„Harmlos wie Zuckerplätzchen“, warb vor 50 Jahren das Pharmaunternehmen Grünenthal für sein neues Beruhigungsmittel Contergan, das gesunden Schlaf versprach. Die Werbung kam an im Wirtschaftswunderland, wo sich auch die Mütter Unpässlichkeiten nicht länger erlauben wollten. Doch die Wirkung war verheerend. Das Mittel hatte zu starken Missbildungen bei Tausenden von Neugeborenen geführt. Den Babys fehlten Beine, Arme, sie hatten auch innere Schädigungen. Von über 5000 Contergan-Opfern in Deutschland überlebten nur rund 2700. Die Contergan-Tragödie war ein Schock für das von naivem Fortschrittsglauben erfüllte Land. Dem Pharmaskandal folgte ein Justizskandal. Die Staatsanwaltschaft nahm 1961 die Ermittlungen auf, Anklage wurde 1969 erhoben. Das Verfahren wurde wegen „geringer Schuld“ eingestellt. 100 Millionen Mark zahlte Grünenthal an die Betroffenen. Keine Worte des Bedauerns, keine Entschuldigung bei den Opfern. Das Geld ist längst aufgebraucht.
Beinahe wäre es 37 Jahre nach Prozess-Ende zu einem weiteren Rechtsskandal gekommen. So wurde die Ausstrahlung des ARD-Zweiteilers „Contergan“ per Einstweiliger Verfügungen von Grünenthal und dem ehemaligen Anwalt der Contergan-Opfer Karl-Hermann Schulte-Hillen verhindert. Produzent Michael Souvignier und der WDR wurden in einen eineinhalbjährigen juristischen Marathon aus 23 gerichtlichen Verfahren verwickelt. Den vorläufigen Schlussakkord lieferte das Bundesverfassungsgericht im September 2007: die 32 Kritik-Punkte der Kläger sind auf einen einzigen Punkt zusammengeschmolzen. Eine Szene musste nachgedreht werden, der Ausstrahlung steht nichts mehr im Weg.
Es wäre tragisch gewesen, wenn dieser Film im Giftschrank verschwunden wäre. Selten ist ein historischer Stoff mit so viel publizistischer Akribie, dramaturgischer Feinfühligkeit und Liebe zum zeitgeschichtlichen Detail bearbeitet worden. Der Film verzichtet auf Pathos und Betroffenheitsschmus. Die Emotionen werden einem nicht aufgedrängt, sie entstehen in leisen, intimen Szenen. Dass Anwalt Schulte-Hillen, der sich in der Hauptfigur wieder zu erkennen glaubte und nach jahrelangem Kampf gegen Grünenthal die Seite gewechselt hat, so vehement gegen den Film zu Felde zieht, ist unverständlich: Anwalt Paul Wegener ist der Inbegriff des integren Zeitgenossen, ein Mann ohne Fehl und Tadel.
Erzählt wird die Geschichte der Familie Wegener. Der Mann ist auf dem Weg, Karriere als Anwalt zu machen. Frau Vera genießt derweil die Errungenschaften des Wirtschaftswunders. Mit der Geburt ihrer Tochter Katrin gerät ihr Leben aus der wohlgeordneten Bahn: das Kind kommt nur mit einem Bein und zwei verstümmelten Armen zur Welt. Der erste Teil „Eine einzige Tablette“ zeigt die Recherche des Anwalts und erste Einschüchterungsversuche von Seiten der Konzern-Anwälte. Der stärkere zweite Teil beginnt mit der Eröffnung des Prozesses. Geschickt wechselt Winkelmann zwischen den Szenerien und den Tonlagen. Den Szenen vor Gericht und dem Hinterzimmertreiben der Herren in Grau stellt er den Alltag zu Hause bei den Wegeners entgegen. Besonders eindringlich ist die Geburtstagsfeier-Szene: Mutter Vera und Katrin sitzen an der leeren Tafel, keine Freundin ist gekommen.
„Contergan“ ist mehr als die Aufarbeitung eines Pharma- und Justizskandals, der als David-gegen-Goliath-Geschichte erzählte Film ist gleichzeitig als Sittengeschichte der 60er Jahre angelegt, einer Zeit, in der in Deutschland noch mehr der 50er-Jahre-Wind wehte als es den 68ern recht war. „Der Umgang mit Behinderten war noch durch den Ton des Dritten Reichs bestimmt“, betont Schauspieler Hans-Werner Meyer. Viel zu tun bekamen Ausstatter und Kostümbildner. Die Stimmigkeit im Look war Perfektionist Adolf Winkelmann besonders wichtig: „Alles muss ein Gesamtbild ergeben, das einen in die Zeit hineinversetzt.“