Was war das für ein Comeback! Désirée Nosbusch in der ZDF-Serie „Bad Banks“ als Grande Dame der Hochfinanz, deren gewinnendes Auftreten erfolgreich kaschiert, dass sie aus dem gleichen Holz geschnitzt ist wie die Alphatiere der Branche: ein Ereignis, das 2019 zu Recht mit einem Grimme-Preis gewürdigt worden ist. Ihre besten Rollen seither waren Frauen, die sich mit heroischem Trotz gegen ein bitteres Schicksal wehren: eine krebskranke Patriarchin im ZDF-Zweiteiler „Süßer Rausch“ (2022), eine verwitwete Polizeipsychologin und trockene Alkoholikerin im „Irland-Krimi“ (ARD, seit 2019). „Conti“, mutmaßlicher Auftakt einer neuen ZDF-Reihe, bietet der Luxemburgerin eine ähnlich große Bühne: Anna Conti hat einen atemberaubenden Absturz hinter sich, der zunächst nur angedeutet wird; in Berichten ist von einem Video die Rede, das die einstige Hamburger Star-Anwältin angeblich bei Sexspielen und Drogenkonsum auf einer Party zeigt. Sehr viel später wird noch erwähnt, es habe eine Anklage wegen Beihilfe zum Menschenhandel gegeben, sie sei jedoch freigesprochen worden; kleine Informationshappen, die mit Erfolg die Neugier auf eine Fortsetzung schüren.
Als der Film beginnt, liegen diese Ereignisse bereits eine Weile zurück. Die Juristin wird mit einem Alptraum eingeführt, in dem ihr eine Medienmeute zusetzt, die auch aus Dantes „Inferno“ stammen könnte. Ein ähnliches Schicksal erlebt kurz drauf eine populäre Sängerin: Elisabeth „Liz“ Jordan (Larissa Sirah Herden) soll ihr 13 Wochen altes Baby in der Badewanne ertränkt haben. Die Frau ist geständig, der Fall scheint klar, offen ist allein, ob sie am Ende wegen Totschlags oder als Mörderin verurteilt wird. Die ehrgeizige junge Staatsanwältin Henriette „Henry“ Mahn (Malaya Stern Takeda) unterstellt Liz Vorsatz und niedere Beweggründe. Conti ergreift die Gelegenheit, um das freiwillige Exil in der Obhut ihrer italienischen Mutter (Gabi Gasser) hinter sich zu lassen. Neben der Aussicht, mit einem schlagzeilenträchtigen Prozess auf die Gerichtsbühne zurückzukehren, sind es vermutlich die Parallelen zu ihrem eigenen Schicksal, die sie triggern: Der Popstar ist Opfer einer medialen Hetzjagd, die öffentliche Meinung hat Liz längst verurteilt.
„Meine zwei Gesichter“ bezieht sich auf ein Lied, das Liz gleich zu Beginn singt, aber die wahre Bedeutung des Titels offenbart sich erst im Verlauf der Verhandlung, die den dritten Akt und somit das Finale des Films bildet. Da der Fall juristisch und psychologisch weitaus komplizierter ist, als er sich zunächst darbietet, gibt es reichlich Erklärungsbedarf und entsprechend viel Dialog. Hier tut sich allerdings eine kleine Kluft auf: Erfahrene Ensemble-Mitglieder wir Nosbusch oder Achim Buch als Psychiater und Contis zukünftiger Exmann verkörpern ihre Rollen uneingeschränkt überzeugend, und die Darbietungen von Larissa Sirah Herden, als Episodengast in der ZDFneo-Serie „Loving Her“ (2021) ein echter Knüller, sind sehr berührend. Gerade einige der weiteren jüngeren Mitwirkenden stoßen dagegen mitunter deutlich an Grenzen, was zum Teil auch am Drehbuch (Lucas Thiem, Daniel Schwarz) liegt. Wenig glaubwürdig ist beispielsweise die Figur von Contis Assistent, der sich in der Kanzlei häuslich eingerichtet und die Büroräume in einen Saustall verwandelt hat. Die heitere Note, um die Carlo (Maximilian Mundt) die Handlung wohl ergänzen soll, wirkt völlig deplatziert.
Nicht immer überzeugend agiert auch Malaya Stern Takeda, was besonders bedauerlich ist, weil die Auseinandersetzungen zwischen der Staatsanwältin und der Starverteidigerin mehr als bloß ein juristisches Duell sind: Henry Mahn hat bis zu dem Skandal für Conti gearbeitet. Auch wenn der darstellerische Vergleich angesichts von Nosbuschs Ausstrahlung unfair ist: Zwischen den Leistungen der beiden Schauspielerinnen liegt eine Welt. Allzu offenkundig und fast schon plump ist auch der Versuch, die Staatsanwältin ebenfalls mit einem Hintergrundgeheimnis zu versehen. Als sie ihren Vater (Tonio Arango) besucht, wirft der ihr vor, sie halte sich für was Besseres, aber „du bist und bleibst ein Stück Scheiße, wie die ganze Familie.“ Ähnlich undifferenziert ist die Rolle von Liz’ ausschließlich erfolgsorientierter Managerin (Lana Cooper), die aber immerhin interessante Einblicke in die Mechanismen des Musikbusiness gibt. Daniel Sträßer schließlich verkörpert Liz’ Lebensgefährten als ähnlich potenziellen Unhold wie seinen „Tatort“-Kommissar aus Saarbrücken. Drehbuchphrasen wie „Jeder hat Abgründe“ passen ebenso ins uneinheitliche Gesamtbild wie ein Schnuten-Selfie, das eine junge Polizistin im Zimmer des toten Kindes macht.
Hinzu kommen handwerkliche Schwächen. Nahezu alle aus dem Off eingesprochenen Bemerkungen klingen aufgesagt; das gilt vor allem für die Zitate aus den digitalen Netz-Werken zu Verhandlungsbeginn. Zwischenschnitte, die die Reaktionen der Prozessbeteiligten verdeutlichen sollen, als das Drehbuch seinen vermeintlichen Knüller enthüllt, sind ebenfalls wenig geglückt, und die gelegentlichen Zeitlupenstudien wirken wie ein Versuch, die optische Ebene aufzupeppen. Garde hat zuletzt die ARD-Serie („Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“, 2023) gedreht, auch da gab es Momente bei der Bildgestaltung, die den ansonsten ausgezeichneten Gesamteindruck beeinträchtigt haben. Angesichts dieser Kritikpunkte mag es überraschen, dass der Film dennoch empfehlenswert ist, aber die Geschichte ist dank der fachlichen Details neunzig Minuten lang fesselnd und Nosbusch verkörpert ihre Rolle mit großer Hingabe. Starke Frauenfiguren jenseits der fünfzig in zentralen Rollen sind in Filmen und Serien rein statistisch zudem nach wie vor deutlich in der Minderheit.