Mit der dementen Frau Rumi (Klara Höfels) hat Caro (Silke Bodenbender) schon oft Ausflüge und Reisen unternommen, zumindest hat sie so getan als ob. Frau Rumi genügt die Dia-Show mit Naturfotos an der Wand ihres Zimmers, während Caro der alten Dame die Füße wickelt. „Ist es noch weit?“, fragt Caro, die fürsorgliche Altenpflegerin. „Nur noch über den Sattel. Du schaffst das“, antwortet Frau Rumi, die sich auf Wanderschaft wähnt. Aber: Nein, Caro schafft es nicht mehr. Der plötzliche Tod von Frau Rumi gibt ihr, so scheint es, den Rest. Mit einer ausdrucksstarken Parallelmontage führt Regisseurin Nana Neul das Publikum in der ersten Viertelstunde in das Leben der Altenpflegerin Caro ein, erzählt von der Überforderung im Job und der Situation zuhause mit ihrem Mann sowie gleichzeitig vom Auf- und Ausbruch aus dem alten Leben. Ganz so spontan scheint Caro den Entschluss nicht gefasst zu haben, denn im Schließfach am Bahnhof warten schon die Wanderschuhe und ein gepackter Rucksack.
Foto: HR / Bettina Müller
Caro zieht es hinaus in die Natur, in die Ruhe des Waldes, den deutschen Sehnsuchtsort schlechthin. Endlich einmal allein sein, dem Stress im Pflegeheim und der Umklammerung des Gatten entkommen. Ihr Mann Markus (Trystan Pütter) ist liebevoll, er kocht und schreibt Caro ein eigenes Lied, plappert fröhlich auf sie ein, während Caro blass und schweigsam nach der Arbeit am Tisch sitzt und einfach nur schlafen will. Aber wenn Markus ihr abends im Bett aus der Gebrauchsanweisung für Kettensägen vorliest, versinkt er selbst zuerst in den Schlaf. Also nimmt die ausgebrannte Caro heimlich Reißaus. Auch das Pflegeheim hat sie offenbar nicht vorgewarnt, aber das erfährt man nur am Rande, denn „Check out“ ist kein Themen-Film und nimmt den Pflegenotstand nur als Ausgangsmotiv für den Selbstfindungs-Trip einer Frau, die in der Mitte ihres Lebens nicht mehr weiter weiß. Eine ungewöhnliche und auch physisch anspruchsvolle Rolle für Silke Bodenbender, die hier einmal mehr ihr Talent für krisengeschüttelte Charaktere mitten aus dem Leben beweist.
Foto: HR / Bettina Müller
In ähnlichen Filmen wie in Hape Kerkelings Kino-Pilgerreise „Ich bin dann mal weg“, in dem Freundeswanderdrama „Eine harte Tour“ oder in dem BR-Fernsehfilm „12 Tage Sommer“, bei dem ein Vater und ein Sohn gemeinsam durch Oberbayern auf die Zugspitze wandern, haben die Protagonisten ein Ziel vor Augen. Das mag dramaturgische Vorteile haben, doch in „Check out“ nutzt das Drehbuch von Kristl Philippi und David Ungureit gerade Caros Rat- und Ziellosigkeit zu einer tragikomischen Wanderung durch die dünn besiedelte deutsche Mittelgebirgslandschaft (gedreht wurde im Taunus und im Rheingau). Zu sehen gibt es: Viel Wald, einige Weinberge, ein aufdringliches Wildschwein und Forellenteiche, aber keine romantische Wander-Verklärung. Zudem setzt die Musik von Songwriterin Masha Qrella einen eigenwilligen, entspannten Kontrapunkt zum inneren Durcheinander der Heldin.
Caros Hoffnung, dem Stress des Alltags zu entkommen, erfüllt sich erst einmal nicht. Weil sie ein Feuerzeug vergessen hat, gibt es nur kaltes Fertigessen aus der Tüte. An Schlafen ist auch nicht zu denken, weil nachts Tiere ums Zelt streunen. Und das Bad im einsamen Waldsee stört Frau Rumi, die plötzlich im Wasser schwimmt und gerettet werden will. Der Geist der forschen Alten ist aber nicht die einzige skurrile Begegnung: Hans-Jochen Wagner spielt einen Waldschrat-ähnlichen Hüttenbewohner, dem Caro ein Feuerzeug klaut. Trost spenden Marie Rosa Tietjen und Birte Schnöink als verliebte Jägerinnen. Auch Bettina Stucky als freundliche Polizistin und Uwe Rohde als hilfsbereiter Traktorfahrer haben kleine, feine Nebenrollen. Aber für das komische Highlight sorgt Ernst Stötzner als Fahrer der Buslinie 813, ein Seelenverwandter Caros, denn: „Ich fahre nirgendwo hin. Im Grunde genommen fahre ich im Kreis.“ Trotz gelegentlicher Durchhänger im Beziehungsgeplänkel mit Markus, der Caro erfolgreich aufspürt und ihr seltsamer Weise in Holzclogs hinterherstolpert, bietet „Checkout“ kurzweilige, lebens- und naturnahe Unterhaltung. (Text-Stand: 3.9.2022)
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