Charité – 3. Staffel

Gummich, Hochmair, Kunzendorf, Ochsenknecht, Hartmann. Die Serie zur Pandemie?

Foto: MDR / Stanislav Honzik
Foto Thomas Gehringer

Die dritte Staffel der ARD-Serie „Charité“ (MDR, Degeto / Ufa Fiction) spielt in den Tagen des Mauerbaus, von Anfang August bis Anfang Oktober 1961. Im Zentrum steht zum dritten Mal eine junge Frau als fiktive Hauptfigur: Die Ärztin Dr. Ella Wendt (Nina Gummich) beginnt ihre Karriere auf der Inneren Station der Berliner Universitäts-Klinik und forscht nebenbei an der Früherkennung von Krebs. Erneut erzählt die Serie aber auch von den realen Koryphäen jener Zeit, von Gerichtsmediziner Otto Prokop, Gynäkologe Helmut Kraatz und Kinderärztin Ingeborg Rapoport. Gegenüber der zweiten Staffel aus der NS-Zeit wirken diese sechs Folgen dramaturgisch reduzierter, dichter, ja intimer, und filmisch können sie mehr denn je mit US-Premium-Dramaserien mithalten. „Charité“ bleibt eine Serie, die die politischen Verhältnisse, Frauen-Emanzipation und den Entwicklungsstand der Medizin mit dramatischen und emotionalen Geschichten zu verbinden versteht – erneut mit einem starken Ensemble (Nina Gummich, Nina Kunzendorf, Philipp Hochmair), authentischer Anmutung und klug ausgewählten medizinischen Fällen. Und die hier „gelebte“ Leidenschaft für wissenschaftliche Forschung könnte kaum aktueller und relevanter sein als mitten in einer Pandemie.

Im Jahr 2020 rückte die Berliner Charité ganz ohne das Zutun einer populären Fernsehserie in den Blickpunkt einer breiten Öffentlichkeit. Zum einen durch den Virologen Christian Drosten, der im Kampf gegen die Corona-Pandemie (und in seiner öffentlichen Vermittlung) eine herausragende Stellung einnahm. Zum anderen durch die Aufnahme des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, auf den in seiner Heimat mutmaßlich ein Giftanschlag verübt worden war. Die Ausstrahlung der dritten Staffel von „Charité“ kommt aber ohnehin gerade recht: Denn sie erzählt emotional und packend von der Bedeutung wissenschaftlicher Forschung. Und als wäre dies nicht schon aktuell und relevant genug, handelt einer der ersten Behandlungsfälle von einer damals grassierenden Virus-Infektion (Kinderlähmung). In Folge 5 kommt es außerdem zu einer sogenannten „Triage“: Zwei Patienten benötigen Penicillin, aber der vorhandene Bestand reicht nur für einen. Die behandelnde Ärztin Dr. Ella Wendt (Nina Gummich) muss entscheiden, wer es erhalten soll. Und die Entscheidung wird durch den Umstand, dass der beliebte Hausmeister Fritz „Pflaster“ Krug betroffen ist, nicht leichter.

Charité – 3. StaffelFoto: MDR / Stanislav Honzik
Wie in den Vorläufer-Staffeln: drei Mediziner-Koryphäen und eine fiktive Hauptfigur – Kinderärztin Ingeborg Rapoport (Nina Kunzendorf), Serologe Otto Prokop (Philipp Hochmair), der Gynäkologe Helmut Kraatz (Uwe Ochsenknecht) und Ella Wendt (Nina Gummich), die die medizinische Grundversorgung aufrechterhalten muss, obwohl ihre ganze Leidenschaft der Forschung gehört; sie will den Krebs besiegen.

Der Zeitraum der Handlung umfasst zwei Monate, von Anfang August bis Anfang Oktober 1961. Die Entscheidung für das Jahr des Mauerbaus war naheliegend, denn die Charité befindet sich direkt an der damaligen Sektorengrenze. Auch ohne rassistische, menschenfeindliche Protagonisten wie in der zweiten Staffel spielen die politischen Verhältnisse in vielfältiger Weise eine Rolle: Bleiben oder gehen? Diese Frage steht als Grundmotiv in allen sechs Folgen im Raum. In der Ost-Berliner Charité fehlt es längst an Personal, weil immer mehr Mediziner in die BRD geflüchtet sind. Die Ausstattung ist angesichts „unserer heiß geliebten Mangelwirtschaft“ (Ella Wendt) lückenhaft. Stets gegenwärtig ist außerdem Parteisekretär Lehmann (Nicholas Reinke), der die prominenten Professoren umschmeichelt und über alle Vorgänge in der Klinik auffallend gut Bescheid weiß. Und wenn es gilt, Blutkonserven für Soldaten und Arbeiter beim Mauerbau vorzuhalten, duldet die Staatsmacht ebenso wenig Widerspruch wie bei der Obduktion des ersten Mauer-Opfers in der DDR, bei der die tödlichen Schüsse verschleiert werden sollen.

Zentrale Figur ist wie in den ersten beiden Staffeln eine Frau: Dr. Ella Wendt findet sich auf der Inneren Station schnell zurecht – vielleicht etwas zu schnell, aber die Verhältnisse lassen ja kein langes Einarbeiten zu. Mit ihrer Hartnäckigkeit erreicht sie außerdem, dass Serologe Otto Prokop (Philipp Hochmar) ihre Forschung zur Früherkennung von Krebs unterstützt. Erfreulich ist, dass die Hauptrolle mit einem noch nicht so prominenten „Fernseh-Gesicht“ besetzt wurde. Die bühnen-erfahrene Nina Gummich (Dresden, Potsdam) war vor der Kamera bisher eine Spezialistin für Frauen in Nebenrollen, die bei der Suche nach dem großen Glück tragisch scheitern oder auf Abwege geraten. Hier erlebt man sie einmal eindrucksvoll im Mittelpunkt: als junge Frau, die kämpft und für ihre Sache „glüht“, wie Prokopp einmal treffend sagt. Weil ihre eigene Mutter an Krebs starb, engagiert sich Ella Wendt in der Erforschung des menschlichen Blutes. Ihre erste Patientin ist eine junge Mutter mit einem Magen-Karzinom, was ebenso wenig überraschend ist wie die Tatsache, dass sich Ella verliebt. Die Romanze wirkt jedoch nicht aufgesetzt und passt sich gut in die Geschichte und den zeitgeschichtlichen Rahmen ein. Den ersten Kuss auf dem Charité-Dach mit Dr. Curt Bruncken (Franz Hartwig), einem am DDR-Sozialismus zweifelnden Chirurgen, verhindern die Arbeiter, die in der Nacht zum 13. August den Stacheldraht ausrollen. Der leicht angetrunkene Curt wird wütend („Hände weg von unserer Stadt“), wirft eine Flasche in Richtung der Soldaten und stürzt beim hastigen Abstieg Leiter und Treppe hinunter. Am Ende der dritten Folge befürchtet Ella gar, der erste „Mauer-Tote“, der aus dem Humboldt-Hafen gezogen wird, könne Curt sein. Reichlich emotionaler Stoff also, ohne dass die Serie in ein kitschiges Melodram abgleiten würde.

Charité – 3. StaffelFoto: MDR / Stanislav Honzik
Sie werden keine Freunde. Der konservative Gynäkologe Kraatz (Uwe Ochsenknecht) und die fortschrittliche Kinderärztin mit Amerika-Erfahrung Rapoport (großartig: Nina Kunzendorf) schaffen es aber auf der Zielgeraden der Serie, eine pragmatische, ganzheitliche Lösung zum Wohle der Patientinnen und ihrer Neugeborenen zu finden.

Ärztinnen sind Anfang der 1960er Jahre in der DDR nichts Ungewöhnliches mehr, was nicht heißt, dass sie von allen Medizinern oder Patienten genauso ernst genommen würden wie Männer im weißen Kittel. Sieht man von Margot Sauerbruch in Staffel zwei ab, gibt es mit Ingeborg Rapoport erstmals auch eine weibliche Medizin-Koryphäe unter den hier dargestellten realen Protagonisten. 1961 leitete sie die Säuglings- und Frühgeborenenstation an der Charité. Allein die Biographie dieser bedeutenden Kinderärztin, die 1938 in die USA emigrierte, weil ihre Mutter Jüdin war, dort den Biochemiker Mitja Rapoport (Anatole Taubman) heiratete und als überzeugte Kommunistin gemeinsam mit ihrem Mann erneut vor Verfolgung zurück nach (Ost-)Deutschland floh, wäre einen eigenen Film wert (den es übrigens gibt: Die Dokumentation „Die Rapoports – Unsere drei Leben“ erhielt 2005 den Grimme-Preis). Mit Nina Kunzendorf ist diese anspruchsvolle Rolle top besetzt, denn die charismatische Schauspielerin verbindet mühelos die erforderlichen Eigenschaften Zugewandtheit, Fachwissen und sicheres Auftreten. Wem, wenn nicht dieser Rapoport-Kunzendorf möchte man seine Kinder im Notfall anvertrauen? Zumal sie ihre Arbeit ganz und gar unideologisch verrichtet, West-Patienten selbstverständlich gleich behandelt und sich auch für die Ausreise einer jungen Mutter einsetzt, deren Mann als „Tagesspiegel“-Journalist auf der schwarzen Liste der DDR steht.

Ist die dritte Staffel also vielleicht zu unkritisch? Während es in Staffel zwei auch um die aktive Verstrickung von Charité-Medizinern in das verbrecherische NS-System ging, beschränkt sich Staffel drei im Grunde auf eine Arzt-Figur, die aus Karrieregründen auf die Parteilinie einschwenkt. Zur Sprache kommt außerdem der Brief, mit dem Charité-Ärzte den Mauerbau begrüßt hatten. Wie groß der Druck auf jeden Einzelnen wohl war? Man sieht nur, dass sich mit Otto Prokop ein Aushängeschild der Klinik selbstbewusst weigern konnte. Eine gewisse Kontinuität über alle Epochen hinweg hat die weltfremde Einstellung, das Krankenhaus sei eine unberührte Insel: „In der Charité geht’s nicht um Politik, hier geht es um die Patienten“, lautet solch ein typischer Satz, den in diesem Fall die – erneut resolute – Oberschwester Gerda (Hildegard Schroedter) von sich gibt. Dass das Gegenteil der Fall ist, erzählt die Serie jedoch auch. Zum Beispiel, wenn Erkrankungen auf Mangelernährung und mangelhaften Arbeitsschutz beim Uran-Abbau hinweisen, aber Patienten und Angehörigen nicht reiner Wein eingeschenkt wird. Aber natürlich ist es korrekt, die DDR-Medizin nicht mit den Verbrechen der Nazi-Ärzteschaft über einen Kamm zu scheren. Gleich in der ersten Folge (als die Grenze noch offen ist), bringt ein West-Berliner Paar seinen Sohn, der unter Lähmungserscheinungen leidet, in die Charité. Während sich Polio im Westen zur Epidemie auswuchs, blieb die DDR wegen der zentral organisierten Impfung mit einem sowjetischen Impfstoff verschont. „Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht“, sagt Ingeborg Rapoport, während der Vater aus dem Westen darin nur „Propaganda“ erkennen kann. Aktueller kann eine historische Serie kaum sein.

Charité – 3. StaffelFoto: MDR / Stanislav Honzik
Charismatischer Kopf: der Serologe Otto Prokop ebenso wie sein Darsteller Philipp Hochmair. Diese lebendige Figur sorgt mit dafür, dass in „Charité“ nicht das sozialistische Einheitsgrau die Geschichten überschattet. Unpolitisch oder unkritisch ist die Serie jedoch keineswegs. Die nicht immer ruhmreiche Vorgeschichte der Koryphäen und die Reaktionen der Charité-Belegschaft auf den Mauerbau werden genauso thematisiert wie DDR-Mangelwirtschaft und die Facharbeiter-Abgänge.

Bei der dramatischen Rettung des an der Kinderlähmung erkrankten Jungen kommt in den ersten beiden Folgen eine Eiserne Lunge zum Einsatz. Insgesamt aber wirken Ausstattung und Szenenbild „sparsamer“ als in den ersten beiden Staffeln, was nicht unbedingt gegen die angestrebte Authentizität der Serie sprechen muss. Die Lehre an der Universitätsklinik tritt in den Hintergrund. Aufwändige Szenen, in denen Patienten im vollen Hörsaal behandelt werden, gibt es nicht mehr. Ob dies an begrenzten Produktionsmitteln, an der Auswahl der Fachgebiete oder an der Fokussierung auf eine bereits ausgebildete junge Ärztin liegt, sei mal dahingestellt. Jedenfalls wirkt die Inszenierung von Christine Hartmann reduzierter und intimer als in der zweiten Staffel mit Star-Chirurg Ferdinand Sauerbruch im Zentrum. Diesmal verteilen sich die Auftritte der Ärzte-Prominenz gleichmäßiger. Furios und energiegeladen (wie eigentlich immer) ist Philipp Hochmairs Darstellung des Serologen und Gerichtsmediziners Otto Prokop, bei dem allerlei Leichen auf dem Tisch landen, darunter auch Opfer eines Serienmörders. Hochmair gibt den österreichischen Charité-Arzt als absolute, unermüdliche, freilich auch etwas selbstverliebte Autorität, die sich gleichzeitig nicht zu schade ist, dringend benötigte Medikamente persönlich aus dem Westen herbeizuschaffen, und das wahre Obduktions-Ergebnis des Mauer-Opfers für die Nachwelt aufzubewahren. Und als Ellas Mentor ist Prokop neben Ingeborg Rapoport so etwas wie der Ideal-Typus eines Wissenschaftlers, für den es keinen Stillstand bei der Erkenntnissuche gibt. „Kontroversen sind das A und O in der Wissenschaft“, sagt er – noch so ein Satz, der im Corona-Jahr einen besonderen Klang gewonnen hat. Wie Hochmair diesen Professor jenseits aller Klischees von Elfenbeinturm-Bewohnern und Labor-Langweilern gibt, ist schlicht mitreißend.

Ein typisches Mannsbild hat auch Uwe Ochsenknecht zu spielen. Helmut Kraatz war einer der bedeutendsten Gynäkologen in der DDR, hatte aber im Gegensatz zum unbelasteten Österreicher Prokop (geboren 1921) schon unter den Nazis Karriere gemacht. Kraatz steht für die alte Schule, wobei sein vermeintlicher Kasernenhofton hier zwangsläufig etwas Ochsenknecht-haftes und somit tendenziell Unernstes hat. In der Serie wird Kraatz jedoch durchaus als ambivalente Figur dargestellt: Auf der einen Seite eitler Gockel, der sich auch im Kreißsaal in der „Halbgott in Weiß“-Pose gefällt und Frauen wie Ingeborg Rapoport von oben herab behandelt. Auf der anderen Seite einfühlsamer und letztlich doch Reformen gegenüber aufgeschlossener Arzt. In Folge drei kümmert er sich um die Nöte einer intersexuellen Patientin. Damals sprach man von Hermaphroditismus, oder in Kraatz‘ altbackenem Duktus: „Der liebe Gott hat seine Schäfchen in allen möglichen Farben erschaffen. Und in allen möglichen Formen.“ Was aus den Patienten nach den Operationen oder Behandlungen in der Charité wird, erfährt man – sofern sie sie überleben – allerdings nicht.

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ARD Degeto, MDR

Mit Nina Gummich, Philipp Hochmair, Nina Kunzendorf, Uwe Ochsenknecht, Franz Hartwig, Max Wagner, Hildegard Schroedter, Uwe Preuss, Nicholas Reinke, Patricia Meeden, Anatole Taubman, Thimo Meitner, Cristin König, Christian Beermann.

Casting: Nina Haun

Kamera: Holly Fink

Szenenbild: Petra Albert

Kostüm: Heike Hütt

Schnitt: Andreas Althoff, Cosima Schnell

Musik: Fabian Römer, Matthias Hillebrand-Gonzalez

Redaktion: Jana Brandt, Johanna Kraus

Produktionsfirma: UFA Fiction

Produktion: Benjamin Benedict, Markus Brunnemann, Henriette Lippold

Drehbuch: Stefan Dähnert, Regine Bielefeldt, John-Hendrik Karsten, Christine Hartmann

Regie: Christine Hartmann

Quote: (1+2): 5,80 Mio. Zuschauer (17,4% MA); (3+4): 4,99 Mio. (14,6% MA); (5+6): 5,31 Mio. (16,3% MA)

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