Das Unbehagen vermittelt sich fast körperlich: Im Zug wird eine Frau von einem Mann fixiert. Plötzlich hat er eine Pistole in der Hand. Von einem Moment auf den anderen geht es um Leben und Tod. Die Frau versucht zu fliehen und rettet sich dank der Hilfe einer Mitreisenden in die Toilette. Der Mann schießt ein paar mal durch die Tür, dann ist der Schrecken überstanden. Am nächsten Bahnhof werden die Waggons von der Polizei durchsucht, doch der Attentäter ist verschwunden. Zurück bleibt ein Rätsel: Wer war der Fremde im Zug? Xenia Paget (Anna König) schwört Stein und Bein, dass sie ihn noch nie gesehen hat. Ihr Überleben hat sie Kate Linville (Henny Reents) zu verdanken. Die Polizistin wird auf diese Weise rascher mit ihrem ersten Fall in der alten Heimat konfrontiert, als ihr lieb ist: Kate hat sich von London in den Norden Yorkshires versetzen lassen, um in Scarborough weiterhin mit Caleb Hale (Lucas Gregorowicz) arbeiten zu können; zusammen mit dem Chefinspektor hatte sie zuletzt den „Hochmoorkiller“ gejagt („Die Suche“, 2021, ebenfalls nach einem Roman von Charlotte Link). An ihrer neuen Arbeitsstelle erwartet sie jedoch eine unangenehme Überraschung: Der Kollege ist wegen seines Alkoholproblems suspendiert worden.
Foto: Degeto / Roland Suso Richter
Der Auftakt ist vor allem dank der Musik ein packender Thriller. Auch inhaltlich bleibt der Film fesselnd, denn kurz darauf kommt es zu einem weiteren Anschlag: Jemand hat ein Drahtseil über den Waldweg gespannt, den eine Lehrerin (Ramona von Pusch) stets zur gleichen Zeit bei ihrer täglichen Radtour befährt. Sie überlebt den Sturz zwar, ist jedoch wegen einer Fraktur des Rückgrats fortan zu keiner Bewegung mehr fähig und quasi in ihrem eigenen Körper eingesperrt. Unmittelbar nach dem Unfall hat ein Farmer einen Schuss gehört. Zur Verblüffung von Kate und Calebs Nachfolger Stewart (Mathias Junge) stellt sich heraus, dass die Kugel, die die Frau nur knapp verfehlt hat, aus derselben Waffe stammt wie beim Mordversuch im Zug; zwischen den beiden Opfern gibt es jedoch keinerlei Verbindung.
Natürlich weckt das Rätsel, wo wohl der Zusammenhang sein mag, die Neugier, selbst wenn Benjamin Benedicts Adaption der Romanvorlage alsbald an einen durch Alfred Hitchcock verfilmten Klassiker von Patricia Highsmith erinnert. Die Intensität des Auftakts erreicht der Krimi jedoch erst gegen Ende wieder; zwischendurch gibt es sogar den einen oder anderen Leerlauf. Das galt zwar auch schon für „Die Suche“, doch das war ein Zweiteiler; „Ohne Schuld“ dauert dagegen nur knapp neunzig Minuten. Der gelegentliche Spannungsabfall ist ungewöhnlich, denn Regie führte Roland Suso Richter, für Filme wie „Die Bubi Scholz Story“ (1998), „Der Tunnel“ (2001), „Dresden“ (2006), „Mogadischu“ (2008) oder „Die Spiegel-Affäre“ (2014) vielfach ausgezeichnet; seine Beiträge zur ARD-Reihe „Der Zürich-Krimi“ sind regelmäßig von überdurchschnittlicher Qualität. „Ohne Schuld“ zeichnet sich immerhin wie sämtliche Arbeiten Richters durch eine hochwertige Optik aus; die Bildgestaltung von Stammkameramann Max Knauer ist auch beim „Zürich-Krimi“ regelmäßig herausragend.
Foto: Degeto / Roland Suso Richter
Ein weiteres Manko ist dagegen drehbuchbedingt: Aufgrund von Hales Zwangsurlaub haben Henny Reents und Lucas Gregorowicz, deren Zusammenspiel einen großen Reiz des ersten Films ausmachte, kaum gemeinsame Szenen, zumal der abgesetzte Polizeichef erst mal aus der Geschichte verschwindet. Dafür dominiert er den letzten Akt, als Kate dem Mann aus dem Zug, der bereits mehrere Morde begangen hat, freiwillig in die Falle geht, um die während ihrer Verlegung in eine Spezialklinik entführte Lehrerin zu retten. Die Musik von Andreas Weidinger hält allerdings ihr hohes Niveau. Die Handlung ist ohnehin interessant, zumal Kate irgendwann ahnt, dass sich der Schlüssel zu den Taten in den Vergangenheiten der beiden Frauen befindet. Das wirkt zwar stellenweise etwas konstruiert, ist aber insgesamt schlüssig. Dass „Ohne Schuld“ dennoch nicht das gewohnte Richter-Niveau erreicht, liegt nicht zuletzt an der klischeehaften Überzeichnung gerade der männlichen Figuren: Der Mörder (Liliom Lewald) ist ein typischer Kinokiller mit psychopathischen Zügen, sein junger Komplize entspricht dem Filmetikett „durchgeknallt“. Ärgerlich sind auch Sätze wie Stewarts Belehrung „Die meisten Verbrechen werden innerhalb von Familien und Partnerschaften begangen.“ Das kann er vielleicht einem Polizei-Azubi erzählen, aber nicht einer erfahrenen Scotland-Yard-Ermittlerin; und schon gar nicht dem versierten TV-Krimi-Publikum. (Text-Stand: 12.8.2024)
1 Antwort
Den Film in diesen Tagen erst als Konserve gesehen.
Der Film hätte besser werden können, wenn den beiden historischen Kriminalfall-Hintergründen mehr Screentime eingeräumt worden wäre. Aber dann wäre wohl für die beiden Kommissar-Hauptdarsteller weniger Screentime vorhanden gewesen. Vielleicht hätte man dann aus dem Film auch einen 2-Teiler machen können, der – glaube ich – auch gut funktioniert hätte. Stattdessen liess man die beiden Kommissare sehr viel Zeit damit verbringen, dass Sie in unwohligen Räumlichkeiten angsterfüllt spazieren gingen, aber dann erfüllten sie wenigstens das Muss an der gewünschten Screentime….ärgerlich…denn es gab in der Vergangenheit schon bessere Charlotte Link Verfilmungen….und dieser Krimistoff hätte Potenzial gehabt.