Keiner liebt ihn mehr, nachdem Bürgermeister Gerhard Tschach (Robert Palfrader) aus seiner Gemeinde ein zweites Griechenland gemacht hat: Braunschlag ist hoch verschuldet, kein UFO will landen und auch „die depperten Japaner“ kommen nicht mehr. Da muss eine Marien-Erscheinung her. Was anderswo klappt, muss doch auch in Niederösterreich gelingen. Gemeinsam mit seinem Freund, dem Disco-Betreiber Richard Pfeisinger (Nicholas Ofczarek), heckt Tschach die Sache aus. Der Dorfkauz (Raimund Wallisch) wird als Marienseher auserkoren – und es kann losgehen mit dem Geld verdienen. Zwar schickt der Papst – zur Prüfung des Braunschlager Marienkults einen Abgesandten (Manuel Rubey) ins Waldviertel, der die „Verkündung“ als den Wahnsinn eines Geistigverwirrten abtut, doch dann gesellt sich zum falschen ein wirkliches Wunder: Der millionenschwere Textilunternehmer Matussek, gerade noch auf dem Sterbebett, ist plötzlich wieder pumperlg’sund – zwei Meerschweinchen auf der Brust heilten seine Lungenembolie. Dagegen kann selbst der Apostolische Visitator nichts mehr ausrichten – und so stürmen die Pilger den neuen Wallfahrtsort Braunschlag.
David Schalko über seine Erfolgsserie „Braunschlag“:
„Braunschlag ist politisch. Denn die Fernsehserie zeigt das Scheitern des Einzelnen gegenüber dem System und den eigenen Erwartungen, die nie erfüllt werden. Sie zeigt die Ausrottung des Landlebens, die Ausbeutung, die Abstumpfung, die Verzweiflung, die Spielregeln, den Selbsthass, den Katholizismus, den Alkoholismus & all das Zwischenmenschliche, das dazwischen zerborsten wird.“
„Braunschlag“ ist eine achtteilige österreichische Serie, die in ihrer Heimat für Furore sorgte – 2011 gedreht, im Frühjahr 2012 auf DVD erschienen und erst im September desselben Jahres im ORF ausgestrahlt. Fast eine Million Zuschauer (bei acht Millionen Einwohnern) schalteten die acht Folgen dieses vermeintlichen „Minderheitenprogramms“ ein. Endlich kommt die Mini-Serie auch ins deutsche Fernsehen: bei Eins Festival und 3sat ist das komödiantische Wunderwerk von David Schalko („Die Aufschneider“), Idee, Buch, Regie und Produktion, im Oktober 2015 zu sehen. Während Folge 1, „Ein heiliges Wunder“, trotz einiger Schräglagen, die Charaktere betreffend, noch einigermaßen „gesittet“ daherkommt, weil zunächst die Figuren und das Wunder etabliert werden müssen, wird es in Folge 2, „Das Wirtschafts-Wunder“, schon wesentlich schriller. Elfie (Nina Proll), die Frau des ständig betrunkenen Disco-Besitzers, wünscht sich seit langem ein Kind – damit es endlich klappt, wechselt sie gern mal das Outfit, von der Madonna zur Hure. Am Ende wird es zwar keine unbefleckte Empfängnis, aber immerhin eine Schwangerschaft mit einem Zeugungsunfähigen. Ist das das nächste Wunder?! Vernachlässigt fühlt sich des Bürgermeisters Frau Herta (Maria Hofstätter). Sie will im Bett auch gern mal Kuscheln, ihr Gerhard dagegen bestenfalls „Sport machen“; doch meist ist er eh viel zu besoffen. Gut, dass es in der Nähe den Kuschelzoo gibt: ein Club, in dem sich jeder ein albernes Fell überstreift – und anderen den Pelz reibt. Eine bizarre Szene, die ein Versprechen gibt in Richtung der abgedrehten Phantasien eines David Lynch („Twin Peaks“). Auch der Mann vom Vatikan scheint für unterhaltsamere Aufgaben, als das Wunder zu unterlaufen, bestimmt zu sein – und spielt verbal höchst amüsant mit einer verführerischen Magd (Adina Vetter) Grimms Märchen vom lüsternen Pärchen nach. Und da das Unheil ab Folge 3 naht (die der WDR leider nicht mehr zur Verfügung stellte) – schließlich sei Tschach, so Darsteller Robert Palfrader, „ein Halbbauernschlauer, der die Dinge nicht zu Ende denkt“ – ist abzusehen, dass der Irrwitz der Serie weiter zunehmen wird. Die Serie trifft auch gesellschaftspolitisch ins Schwarze. Schalko: „Hochmut, Gier, Feigheit, Neid, Rachsucht, Maßlosigkeit, ‚Braunschlag’ liegt gerade in seinen politischen Reflexionen am Puls der Zeit.“
Was kommt, beschreibt die FAZ folgendermaßen:
„Doch schon in der dritten Folge legt sich ein Fluch auf das junge Wirtschafts-Glück, und von da an geht es weitere fünf mal 45 Minuten nur bergab, in eine Verkettung von Un- und Überfällen, schwerstem Alkoholismus, Betrug und Entführung. Am Ende ist das Dorf komplett erledigt – und tatsächlich bereit für die Landung von Außerirdischen.“
Und noch etwas verspricht die FAZ:
„Die Entführungs- und Missbrauchsfälle Kampusch und Fritzl, die das Land in den letzten Jahren in Atem hielten, hat sich Schalko nicht entgehen lassen. Kann man darüber Witze machen? Wie es Schalko gelingt, diese Horrorszenarien des Wegschauens humoristisch in den Griff zu bekommen, spricht für sein Gespür.“
Was in den ersten beiden Folgen bereits mehr als deutlich wird: Dieser Schalko hat den Schalk im Nacken, er kennt das Milieu, begnügt sich aber nicht damit allein, sondern treibt die Geschichte in surreale Höhen und seine Dialoge (so man sie über dem Weißwurst-Äquator versteht) sind zum Sichwegschmeißen. Es ist kein Zufall, dass „Braunschlag“ neben „Vorstadtweiber“ und den „Metzger“-Verfilmungen mit Palfrader 2015 das komischste deutschsprachige Fiktion-Programm im hiesigen Fernsehen ist („Lerchenberg“ ist auch komisch, aber eben mehr kurzatmige Comedy als horizontal komplexe Dramedy). Die Ösis können’s einfach besser – und sie leisten sich auch Formate jenseits des Krimis. Deftiger Schmäh und derber Dialekt treffen auf sprachliches Feingefühl und höchst pointierte Dialoge. Tschach: „Müsst Ihr imma Nega sog’n?!“ Pfeisinger (in den ersten beiden Folgen nie nüchtern) lallt: „Is doch jetzt wurscht, ob i Nega oder Bimbo sog.“ Auch die Musik setzt köstliche Kontrapunkte. Und dass die Besetzung erster österreichischer Schlagobers ist, sieht man bereits auf den ersten Blick. Das geht bis in die kleineren Rollen und trägt viel zur „Echtheit“ dieses schrägen Mikrokosmos’ bei. Viele Gesichter wird man hierzulande wiedererkennen – aus dem oben genannten Top-Komödien, aber auch aus anderen Ösi-Filmjuwelen, aus der Krimi-Reihe „Spuren des Bösen“ (Sabrina Reiter), aus Ulrich Seidls bitterbösen Österreich-Filmen (Maria Hofstätter) und sogar Bibiana Zeller ist in einer Gastrolle dabei und spannt den Bogen zur Kultserie „Kottan ermittelt“. (Text-Stand: 28.9.2015)