Charlotte Link – Das andere Kind

Marie Bäumer, Hannelore Hoger, Charlotte Link. Zweiteiler, der Wünsche offen lässt

Foto: Degeto / von Vietinghoff
Foto Tilmann P. Gangloff

Pilcher oder Thriller? Wer von der Charlotte-Link-Verfilmung „Das andere Kind“ ein packendes, spannendes „Event“-Movie erwartet, kann nur enttäuscht sein. Der Zweiteiler leidet darunter, dass der zentrale Erzählstrang immer wieder zerfasert. Außerdem verliert die Geschichte am Ende von Teil 1 ihre interessanteste Figur und damit auch die sehenswerteste Schauspielerin. Marie Bäumer und Hannelore Hoger machen ihre Sache so gut es der Rahmen erlaubt. Uneingeschränkt überzeugen nur Martin Kukulas Bilder. Da war mehr drin!

Aus Sicht eines Drehbuchautors ist es fraglos reizvoll, für eine Handlung und ihre Protagonisten 180 Minuten Zeit zu haben; erst recht, wenn man auf diese Weise einer komplexen Romanvorlage gerechter werden kann. Andererseits sind Zweiteiler oft zu lang geraten. Das galt schon für „Das Echo der Schuld“, die ZDF-Adaption eines Buchs von Charlotte Link. Für die ARD hat nun die renommierte Produktionsfirma TeamWorx Links Roman „Das andere Kind“ verfilmt. TeamWorx-Filme sind in der Regel immer sehenswert, und das gilt keineswegs nur für die vielen herausragenden zeitgeschichtlichen Produktionen (zuletzt „Rommel“). „Das andere Kind“ ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Wie „Das Echo der Schuld“, so spielt auch diese Geschichte in England, auch sie ist an den Originalschauplätzen verfilmt worden, allerdings vor der Kamera mit deutlich geringerer deutscher Beteiligung; wichtige Rollen werden von Einheimischen verkörpert. Das mag zur Authentizität beigetragen haben, wie die Charlotte Link findet, hat aber zwangsläufig zur Folge, dass die Briten synchronisiert werden mussten; und die Mischung aus Darsteller-Deutsch und glattem Synchrondeutsch klingt selten authentisch, sondern meistens künstlich.

Charlotte Link – Das andere KindFoto: Degeto / von Vietinghoff
Neben der guten Kameraarbeit von Martin Kukula retten Marie Bäumer & Hannelore Hoger, was zu retten ist.

Darüber ließe sich jedoch problemlos hinweghören, wenn der Film wenigstens spannend wäre. Der Schweizer Regisseur und Grimme-Preisträger Urs Egger genießt zu Recht einen ausgezeichneten Ruf im Genre, seine Verfilmung des Craig-Russell-Romans „Wolfsfährte“ zum Beispiel ist ein richtig guter TV-Thriller. „Das andere Kind“ leidet dagegen darunter, dass der zentrale Erzählstrang immer wieder zerfasert. Außerdem verliert die Geschichte am Ende von Teil eins ihre interessanteste Figur und damit auch die sehenswerteste Schauspielerin. Das ist der Vorlage geschuldet, aber ein Manko, das Teil zwei nicht verkraftet.

Buch und Film behaupten, dass Kinderpsychologin Leslie (Marie Bäumer) nicht glücklich werden kann, so lange eine alte Schuld nicht getilgt ist: 1944 schickt eine Mutter ihre Tochter Fiona vom zerbombten London ins vergleichsweise idyllische Yorkshire. Der Waisenjunge Brian schließt sich Fiona an. In Scarborough werden die Kinder liebevoll von einer Bauern-Familie aufgenommen, auch wenn sich der kleine Brian nie wieder vom Kriegstrauma erholt und später lieblos einem gefürchteten Nachbarn überlassen wird, wo er ein bedauernswertes Dasein fristet. Parallel dazu erzählt der Film von Leslie, die nach der Trennung von ihrem Mann zur Großmutter (Hannelore Hoger) aufs Land fährt. Zuletzt hat sie zwei traumatisierte Kinder behandelt, die auf einem verfallenen Hof in der Nähe von einem zotteligen Monster angefallen worden sind. Der Film möchte den Vorfall gern verrätseln, aber da es sich bei der Großmutter um Fiona handelt, ist früh klar, wer sich hinter dem Zottelmonster verbirgt.

Kompliziert und zum Krimi wird die Geschichte, weil in Scarborough kurz hintereinander zwei Frauen ermordet werden und sich Leslie in einen Abendschullehrer (Fritz Karl) verguckt, der nicht bloß der Verlobte ihrer besten Freundin ist, sondern auch in Mordverdacht gerät. Zumindest für Mord Nummer zwei hätte er in der Tat ein gutes Motiv. Beide Ebenen – die alte Schuld, die neuen Morde – sind durchaus interessant, werden aber durch diverse Seitenstränge immer wieder in den Hintergrund gerückt. Leslies geschiedene Ehe zum Beispiel oder der enorme Ehrgeiz der zudem auf Leslies Erfolg eifersüchtigen Ermittlerin lenken nur vom Wesentlichen ab. Hätten die ARD und TeamWorx auf diesen Ballast verzichtet und Egger statt dessen einen straffen Zweistünder drehen lassen, „Das andere Kind“ wäre womöglich ein fesselnder Film geworden. Im Gegensatz zum letztjährigen ARD-Zweiteiler „Russisch Roulette“ kann sich diese Link-Verfilmung zumindest optisch (Kamera: Martin Kukula) sehen lassen, der Look ist very british und auch den beiden deutschen Hauptdarstellerinnen gelingt es gelegentlich, von den grundsätzlichen dramaturgischen Schwächen abzulenken.

Charlotte Link – Das andere KindFoto: Degeto / A. Peebles
Kleine Ansätze zu großem Melodram: Schwer verletzt – ist dieser Mann Leslies Schicksal? Marie Bäumer & Fritz Karl

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Serie & Mehrteiler

ARD Degeto

Mit Marie Bäumer, Hannelore Hoger, Bronagh Gallagher, Fritz Karl, Raquel Cassidy, Neil Bell, Clemens Schick

Kamera: Martin Kukula

Schnitt: Hans Funck, Andrea Mertens

Musik: Ina Siefert, Nellis Du Biel

Produktionsfirma: TeamWorx

Drehbuch: Stefan Dähnert

Regie: Urs Egger

Quote: 1. Teil: 5,62 Mio. Zuschauer (16,5% MA); 2. Teil: 5,51 Mio. (16% MA); Wh (2017): 3,38 Mio. (10,9% MA) + 3,32 Mio. (10,4% MA)

EA: 02.01.2013 20:15 Uhr | ARD

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