Asylbewerber aus Kamerun wird in einer WG mit offenen Armen empfangen
Eine WG in Berlin-Kreuzberg nimmt einen Asylbewerber aus Kamerun auf. Samuel (Richard Fouofié Djimeli) wird mit offenen Armen empfangen. Es läuft gut, Samuel selbst ist ein sympathischer, sanfter Typ, der in seiner Heimat Ingenieurwissenschaften studiert hat, gerne kocht und allenfalls ab und zu die Musik etwas laut aufdreht. Man versteht sich, freundet sich an. Insbesondere die 28 Jahre alte Deutsch-Französin Martha (eine Entdeckung: Sylvaine Faligant in ihrer ersten Hauptrolle), die gerade eine erste Stelle als Eventmanagerin angetreten hat, kümmert sich um ihn und hilft ihm bei Behördenkontakten. Sie empfindet es als „große Ungerechtigkeit, dass nicht alle die gleichen Chancen haben“, erklärt sie zu Beginn in die Kamera – ein Stilbruch, den Regisseurin Franziska M. Hoenisch nur dieses eine Mal anwendet. Zur WG gehören außerdem Yasmin (Maryam Zaree), eine Lehrerin, und der US-Amerikaner Jamie (Artjom Gilz), der Spaßvogel der WG, der sich im „Kartoffelland“ erst mal um Samuels „Kartoffel-Integration“ kümmert. Verständigung ist kein Problem, man spricht Deutsch, Französisch und Englisch, was im Film längere, untertitelte Passagen zur Folge hat.
Licht und Kamera sorgen für eine sinnlich-intime Atmosphäre
Hoenisch konzentriert sich angesichts der vergleichsweise begrenzten Mittel ihres Diplomfilms an der Filmakademie Baden-Württemberg auf das Wesentliche. „Club Europa“ spielt nahezu ausschließlich in den WG-Räumen, ist eher Kammerspiel als Berlin-Film. Der Schauwert ist also übersichtlich, ebenso wie die Zahl der dramatischen Wendungen. Dafür überzeugt dieser „kleine“ Film durch authentische Sprache, durch das Fehlen gekünstelter Dialoge und auch durch eine sinnlich-intime Atmosphäre, für die vor allem das diffuse Licht und die Kamera von Stefanie Reinhard mit vielen Nahaufnahmen und einem Wechselspiel von Schärfen und Unschärfen sorgt. Erotische Annäherungen werden, etwa in den Tanzszenen bei der Party, angedeutet, aber die Nähe zwischen den Figuren bewahrt eine knisternde Uneindeutigkeit. Hinzu kommt der lässige Sound der dosiert eingesetzten Indie-Musik. Die passende Schlusspointe im Abspann wird mit dem Song „If I were a Sneaker“ von den Goldenen Zitronen gesetzt, der 2015 neu aufgelegten, englischen Version von „Wenn ich ein Turnschuh wär“. Die Band hatte schon zehn Jahre zuvor hellsichtig getextet: „Für eine Fahrt ans Mittelmeer gäb ich meine letzten Mittel her.“ Und: „Über euer scheiß Mittelmeer käm ich, wenn ich ein Turnschuh wär. Oder als Flachbild-Scheiß – ich hätte wenigstens ein‘ Preis.“
Marthas unhaltbares Versprechen: „Wir lassen dich nicht im Stich“
Ein Film aus dem Land der Willkommens-Kultur also, aber einer, der die eigene Hilfsbereitschaft kritisch reflektiert. Die WG steht für eine Generation gebildeter junger Frauen und Männer, die in der Zeit der Globalisierung ihren Platz sucht. Kulturelle Aufgeschlossenheit ist selbstverständlich, Solidarität mit den Geflüchteten auch. Als zwei Polizisten vor der Tür stehen, um dem anonymen Hinweis nachzugehen, in der WG halte sich jemand illegal auf, reagiert Martha gereizt. Später versichert sie dem verunsicherten Samuel: „Wir lassen Dich nicht im Stich. Das wird immer so sein.“ Und als Samuels Asylantrag abgelehnt wird, packt sie der Zorn: „So ein Scheißland.“ Gleichzeitig bahnt sich an, dass die Solidarität der WG an Grenzen stoßen könnte. Alle haben ihr eigenes Leben: Martha ist noch unsicher, was die eigene Zukunft betrifft. Der Stress beim Berufseinstieg. Die frische Liebe zu Paul (Anton Rubtsov). Yasmin hat schon klarere Vorstellungen, ist mit Steffen (Roland Bonjour) liiert und hat als Lehrerin Fuß gefasst. Von Jamie erfährt man weniger, die Figur bleibt etwas dem Klischee vom sorglos um sich selbst kreisenden Amerikaner verhaftet.
„Unserer unpolitischen Generation und uns selbst einen Spiegel vorhalten“
Als auch Samuels Klage gegen die Asyl-Ablehnung abgewiesen wird, kommt es zum Schwur. Das bittere Ende überrascht dann zwar nicht mehr, aber wie unaufgeregt und konzentriert Franziska M. Hoenisch die entscheidende Krisensitzung in der WG inszeniert und den Film mit einer lakonischen Schlussszene ausklingen lässt, ist schmerzhaft und sehenswert. „Die Geschichte des Films entwickelte sich in Echtzeit mit der Wirklichkeit. Erst war es mir ganz wichtig, dass die Geschichte ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Integration setzt. Durch Gespräche mit Betroffenen und durch die ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Komfortzone wurde aber immer klarer, dass wir unserer unpolitischen Generation und uns selbst einen Spiegel vorhalten wollen. Ich wünsche mir, dass der Film zum Diskutieren über die eigene politische Macht anregt“, sagt die Regisseurin über ihren Debütfilm, der 2017 beim Max-Ophüls-Festival den Preis für den gesellschaftlich relevanten Film erhielt und nun beim ZDF in der „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten“-Reihe des Kleinen Fernsehspiels ausgestrahlt wird. In Wahrheit fand „Club Europa“ nicht den Weg in die Kinos, weshalb die Ausstrahlung im Fernsehen umso bedeutsamer ist. (Text-Stand: 28.6.2017)