Wenn sich eine sechsteilige Serie in einem Satz zusammenfassen lässt: Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? „Da is’ ja nix“ erzählt vom Hochstapler- und Betrügerpaar Daniela und Mathias, das aus Bayern in Danielas Kleinstdorf im hohen Norden flüchtet und auch dort nicht aus seiner Haut kann. Natürlich hat Autor Georg Lippert den Handlungskern – er basiert auf einer Idee, die das Ehepaar Johanna Christine Gehlen und Sebastian Bezzel gemeinsam mit Regisseur Matthias Steurer ausgeheckt hat – ausgiebig ausgeschmückt, aber die Geschichte lässt sich tatsächlich auf diesen Kern reduzieren: Daniela (Gehlen) und Mathias (Bezzel) leben davon, gutgläubige Anleger von abenteuerlichen Projekten zu überzeugen. Genau das tun sie nun auch in Österbrarup: Bürgermeister Petersen (Benjamin Morik) sucht händeringend nach einem Wahlkampfthema, weil ihm ausgerechnet die eigene Frau (Anne Weber) das Amt streitig machen will. Mathias hat den rettenden Einfall, indem er dem Dorf blühende Landschaften verspricht. Als erstes sorgt er dafür, dass der Ort eine Attraktion bekommt: Paris hat seinen Eiffelturm, Österbrarup bekommt einen Märzbaum; Maibaum kann schließlich jeder. Auf dem Wipfel lässt er ein weithin sichtbares „Ö“ anbringen. Weil ein Baum noch keinen Wald macht, soll das verschlafene Funklochdorf, das außer Schlamm und einer Kneipe bloß einen wie vom Himmel gefallenen Container-Kiosk zu bieten hat, zum Kurort werden. „Bad Österbrarup“: Das klingt doch gleich richtig mondän.
„Da is’ ja nix“ hätte vermutlich ein fröhlicher Freitagsfilm im „Ersten“ werden können (für diesen Sendeplatz hat Steurer schon einige sehenswerte Filme gedreht), wenn Lippert den Stoff auf neunzig Minuten reduziert hätte. So jedoch gilt es, sechsmal dreißig Minuten zu füllen, und da geht dem Autor zwischendurch schon mal die Geschichte aus; ursprünglich sollte die Serie tatsächlich nur drei Folgen haben. Wirklich gelungen und sehenswert sind im Grunde nur der Auftakt und der Schluss, weil beide sehr dicht erzählt sind. Die horizontal konzipierte Serie beginnt mit betont kitschig gefilmten Postkartenansichten und einem Auftritt, wie er offenbar typisch für das Gaunerpaar ist: In einem Lokal irgendwo in Oberbayern treffen die beiden angeblichen Tourismusexperten auf Investoren wie den Zahnarzt Bruns (Herbert Knaup), der eine lukrative Anlage für sein Schwarzgeld sucht. Das Duo präsentiert sein jüngstes Projekt, ein „Sky Roof“: Wenn’s zu regnen beginnt, entfalten sich automatisch drei fächerförmige Dächer, um ein Skigebiet zu schützen. Das liebevoll gebastelte maßstabgetreue Modell hat nur einen Nachteil: Von Automatik kann keine Rede sein; unterm Servierwagen hockt der Neffe des Lokalbesitzers, der die Dächer manuell ausfährt. Weil Daniela zu geizig ist, um ihn zu bezahlen, verpetzt er sie; und so beginnt die Flucht in den betont grau und unwirtlich gefilmten Norden (Kamera: Maximilian Lips).
Leider bleibt der Prolog für längere Zeit die letzte originelle Idee; fortan beschränkt sich der Witz der Serie weitgehend darauf, dass in jeder Folge eine andere Figur den Titel zitiert. Eigentlich wollen die beiden Flüchtigen nach Skandinavien, aber weil ihnen das Geld ausgeht, machen sie in Österbrarup Zwischenstation. Hier hat Danielas Vater sie als Kind nach dem Tod der Mutter bei seiner Schwester deponiert. Alsbald zeigt sich, dass Mechthild (Eva Mattes) es ebenso faustdick hinter den Ohren hat wie ihre Nichte. Jedenfalls sorgt sie dafür, dass das Gaunerpaar erst mal da bleibt, zumal es Mathias wider Erwarten gut in dem Dorf gefällt, selbst wenn da nix is’, wie er bald feststellt. Aber wo nix is’, da passiert auch nix, und das sind für eine Serie natürlich eher schlechte Voraussetzungen.
Soundtrack: Roy Orbison („You Got It“, „Ride Away”, „Love Hurts”, „Only The Lonely”, „Falling”, „In Dreams”, „Running Scared”, „Blue Angel”, „Dream Baby”, „Pretty Woman”, „Crawling Back”, „She’s A Mystery To Me”, „It’s Over), John Lee Hooker („Boom Boom”, „Let’s Make It”), Teddy Parker („Nachtexpress nach St. Tropez”)
Der Autor hat daher neben dem Wahlkampf noch weitere Nebenebenen integriert, etwa die stille Liebe zwischen dem Bauern Köhler (Jannik Nowak) und der verhuschten Wirtin (Lisa Ursula Tschanz), die auf den Weltuntergang wartet; oder das vergebliche Werben von Köhlers Bruder (Thilo Prothmann mit Schrotgewehr und knöchellangem Western-Mantel) um Daniela, in die er schon zu Grundschulzeiten verliebt war. Immerhin sorgt ein Killer für ein bisschen Nervenkitzel, denn der geprellte Bruns hat einen Inkasso-Eintreiber engagiert: Der vierschrötige Boris (Götz Otto) soll Daniela und Mathias mit dem mobilen Bohrer des Doktors auf den Zahn fühlen. Dank tätiger Mithilfe des überkandidelten Dorfarztes (Hannes Hellmann mit neckischer Tolle) gelingt es, Boris außer Gefecht zu setzen. Gegen Ende entpuppt er sich sogar als unerwartete Hilfe bei dem Plan, aus Österbrarup eine Wellness-Oase zu machen. Und so könnte sich dank der Unterstützung durch eine begeisterte Influencerin (Alexandra Gottschlich) alles zum Guten wenden, wenn Danielas plötzlich aufgetauchter Vater (Peter Franke) nicht der Meinung wäre, dass ein richtiger Kurort ein Casino braucht.
Lippert hat vor einigen Jahren mit seinem ersten Fernsehfilmdrehbuch nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht: „Simon sagt auf Wiedersehen zu seiner Vorhaut“ (2015, Regie: Viviane Andereggen) ist für die NDR-Debütreihe „Nordlichter“ entstanden und war eine sehenswerte Tragikomödie über einen pfiffigen jüdischen Jungen kurz vor der Pubertät, dessen Leben gewaltig aus den Fugen gerät. Die Geschichte war voller Ironie und ein vergnügliches Spiel mit Klischees. In „Da is’ ja nix“ werden die Klischees dagegen eher bedient als hinterfragt, zumal einige Dorfbewohner typische Hinterwäldler sind; schräg zwar, aber ohne jene gewisse Note, die ihre Skurrilität liebenswert machen würde. Das gilt letztlich auch für Daniela und Mathias, selbst wenn Mathias charakterlich an Bezzels Rolle in den erfolgreichen „Eberhofer-Krimis“ erinnert: Der Dorfpolizist mag’s ebenfalls gemütlich und harmonisch. Das macht den Betrüger zwar noch nicht zu einem Gauner zum Verlieben, aber seine Einfälle sind immerhin fantasievoll. Trotzdem reichen seine Geistesblitze ebenso wenig für drei Stunden Sendezeit wie einige witzige Einfälle: Hätte Bürgermeister Petersen damals nicht so arrogant reagiert, hieße das deutsche Heavy-Metal-Mekka nicht Wacken, sondern Österbrarup. Sympathisch ist auch die Idee, die Serie für ein „Greatest Hits“ von Roy Orbison (mit „It’s Over“ zum Schluss) zu nutzen. Respekt gebührt der Produktion zudem für das Kunststück, die Corona-Unterbrechung erfolgreich kaschiert zu haben: Die im winterlichen Februar begonnenen Dreharbeiten konnten erst im Mai fortgesetzt werden. Der NDR startet die Serie zunächst in der ARD-Mediathek und strahlt sie dann in seinem Weihnachtsprogramm aus.