Natürlich sind Henny Reents und Lucas Gregorowicz die Stars dieses Films, und über allem schwebt Charlotte Link, schließlich hat die ARD-Tochter Degeto den Namen der Romanautorin längst als Reihentitel etabliert. Trotzdem wäre der etwas übertrieben als „Psychothriller“ etikettierte Zweiteiler ohne den Schauplatz nur halb so eindrucksvoll: Der Film ist in der englischen Grafschaft North Yorkshire entstanden, weite Teile der Handlung spielen in einer gottverlassenen Hochmoorgegend, die auch dank der frühwinterlichen Drehzeit an Unwirtlichkeit kaum zu überbieten ist. Die entsprechenden Bilder (Kamera: Sten Mende) betonen die morbide Schönheit der Landschaft und verleihen der Geschichte eine frostige Atmosphäre. Sie hat neben der herausragend guten Musik von Andreas Weidinger maßgeblichen Anteil daran, dass die eine oder andere etwas zu lang geratene Szene nicht weiter stört, zumal sich ein komplexer Nebenstrang als ziemlich ausführlich geratenes Ablenkungsmanöver entpuppt.
„Die Suche“ beginnt mit einem mittlerweile für viele Produktionen dieser Art fast obligaten Prolog, auf den ausnahmsweise jedoch keine lange Rückblende folgt, sondern ein Zeitsprung in die Gegenwart: Vor zwei Jahren ist in Scarborough ein Mädchen entführt worden. Als die Leiche eines verhungerten und verdursteten zweiten Teenagers gefunden wird und kurz darauf die 14-jährige Amelie (Charlotte Lorenzen) am helllichten Tag von einem Supermarkt-Parkplatz verschwindet, kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die Verbrechen eine Serie bilden; die Medien spekulieren bereits über einen „mysteriösen Hochmoorkiller“. Chefinspektor Caleb Hale (Lucas Gregorowicz) ist jedoch überzeugt, dass Amelie nichts mit den anderen Fällen zu tun hat. Trotzdem hat er nichts gegen die Unterstützung durch die Scotland-Yard-Kollegin Kate Linville (Henny Reents). Kate ist in der Stadt, um den Haushalt ihres Vaters aufzulösen. Amelie taucht unter dubiosen Umständen wieder auf, kann sich aber nur noch daran erinnern, dass sie von einem Unbekannten vor dem Ertrinken gerettet worden ist. Dieser Barnes (Nikola Trifunovic) nistet sich nun bei den zunächst selbstverständlich dankbaren Eltern ein, benimmt sich aber zunehmend wie ein Parasit. Kurz drauf verschwindet Amelie erneut, und das trotz Polizeischutz; und wenig später ein weiterer Teenager.
Foto: Degeto / Neil Sherwood
Till Franzen hat für die Degeto neben einer äußerst spannenden „Wolfsland“-Episode („Kein Entkommen“, 2020) auch die Link-Adaption „Im Tal des Fuchses“ (2020) gedreht. Der Film war ein gut gespielter, fesselnder Thriller mit einer cleveren Story, der gegenüber seiner jüngsten Arbeit einen entscheidenden Vorteil hatte: Die Geschichte musste innerhalb von neunzig Minuten erzählt und daher entsprechend verdichtet werden. Drei Stunden Sendezeit verleiten dagegen oft dazu, sich in Nebenschauplätzen zu verzetteln, weshalb gerade der erste Teil einige Längen hat. Der zweite entwickelt sich dagegen tatsächlich zum Thriller, zumal Franzen einige Szenen von enormer Intensität gelungen sind; das gilt vor allem für eine Schnittfolge mit Gänsehauteffekt wie aus einem Horrorfilm, der sich als Alptraum entpuppt. Geradezu unangenehm realistisch umgesetzt ist auch der gleichermaßen schmerzhafte wie erschütternd erfolglose Befreiungsversuch des vierten Teenagers.
Benjamin Benedict, der für die UFA in den letzten fast zwanzig Jahren mehrere Dutzend fast immer hochwertige und vielfach preisgekrönte Filme und Reihen produziert hat und auch schon als Koautor den früheren Link-Verfilmungen „Der Beobachter“ und „Die letzte Spur“ (2015/17) beteiligt war, hat das Drehbuchkonzept gemeinsam mit Charlotte Link entwickelt. Die Stärke des von Franzen nochmals bearbeiten Buchs liegt vor allem in der Zeichnung der beiden zentralen Rollen, zumal der Beziehungsstatus zwischen Caleb und Kate auf reizvolle Weise in der Schwebe bleibt. Die beiden kennen sich von einem früheren Fall, der die Kollegin aus London sehr erschüttert hat. Mal bittet der Kleinstadtpolizist Kate um ihre Hilfe, dann weist er sie brüsk darauf hin, dass sie in Yorkshire keine Ermittlungsbefugnis habe. Dank Lucas Gregorowicz ist dieser von mutmaßlich zu viel beruflichem Leid und vor allem von zu viel Alkohol gezeichnete Polizist die mit Abstand faszinierendste Figur des Films, zumal der Schauspieler die Abgründe des Chefinspektors nur andeutet. Dass sich Kate auf eine Liebelei mit einem Bootsbauer einlässt, ist Caleb offenkundig nicht recht. Trotzdem behält er seine Gefühle lieber für sich; ebenso wie die Genugtuung, als sich herausstellt, dass dieser Chapland (Ben Braun) irgendwie in den Fall verwickelt ist.
Teil zwei konzentriert sich stärker auf Kate, die sich nun als Journalistin ausgibt, auf eigene Faust recherchiert, eine Spur in die Vergangenheit des ersten vermissten Mädchens entdeckt und prompt in Lebensgefahr gerät. Eine weitere interessante und mit Christoph Glaubacker gut besetzte Figur ist ein angeblicher Schriftsteller, den der Film früh als Mittäter ins Spiel bringt. Als kleiner Knüller entpuppt sich schließlich nicht nur die Auflösung des Falls, sondern auch die entsprechende gruselig glaubwürdige Besetzung. Sehenswert ist zudem das Geschick, mit dem Benedict und Franzen im zweiten Teil dafür sorgen, dass sich die diversen Kreise schließen; auf diese Weise bekommt selbst Kates zunächst etwas überflüssig wirkende Online-Bekanntschaft (Julian Michael Deuster) ihre Daseinsberechtigung. Die markanten britischen Mitwirkenden sind ohnehin ausnahmslos gut ausgewählt. Sofern sie synchronisiert werden mussten – Deutschkenntnisse waren ein Auswahlkriterium –, ist dies so gut gelungen, dass zumindest bei den wichtigen Sprechrollen kein Unterschied zum deutschen Teil des Ensembles zu hören ist. Die jungen Schauspielerinnen, allen voran Charlotte Lorenzen als frühreifer Teenager, sind ausnahmslos gut geführt; und spätestens zum packenden Finale wird „Die Suche“ auch tatsächlich zum packenden Thriller. (Text-Stand: 25.9.2021)