Check out

Silke Bodenbender, Trystan Pütter, Philippi/Ungureit, Nana Neul. Leben am Wegesrand

Foto: HR / Bettina Müller
Foto Thomas Gehringer

Silke Bodenbender nimmt als überforderte Altenpflegerin Reißaus: Der HR-Fernsehfilm „Check out“ ist in der Regie von Nana Neul eine etwas andere Wander-Komödie, nicht nur Selbstfindungstrip und Beziehungsdrama, sondern auch ein versponnener Ausflug in die deutsche Mittelgebirgs-Landschaft. Skurrile Figuren am Wegesrand (oder im Bus) und komische Dialoge würzen das scheinbar ziellose Davonlaufen der Altenpflegerin Caro, die vom Geist einer gerade verstorbenen Alten – und ihrem Ehemann – verfolgt wird. Viel Wald, einige Weinberge und Forellenteiche, aber keine romantische Wander-Verklärung, dazu die entspannte Musik von Songwriterin Masha Qrella: „Checkout“ bietet nach einem Drehbuch von Kristl Philippi und David Ungureit natur- und lebensnahe Unterhaltung.

Mit der dementen Frau Rumi (Klara Höfels) hat Caro (Silke Bodenbender) schon oft Ausflüge und Reisen unternommen, zumindest hat sie so getan als ob. Frau Rumi genügt die Dia-Show mit Naturfotos an der Wand ihres Zimmers, während Caro der alten Dame die Füße wickelt. „Ist es noch weit?“, fragt Caro, die fürsorgliche Altenpflegerin. „Nur noch über den Sattel. Du schaffst das“, antwortet Frau Rumi, die sich auf Wanderschaft wähnt. Aber: Nein, Caro schafft es nicht mehr. Der plötzliche Tod von Frau Rumi gibt ihr, so scheint es, den Rest. Mit einer ausdrucksstarken Parallelmontage führt Regisseurin Nana Neul das Publikum in der ersten Viertelstunde in das Leben der Altenpflegerin Caro ein, erzählt von der Überforderung im Job und der Situation zuhause mit ihrem Mann sowie gleichzeitig vom Auf- und Ausbruch aus dem alten Leben. Ganz so spontan scheint Caro den Entschluss nicht gefasst zu haben, denn im Schließfach am Bahnhof warten schon die Wanderschuhe und ein gepackter Rucksack.

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Das Sterben der dementen Frau Rumi (Klara Höfels) lässt offenbar in Caro (Silke Bodenbender) einen Entschluss reifen. Der Rucksack jedenfalls ist bereits gepackt.

Caro zieht es hinaus in die Natur, in die Ruhe des Waldes, den deutschen Sehnsuchtsort schlechthin. Endlich einmal allein sein, dem Stress im Pflegeheim und der Umklammerung des Gatten entkommen. Ihr Mann Markus (Trystan Pütter) ist liebevoll, er kocht und schreibt Caro ein eigenes Lied, plappert fröhlich auf sie ein, während Caro blass und schweigsam nach der Arbeit am Tisch sitzt und einfach nur schlafen will. Aber wenn Markus ihr abends im Bett aus der Gebrauchsanweisung für Kettensägen vorliest, versinkt er selbst zuerst in den Schlaf. Also nimmt die ausgebrannte Caro heimlich Reißaus. Auch das Pflegeheim hat sie offenbar nicht vorgewarnt, aber das erfährt man nur am Rande, denn „Check out“ ist kein Themen-Film und nimmt den Pflegenotstand nur als Ausgangsmotiv für den Selbstfindungs-Trip einer Frau, die in der Mitte ihres Lebens nicht mehr weiter weiß. Eine ungewöhnliche und auch physisch anspruchsvolle Rolle für Silke Bodenbender, die hier einmal mehr ihr Talent für krisengeschüttelte Charaktere mitten aus dem Leben beweist.

Check outFoto: HR / Bettina Müller
„Ich fahre nirgendwo hin. Im Grunde genommen fahre ich im Kreis.“ Das ist ganz in Caros Sinne. Ein komisches Highlight ist Ernst Stötzner als Fahrer der Buslinie 81.

In ähnlichen Filmen wie in Hape Kerkelings Kino-Pilgerreise „Ich bin dann mal weg“, in dem Freundeswanderdrama „Eine harte Tour“ oder in dem BR-Fernsehfilm „12 Tage Sommer“, bei dem ein Vater und ein Sohn gemeinsam durch Oberbayern auf die Zugspitze wandern, haben die Protagonisten ein Ziel vor Augen. Das mag dramaturgische Vorteile haben, doch in „Check out“ nutzt das Drehbuch von Kristl Philippi und David Ungureit gerade Caros Rat- und Ziellosigkeit zu einer tragikomischen Wanderung durch die dünn besiedelte deutsche Mittelgebirgslandschaft (gedreht wurde im Taunus und im Rheingau). Zu sehen gibt es: Viel Wald, einige Weinberge, ein aufdringliches Wildschwein und Forellenteiche, aber keine romantische Wander-Verklärung. Zudem setzt die Musik von Songwriterin Masha Qrella einen eigenwilligen, entspannten Kontrapunkt zum inneren Durcheinander der Heldin.

Caros Hoffnung, dem Stress des Alltags zu entkommen, erfüllt sich erst einmal nicht. Weil sie ein Feuerzeug vergessen hat, gibt es nur kaltes Fertigessen aus der Tüte. An Schlafen ist auch nicht zu denken, weil nachts Tiere ums Zelt streunen. Und das Bad im einsamen Waldsee stört Frau Rumi, die plötzlich im Wasser schwimmt und gerettet werden will. Der Geist der forschen Alten ist aber nicht die einzige skurrile Begegnung: Hans-Jochen Wagner spielt einen Waldschrat-ähnlichen Hüttenbewohner, dem Caro ein Feuerzeug klaut. Trost spenden Marie Rosa Tietjen und Birte Schnöink als verliebte Jägerinnen. Auch Bettina Stucky als freundliche Polizistin und Uwe Rohde als hilfsbereiter Traktorfahrer haben kleine, feine Nebenrollen. Aber für das komische Highlight sorgt Ernst Stötzner als Fahrer der Buslinie 813, ein Seelenverwandter Caros, denn: „Ich fahre nirgendwo hin. Im Grunde genommen fahre ich im Kreis.“ Trotz gelegentlicher Durchhänger im Beziehungsgeplänkel mit Markus, der Caro erfolgreich aufspürt und ihr seltsamer Weise in Holzclogs hinterherstolpert, bietet „Checkout“ kurzweilige, lebens- und naturnahe Unterhaltung. (Text-Stand: 3.9.2022)

Check outFoto: HR / Bettina Müller
Eigentlich ein ganz lieber Mann (Trystan Pütter). Aber manchmal geht er Caro (Silke Bodenbender), die sich am Rande des Burnouts befindet, dermaßen auf die Nerven.

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Fernsehfilm

HR

Mit Silke Bodenbender, Trystan Pütter, Klara Höfels, Ernst Stötzner, Hans-Jochen Wagner, Marie Rosa Tietjen, Birte Schnöink, Uwe Rohde, Bettina Stucky, Christoph Pütthoff, Heiko Raulin, Hans Schwab

Kamera: Bernhard Keller

Szenenbild: Bettina Schmidt

Kostüm: Ulrike Scharfschwerdt

Schnitt: Natalie Trapp

Musik: Masha Qrella

Redaktion: Jörg Himstedt, Erin Högerle

Produktionsfirma: Hessischer Rundfunk

Produktion: Dominik Diers

Drehbuch: Kristl Philippi, David Ungureit

Regie: Nana Neul

Quote: 2,89 Mio. Zuschauer (11,6% MA)

EA: 21.09.2022 08:00 Uhr | ARD

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