden Jahrzehnte später in Europa zu spüren. Geliebt waren sie nie. Auch Pfeffer bekommt Ressentiments zu spüren. „Judensau!“, staucht ihn sein Vorgesetzter zusammen, weil Pfeffer es zu genau nimmt mit seinen Recherchen.
So trotzt die ZDF/ORF-Koproduktion dem Attentat von Sarajevo, dessen Ablauf und dessen Folgen allgemein bekannt sind, doch noch einen Mehrwert ab gegenüber einer Dokumentation zum Thema. „Durch die Erzählperspektive wird der Zuschauer auf eine Reise mitgenommen, die die historischen Zusammenhänge emotional erlebbar macht“, fasst Regisseur Prochaska Sinn und Zweck von „Das Attentat – Sarajevo 1914“ zusammen. Darüber hinaus betont der österreichische Ausnahmeregisseur den Universalität einer solchen Geschichte: „Der Versuch, ein einzelnes Sandkorn in die Mühlen von Macht und wirtschaftlichen Interessen zu streuen, ist zeitlos, genauso wie die Mechanismen, die zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen.“ Für Prochaska besitzt ein solcher historisch aufgeladener Film eine Art „Anreißer-Funktion“. Vielleicht wecke ja ein solcher „investigativer Thriller“, der einmal nicht in Verantwortung erstarrt, das Interesse des Zuschauers an den historischen Zusammenhängen, hofft er.
Für die angestrebte Wirkung des Films musste zunächst die Dominanz der historischen Kostüme abgestreift werden. Der Held bindet sich in der ersten Szene seinen Schlips. Weste, Hut, Anzug, dann fährt er Fahrrad. Andere Zeiten, andere Sitten – das ist das, was Prochaska zeigen will. Oder die geschmackvolle Kleidung der schönen Serbin. Das ist ein Kostüm(bild), mit dem die Schauspieler vor Anker gehen in einer Zeit, in die sie sich hineinbegeben müssen. Mit dem Säbel rasseln die Anderen, die hohen Militärs, die einfachen Soldaten. Nur selten tun sie es bildfüllend in der Totalen. Außerdem verhindern Schnitte zur rechten Zeit, dass sich „Kostümiertheit“ breit macht. Und immer wieder schält die Kamera die Akteure aus der beiläufig angeschnittenen Menge heraus. Massenszenen in historischen Filmen sind ein großer Stolperstein für Regisseure. Prochaska und Kameramann Andreas Berger umgehen sie geschickt. Die Kamera bewegt sich nah und schnell, gefriert Situationen ein. Das Attentat selbst wird nicht gezeigt. Zu sehen sind die Einschüsse, die angedeuteten leblosen Körper, nur Details. Das Kleine, das das Große bewirkt: die vermeintliche Ursache des Ersten Weltkriegs.
„Das Attentat – Sarajevo 1914“ zelebriert weder in seiner Geschichte vom Untersuchungsrichter Pfeffer noch in den Bildern, die er dafür findet, bedeutungsvoll Weltgeschichte. Der Atem der Geschichte steckt in den Augen-Blicken, der Ermittler, der Fahrrad fährt, die Serbin, die raucht, oder in dem, was nicht gezeigt wird. Der Zeithorizont wird bewusst überschaubar gehalten. Der Film besitzt nichts von einem Kostümschinken, dafür umso mehr von einem Kammerspiel. Die Dialoge sind knapp und anschaulich („Serbien muss sterbien“), das Spiel der Schauspieler, allen voran Florian Teichtmeister, Heino Ferch und Melika Foroutan, ist konzentriert, oft verhalten, was dem dramatischen Stoff, aber auch dem Kommunikationsstil jener Zeiten geschuldet ist. Nur die Macht spricht laut und klar: „Morgen früh liegt der Bericht auf meinem Schreibtisch oder Sie existieren nicht mehr“. Und dieser Bericht – das ist keine Überraschung – liegt am nächsten Tag auf dem Tisch des Vorgesetzten. Aber es folgt ein zweiter Bericht, Tage später, der die Hintergründe des Attentats aufzeigen wird. Doch für den interessiert sich keiner mehr. Auch nicht für das Gerichtsverfahren gegen die Attentäter. Europa hat nur noch eines im Sinn: Krieg.