Um die Faszination des Kinos zu verdeutlichen, schrieb der Filmphilosoph Siegfried Kracauer einst von den „Ladenmädchen“, die sich im dunklen Lichtspieltheater in märchenhafte Geschichten hineinträumen und so ihren Alltag vergessen. Autor Alexander Kühne liefert die passende Geschichte, indem er ein solches hübsch naives „Ladenmädchen“ zur Heldin seiner Romanze „Claudia, das Mädchen von Kasse 1“ macht – von der Theke geht’s an die Kasse im Supermarkt. Dort taucht eines Tages ein Schwarm aus ihren Jugend auf. Martin Fischer hat es etwas weiter gebracht als sie und war in den Neunzigern eine richtig große Nummer im Pop-Geschäft. Doch die Zeiten haben sich geändert. Fischers Manager ist mittlerweile sein Bruder. Der fährt zwar im Jaguar durch Berlin, doch das Gefährt ist derart abgewrackt, dass selbst sein nicht minder verkrachter Besitzer daneben noch eine gute Figur macht.
Schon allein die Besetzung dieser drei Rollen ist so stimmig, dass vermutlich selbst eine weniger originelle Geschichte funktionieren würde. Jan Gregor Kremp macht eine Menge aus der Nebenfigur des Bruders, der dem früheren Popstar mehr oder weniger peinliche Auftritte in Einkaufszentren und als Sänger von Werbemelodien vermittelt. Ralf Bauer überrascht mit offenbar mindestens brauchbarer Gitarrenkunst; vom stimmlichen Einsatz ganz zu schweigen. Sat-1-Gesicht Sophie Schütt macht mimisch mitunter ein bisschen viel, aber das ist nun mal ihr Stil. Ansonsten spielt sie Kassiererin Claudia grundsympathisch. Deren geräumige Wohnung ist weniger glaubwürdig als ihr Talent: Claudia ist offenbar begnadete Schreiberin. Selbst an der Kasse vertraut sie ihre Gedanken einem Tagebuch an (mit Füllfederhalter!).
Dieses Talent soll Fischers Karriere einen neuen Schub geben: Nachdem ihm endlich wieder einfällt, dass er mal was mit Claudia hatte (aber nur „obenrum“), kommt Bruder Norbert auf die Idee, sie könne doch Martins Biografie schreiben. Im Zuge des gemeinsamen Schwelgens in Erinnerungen erwachen vor allem in Claudia prompt wieder die früheren Gefühle. Dass Martin keineswegs im Grand Hotel residiert, sondern bei Norbert im Zimmer von dessen Tochter, hätte Claudia ihm ja noch verziehen. Aber dann wirft er ihr an den Kopf, als Popstar würde er sich ja kaum mit einer Kassiererin abgeben, und so viel Realismus ist Claudia dann doch zuviel. Zu allem Überfluss hat Verlagslektorin Ophelia die vorübergehende Vakanz an Martins Seite prompt genutzt, sich ihm an den Hals geworfen und im fertigen Buch jeden Hinweis auf Claudias Urheberschaft getilgt. Die aber gewinnt den öffentlich ausgetragenen Zickenkrieg, indem sie Ophelia beherzt eine Schüssel mit Bowle über den Kopf schüttet.
Die Kamera (Daniel Koppelkamm) muss Sophie Schütt mitunter allzu nah auf die Pelle rücken, aber gerade die Slapstick-Szenen inszeniert Peter Stauch mit komischer Beiläufigkeit: mal fällt Claudia fast von der Leiter, als sie Martin sieht, mal zappelt der beim Gespräch mit ihr so lange auf seinem Stuhl herum, bis er tatsächlich auf dem Hintern landet. Nett sind auch die Einlagen der ständig stichelnden Kolleginnen Claudias, die in ihrer Piccolo-Seligkeit unter anderem Martins Hotelschwindel auffliegen lassen. Dafür steuern sie zum hochromantischen Finale eine sehenswerte Einlage als Background-Chor bei: Martin, endlich zur Vernunft gekommen, bringt Claudia via Lautsprecheranlage ein Ständchen und trägt seinen neuen Song vor. Wer da nicht mitschmilzt, hat ein Herz aus Stein. (Text-Stand: 24.2.2009)