Den einen jagt halb Berlin, den anderen halb Wien: Das schweißt zusammen. Gemeinsam fahren die beiden unfreiwilligen Freunde nach Südfrankreich, wo Charly seine Frau und deren Sohn eigentlich in Sicherheit wähnte; aber nach den beiden sucht nun halb Marseille. Ganz schön was los also in dieser Netflix-Serie, deren Titel „Crooks“ viel zu harmlos ist: Bei den Typen, die Charly und Joseph auf den Fersen sind, handelt es sich nicht um Gauner, sondern um knallharte Gangster, für die ein Menschenleben nichts zählt; es sei denn, jemand aus der eigenen Familie ist betroffen. Entsprechend vielfältig ist das Gemisch, das den Motor der Handlung antreibt: erst Gier, dann Rache, außerdem Freundschaft und Verrat; und – Liebe.
Foto: Netflix / Starck
Der kreative Kopf hinter „Crooks“ ist Marvin Kren, der für seine TNT-Serie „4 Blocks“ (2017) unter anderem mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis geehrt worden ist; seither hat er offenbar Carte blanche. Das ist zwar schön für ihn, aber keine Garantie für großes Fernsehen, wie zuletzt „Der weiße Kobold“ (ORF/ARD, 2023) zeigte. In der Thriller-Komödie spielt Frederick Lau einen braven Speditionskaufmann, dem die Begegnung mit einer schönen Frau die aufregendste Nacht seines Lebens beschert. Nach einem turbulenten Auftakt geht dem Film jedoch die Luft aus; nun lebt die Handlung in erster Linie von den zum Teil allzu bemüht krawallig und originell wirkenden Nachtgestalten. Diese Gesellen tummeln sich auch in „Crooks“. Die Serien-Wiener, deren Dialekt zudem oft nur schwer zu verstehen ist, neigen jedoch zu ähnlicher Geschwätzigkeit wie die Figuren Quentin Tarantinos, mit dem Kren darüber hinaus eine ausgeprägte Vorliebe für zelebrierte Gewaltszenen teilt (Ko-Regie: Cüneyt Kaya); Netflix empfiehlt „Crooks“ völlig zu Recht erst ab 16.
Soundtrack: Element of Crime („Blaulicht und Zwielicht“), Rainhard Fendrich („Haben Sie Wien schon bei Nacht gesehen“, „Vogelfrei“), I Nuovi Angeli („Troppa bella“), Klitclique („Auto“), Hansi Dujmic („Ausgeliefert“), Johann Strauß („An der schönen blauen Donau“), Wendy Rene („After Laughter“)
Der französische Philosoph Paul Virilio hatte zwar etwas anderes im Sinn, als er sich 1990 in seinem Essay „Rasender Stillstand“ mit den Missständen der modernen Mediengesellschaft auseinandersetzte, aber auf Krens Serie passt die Zustandsbeschreibung perfekt: Es passiert dauernd was, doch die Handlung kommt kaum von der Stelle; auch wenn das angesichts der Verfolgungsjagd quer durch Europa widersprüchlich klingt. Dass „Crooks“ trotzdem Spaß macht, liegt an den beiden Hauptfiguren und ihren Darstellern. Charly (Lau) führt ein beschauliches Leben an der Seite von Samira (Svenja Jung) und ihrem kleinen Sohn, als er eines Tages von seiner Vergangenheit als Safeknacker heimgesucht wird. Mitglieder eines arabischen Clans haben eine russische Münze gestohlen, Schätzwert: zwei Millionen Euro. Das gute Stück lagert nun in einem Tresor, den einzig Charly knacken kann, wozu ihn seine einstigen Komplizen prompt erpressen. Der Coup klappt, aber dann kommt es zu einer Schießerei. Weil sich Charly um den sterbenden Münzendieb (Veysel Gelin) gekümmert hat, gilt er nun als Mörder des Bruders von Familienoberhaupt Hassan Al Walid (Erdal Yildiz).
Foto: Netflix / Starck
Auch in Wien geht’s um zwei Brüder: Auftraggeber des Diebstahls war ein dahinsiechender Unterweltboss, der zum Zorn seines Bruders Franz (Karl Walunschek) den unehelichen Sohn Joseph (Christoph Krutzler) zu seinem Nachfolger erklärt; prompt landet der brave Fahrer ebenfalls auf einer Abschussliste. Wie stets in solchen Geschichten spielen abgesehen von den Gejagten sämtliche Beteiligten ein doppeltes Spiel. Selbst auf Charlys alten Kumpel Rami (Kida Khodr Ramadan) scheint kein Verlass zu sein, zumal ihm eine korsische Bandenchefin das Leben schwer macht; die wiederum zwingt Charly mit der Entführung Samiras zu einem weiteren letzten Coup. Uneingeschränkt sehenswert ist auch das zentrale Duo; gerade Christoph Krutzler hat nicht nur physisch eine enorme Präsenz.
Die vielen Verästelungen erwecken den Anschein einer beeindruckenden Komplexität, doch wenn die Fronten erst mal geklärt sind, hangelt sich die Handlung von einer Schießerei und Schlägerei zur nächsten, weshalb es zwischenzeitlich fast zwangsläufig zum Spannungsabfall kommt. Spätestens jetzt nerven auch die genreüblich bis an den Rand der unfreiwilligen Komik überhöhten Stereotype, allen voran das lautstarke Männlichkeitsgehabe der Araber. Die Bildgestaltung (Xiaosu Han, Andreas Thalhammer) ist allerdings ebenso herausragend wie die Thriller-Musik (Stefan Will); der Schnitt sorgt an den richtigen Stellen für Tempo. Zumindest hinsichtlich dieser Gewerke ist „Crooks“ preiswürdig, und viele der gern mal grimmigen Drehbuchideen sind schlicht famos. Trotzdem hätten’s sechs Folgen auch getan.