Als Martina Hartwig (Hedi Kriegeskotte) in ihrer Küche zusammenbricht, ist sie glücklicher Weise nicht allein: Tochter Ulrike (Silke Bodenbender) liefert gerade den jüngsten Enkel ab, auf den die Oma in den nächsten Stunden aufpassen sollte. Die sofort alarmierten Notärzte schaffen es in dem Drama mit dem etwas missverständlichen Titel „Bring mich nach Hause“, die alte Dame wiederzubeleben. Aber war die Rettung wirklich ein Glück? Martina Hartwigs Gehirn ist nach einer Blutung schwer geschädigt. Sie kann zwar nach einiger Zeit wieder selbständig atmen, was Ulrike ebenso Mut macht wie der bizarre Moment, in dem ihre Mutter plötzlich die Augen aufschlägt. Aber aus dem Wachkoma jemals wieder genesen ins Leben zurückzukehren, würde an ein Wunder grenzen. Nimmt Martina Hartwig ihre Umgebung noch wahr? Was empfindet sie? Für die Angehörigen ist die Ungewissheit schwer erträglich. Sie sprechen mit ihr, streicheln ihre Hände und das Gesicht, bringen Geschenke mit, spielen ihre Lieblingsmusik, doch das Wunder bleibt aus.
Foto: ZDF / Hannes Hubach
Eines muss vor allem anderen bemerkt werden: Die Rolle einer Wachkoma-Patientin, die praktisch regungslos im Bett liegt und deren körperlicher Verfall nach und nach zunimmt, ist für eine Schauspielerin gewiss eine außergewöhnliche Herausforderung. Der 1949 geborenen Hedi Kriegeskotte gebührt für diese enorme physische wie mentale Anstrengung großer Respekt. Auch Maske, Ausstattung und die feinfühlige Regie von Christiane Balthasar tragen natürlich ihren Teil dazu bei, dass die Darstellung des Lebens einer Wachkoma-Patientin sicher nicht in allen Einzelheiten, aber doch ausreichend schonungslos und präzise gelingt. Neben dieser „stummen“ Hauptrolle gibt es zwei weitere mit umso mehr Text sowie großer emotionaler Bandbreite: Ulrike ist eine gläubige Christin, Religionslehrerin, Ehefrau und gestresste Mutter von drei Kindern. Martina Hartwigs zweite Tochter Sandra (Anneke Kim Sarnau) reist aus Berlin zurück in den Heimatort und ist als alleinstehende Astrophysikerin mit ihrem naturwissenschaftlich geschulten Verstand der passende Gegenentwurf. Man könnte sagen: Beide blicken zum Himmel empor, sehen aber ein unterschiedliches Bild.
So wirkt die Figuren-Konstellation von Drehbuchautorin Britta Stöckle („Rufmord“) doch etwas konstruiert. Die Schwestern stehen für die beiden Pole in den nun heraufziehenden Konflikten, und so entwickelt sich das Drama in der ersten Hälfte recht erwartbar. Ulrike, der gläubige „Bauchmensch“, und Sandra, der skeptische „Kopfmensch“, geraten zunehmend aneinander. Wenn die eine von Globuli spricht, runzelt die andere die Stirn. Dennoch sind die Figuren keine plumpen Klischees, und ihre Konflikte konfrontieren das Publikum auf eine wirkungsvolle, emotionale Weise mit dem existenziellen Grundthema: Wie können Angehörige, wenn keine Willensbekundung mittels einer Patientenverfügung vorliegt, guten Gewissens über die medizinischen Maßnahmen bei einer Wachkoma-Patientin entscheiden? Das moralische Dilemma beginnt schon bei scheinbar einfachen Fragen. Sandra möchte die monatlichen Spenden ihrer Mutter für den Tierschutzverein stoppen und den Leasingvertrag fürs Auto kündigen. Für Ulrike würde dies jedoch bedeuten, dass sie ihre Mutter aufgeben.
Foto: ZDF / Hannes Hubach
Silke Bodenbender gibt der gläubigen Ulrike warmherzige, aber auch leicht naive und aufbrausend-intolerante Züge. Anneke Kim Sarnau darf etwas leiser und rationaler auftreten, aber ihre Figur ist auch nicht ohne Ecken und Kanten. Sandra steht beruflich gehörig unter Druck, muss dringend an ihrer Habilitation arbeiten, um den Zuschlag zur Forschung am weltweit größten Teleskop in Chile zu bekommen. Außerdem trägt sie das Ultraschallbild ihres ungeborenen Kindes mit sich herum – und hat Henry (Nicholas Reinke), dem Vater, noch nicht einmal von der Schwangerschaft erzählt. Im Hörsaal redet Sandra fachkundig über elementare Fragen („Woher kommen wir? Aus was sind wir gemacht?“), im eigenen Leben scheint sie noch keine Gewissheiten gefunden zu haben. Unter dem Eindruck der Erkrankung der Mutter gewinnt Sandra jedoch mehr Klarheit – während Ulrikes feste Verankerung im Glauben Risse bekommt.
So nimmt der Film in der zweiten Hälfte eine Wendung, in der die Beziehung der Schwestern in den Hintergrund rückt, das Drama aber noch intensiver wird und geradezu haarsträubende Züge annimmt. Die Mutter wird auf Vermittlung von Ulrikes Mann Matthias (Christian Erdmann) in ein katholisches Pflegeheim aufgenommen, in dem auch das Dasein von Komapatientinnen als „lebenswert vor Gott“ gilt, wie die Leiterin (Anna Grisebach) betont. Dass es Martina Hartwig auch nach Wochen noch „sehr gut bei uns“ gehe, daran beginnt aber selbst Ulrike zu zweifeln. Oder will das Heim schon deshalb nicht die lebensverlängernden Maßnahmen einstellen, weil es nach Martina Hartwigs Tod keine Pflegepauschale mehr für eine Bewohnerin kassieren kann, deren Pflege vergleichsweise wenig Aufwand bereitet? Der böse Verdacht wird in den Raum gestellt, aber zugleich ist unstrittig, dass in dem Heim Überzeugungstäterinnen am Werk sind. Insbesondere die Figur der Schwester Olga (Berit Künnecke) steht für einen unnachgiebigen christlichen Glauben, der die eigenen Dogmen über alles stellt. Dagegen zeigt sich Pfarrer Oppel (Falilou Seck), bei dem Ulrike Rat sucht, unsicher über den richtigen Umgang mit Komapatientinnen.
Foto: ZDF / Hannes Hubach
Auch die Ärzteschaft wirkt verunsichert: Da ist die eilige und wenig sensible Krankenhaus-Ärztin (Helena Hentschel), die die Schwestern mehrfach quasi im Vorbeigehen auf dem Flur über den Gesundheitszustand der Mutter informiert. Der Hausarzt (Thilo Prothmann) dagegen kommt besser weg, weil er sich schließlich auf die Seite der Schwestern schlägt, aber seine Ratschläge wirken auch zunehmend abenteuerlich. Am Ende fragt man sich, wie eine solche Eskalation wie in diesem Fall möglich sein kann. Verständlicher Weise bemüht sich ein fiktionaler Film eher um die emotionalen, dramatischen Aspekte statt um juristische und politische Hintergründe, dennoch gerät die Nachvollziehbarkeit im Finale etwas unter die Räder. Vielleicht vermag die Dokumentation „Zwischen den Welten: Leben und Sterben im Wachkoma“, die das ZDF im Anschluss an „Bring mich nach Hause“ ausstrahlt, für ein besseres Verständnis sorgen. Die Schrifttafeln sind da nur bedingt eine Hilfe. „Frei nach wahren Begebenheiten“, heißt es am Anfang. Doch der Nachspann suggeriert, dass der Film einen einzelnen, konkreten Fall in Szene gesetzt hat, der juristische Auseinandersetzungen bis zum Bundesgerichtshof (BGH) zur Folge hatte. Klingt widersprüchlich, aber beides ist wohl richtig. Grundlage war nach ZDF-Angaben ein Fall, mit dem der Medizinrechtler und Anwalt Wolfgang Putz bei einem BGH-Verfahren zu tun hatte. „Ich habe den Stoff dann stark fiktionalisiert und eine eigene Geschichte daraus geformt“, sagt Autorin Stöckle.