Zwei erbittert zerstrittene Patriarchen, eine alte Schuld, dazu noch eine unerfüllte Liebe zwischen der Tochter des einen und dem Sohn des anderen: In einer Zeit, da es ein Heimatministerium nicht mehr allein in Bayern, sondern mittlerweile auch in Berlin gibt, liegt die ARD-Tochter Degeto mit „Daheim in den Bergen“ selbstverständlich voll im Trend. Die Geschichte des Zweiteilers könnte auch aus den Fünfzigerjahren stammen, als der Heimatfilm im Gefolge des Kassenknüllers „Der Förster vom Silberwald“ (1954) einen regelrechten Boom erlebte und die Sehnsucht der Deutschen nach heiler Welt erfüllte. Angesichts einer Welt, die von vielen Menschen als zunehmend unüberschaubar empfunden wird, sind Geschichten über Mikrokosmen sehr gefragt. Vermutlich spielen viele Filme von ARD und ZDF auch deshalb entweder auf Inseln oder in Bergdörfern: Jeder kennt jeden, alle wissen alles. Inhaltlich kann das durchaus reizvoll sein, filmgeschichtlich handelt es sich um einen Rückschritt, weil das Genre dank der modernen Heimatdramen etwa von Joseph Vilsmaier („Herbstmilch“, 1989) oder Hans Steinbichler („Hierankl“, 2003) schon mal sehr viel weiter war. Vom Realismus dieser Filme sind die Degeto-Produktionen meilenweit entfernt. Im ersten der beiden Teile von „Daheim in den Bergen“ ist beispielsweise öfter die Rede davon, dass eine Familie an der Armutsgrenze lebt; zu sehen ist davon allerdings nichts.
Die Sterne-Vergabe im Detail: Der Auftakt, „Schuld und Vergebung“, hat sich 3,5 Sterne verdient. „Liebesreigen“ kommt dagegen allenfalls auf drei Sterne.
Dass „Schuld und Vergebung“ dennoch keine Zeitverschwendung ist, liegt wie oft in solchen Fällen an den Schauspielern und am Geschick von Buch & Regie, die Geschichte fesselnd zu erzählen, zumal es sich bei der Fehde zwischen den Familien Huber und Leitner nicht bloß um ein schlichtes Nachbarschaftsgeplänkel handelt: Die Allgäubauern Lorenz Huber (Max Herbrechter) & Sebastian Leitner (Walter Sittler) waren einst beste Freunde; bis Lorenz eines Nachts Sebastians kleinen Sohn Peter überfahren hat. Damit endete auch die Jugendliebe zwischen Lisa Huber (Theresa Scholze) & Florian Leitner (Matthi Faust). In seiner Rachsucht hat sich Sebastian damals die Weidegrundstücke der Hubers unter den Nagel gerissen, die Lorenz als Sicherheit für ein Darlehen angegeben hatte; seither wirtschaftet sein Hof am Rande des Existenzminimums. 20 Jahre nach dem Unfall kehrt Lisa in ihre Heimat zurück, um ihr Lebensziel zu verwirklichen, denn ihr Jura-Studium in München hatte nur einen Grund: Sie will vor Gericht erreichen, dass die Leitners den Hubers das Land zurückgeben.
Foto: Degeto
Das Drehbuch von „Bergdoktor“-Autorin Brigitte Müller, die für die Degeto auch die Reihe „Die Eifelpraxis“ schreibt, gibt diesen Hintergrund allerdings erst nach und nach preis, weshalb „Schuld und Vergebung“ zunächst so wirkt, als habe es bereits einen früheren Film gegeben. Manch’ ein Zuschauer wird sich fragen, wer diese Leute sind und was sie miteinander verbindet, zumal im Vordergrund zunächst die Episodenhandlung steht. Die beiden weiblichen Feriengäste, die auf dem Huberhof eintreffen, sind keineswegs zum Urlaub im Allgäu, und auch diese Geschichte ist nicht uninteressant: Die kleine Emilia hat nach einem traumatischen Unfall auch die Sprache verloren. Sie und ihr Bruder haben sich nach der Trennung der Eltern dafür entschieden, beim Vater zu leben. Frieda Richthofen (Alma Leiberg) ist überzeugt, ihr Ex habe die Kinder bestochen; eine Privatdetektivin (Rike Schmid) soll Beweise dafür finden. Dummerweise verliebt sie sich in Alexander Richthofen (Johann von Bülow), der sich zudem als liebevoller Vater entpuppt. Die Mutter ist ohnehin eine komplett eindimensionale Figur, die mit starkem Make-up und Designerkleidung auf der Alm denkbar deplatziert wirkt wie eine Modenschau im Knast. Die anderen Rollen sind jedoch glaubwürdig und sehr ansprechend gespielt, und dass Alexanders Sohn David (Nico Liersch) ganz hingerissen von Sebastians Enkelin Mila (Nadja Sabersky) ist, sorgt für weitere romantische Momente. Die beiden Jugendlichen sind von Karola Hattop ausgezeichnet geführt worden. Die Regisseurin hat bereits vor Jahren in „Wer küsst schon einen Leguan?“ mit dem damals noch ganz jungen Frederick Lau bewiesen, wie gut sie mit Kindern arbeiten kann.
Auch deshalb ist das Schicksal von Emilia die berührendste Ebene des Films, zumal sie geschickt mit der Vorgeschichte der beiden verfeindeten Familien verwoben ist: Peter, der Junge, der damals bei dem Unfall gestorben ist, hatte Trisomie 21; Sebastian bietet seither dank entsprechender Ausbildung tiergestützte Therapien für Kinder an. Clever reduziert ihn das Drehbuch konsequent auf diese Rolle. Über den anstehenden Prozess oder die Fehde mit den Hubers verliert er kein Wort. Auf diese Weise kann er gleichzeitig Gegenspieler der Hubers und dennoch Sympathieträger sein, zumal die Szenen, in denen er Emilia mithilfe eines Ponys zu neuem Selbstbewusstsein verhilft, zu den schönsten des Films gehören; die junge Annika Schikarski spielt das außerordentlich gut, zumal sie fast den ganzen Film lang ohne Worte auskommen muss. Und Pony Pauli macht seine Sache ebenfalls prima.
Foto: Degeto
Die Fortsetzung, „Liebesreigen“, ist dagegen deutlich schwächer. Trug die Episodenhandlung im ersten Teil noch wesentlich dazu bei, dass der Film durchaus ansehbar und handlungsdicht war, so ist sie nun eindeutig das Manko: Die Geschichte mit den beiden Paaren, die früher über Kreuz liiert waren, ist konstruiert, die Figuren bleiben viel zu oberflächlich, weshalb selbst Schauspieler wie Anne Schäfer und Martin Gruber nicht das Format der Gastdarsteller aus „Schuld und Vergebung“ erreichen. Die horizontale Ebene bietet ebenfalls keine Überraschungen mehr: Lisa und Florian entdecken ihre alten Gefühle neu, und die ständigen Angiftungen zwischen Lisas älterer Schwester Marie (Catherine Bode) und Florians älterem Bruder Georg (Thomas Unger) münden in einer leidenschaftlichen Begegnung im Heu, von der Marie prompt schwanger wird; das schreit natürlich nach Fortsetzung. Die Patriarchen spielen nur noch Nebenrollen, haben aber trotzdem die stärksten Szenen: weil Herbrechter und Sittler nicht viele Worte brauchen, um das Ende der Eiszeit darzustellen.
Natürlich haben Hattop und Kameramann Konstantin Kröning („Die sechs Schwäne“) dafür gesorgt, dass das Allgäu prachtvoll anzuschauen ist: Sonnenuntergang hinter Berggipfeln, malerischer Abendrothimmel und ein unberührter Natursee bedienen die Sehnsucht nach der unberührten Natur. Angesichts des eindeutig regionalen Charakters der Geschichte ist es umso verwunderlicher, dass sämtliche Mitwirkenden Hochdeutsch reden; einzig Unger klingt ein bisschen bayerisch. Womöglich war der in der Tat gewöhnungsbedürftige Allgäuer Dialekt, wie ihn Herbert Knaup mit Hingabe in den Kluftinger-Krimis zelebriert, den Auftraggebern nicht salonfähig genug. Davon abgesehen gibt es vermutlich nicht viele etablierte Schauspieler, die dieser Sprache mächtig sind. (Text-Stand: 9.4.2018)