Bonn – Alte Freunde, neue Feinde

Mercedes Müller, Riemelt, Blomberg, Wuttke, Maurer, Garde. Authentisch & spannend

Foto: ARD, WDR / Kai Schulz
Foto Thomas Gehringer

Gehlen, John und eine junge Frau, die in den 1950er Jahren zwischen Agenten und Alt-Nazis ihren Weg sucht: Claudia Gardes Serie „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“ (ARD, WDR – Odeon Fiction, Wilma Film) erzählt von den jungen Jahren der westdeutschen Bundesrepublik, vom Aufbruch einer neuen Generation und vom Erbe der Vergangenheit. Mercedes Müller spielt überzeugend die 20-jährige Hauptfigur Toni Schmidt, die sich zu emanzipieren beginnt und eine Stelle im Büro des Auslandsgeheimdienstchefs Reinhard Gehlen (Martin Wuttke) annimmt. Dessen Gegenspieler ist Otto John (Sebastian Blomberg), erster Präsident des Verfassungsschutzes. Der großartig besetzte Sechsteiler erfindet das Genre historischer Dramen nicht neu, doch die komplexe Mischung aus emotionalem Familiendrama und spannendem Geheimdienst-Thriller gelingt. Ein düsterer Blick zurück in die Zeitgeschichte und alles andere als eine oberflächliche Wirtschaftswunder-Schmonzette.

„Fernsehen müsste man haben!“ hängt als Werbespruch an der Wand im Elektrofachhandel von Hartmut Redlich (Julius Feldmeier), des Verlobten der Serien-Hauptfigur Toni Schmidt (Mercedes Müller). Fernsehgeräte sind im Jahr 1954 der letzte Schrei, auch wenn die Bilder vom Karnevalsumzug noch in Schwarz-Weiß über den Bildschirm flimmern. Die Fünfzigerjahre sind eine beliebte, vielfach fiktionalisierte historische Epoche. Allerdings setzt sich die von Claudia Garde als Head-Autorin und Regisseurin maßgeblich gestaltete Serie „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“ in mancher Hinsicht von plakativen historischen Dramen über jene Zeit ab. So spielt das Ereignis, das bei einem Rückblick auf das Jahr 1954 üblicherweise nicht fehlen darf, der Sieg Deutschlands bei der Fußball-WM in der Schweiz („Das Wunder von Bern“), überhaupt keine Rolle. Auch hebt das sechsteilige Drama neben dem Bündel der erwartbaren Themen – die Emanzipation einer jungen Frau, das Schweigen und Verdrängen nach dem Krieg – ein weniger bekanntes Detail hervor: den Kampf des ersten Präsidenten des Verfassungsschutzes, Otto John, gegen die Seilschaften der Alt-Nazis.

Bonn – Alte Freunde, neue FeindeFoto: ARD, WDR / Zuzana Panská
Gelegenheit macht Spionin. Anfangs ist sie loyal, doch dann beginnt Toni Schmidt (Mercedes Müller), langsam zu verstehen, was im Hause ihres Chefs Reinhard Gehlen (Martin Wuttke), dem BND-Vorläufer, der Organisation Gehlen, so alles vor sich geht.

Klasse besetzt mit Sebastian Blomberg, wirkt John hier wie ein Bruder im Geiste des Staatsanwalts Fritz Bauer, dem bereits mehrere historische Film-Dramen gewidmet wurden („Der Staat gegen Fritz Bauer“, „Die Akte General“). Wie Burghart Klaußner und Ulrich Noethen den Fritz Bauer spielt auch Blomberg den Antifaschisten John, der zum Kreis des Widerstands um Claus Schenk Graf von Stauffenberg gehört hatte und nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler nach England geflohen war, nicht als strahlenden Helden ohne Fehl und Tadel, sondern als entschlossenen, bisweilen verbissen und rücksichtslos vorgehenden Geheimdienstchef. Otto John wurde 1956 wegen Landesverrats zu einer vierjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er am 20. Juli 1954 nach Ost-Berlin gefahren war und erst im Dezember 1955 zurückkehrte. Das ist allerdings nicht Teil der Serie, die an dem Tag endet, an dem Otto Johns bis heute nicht vollends aufgeklärter DDR-Aufenthalt beginnt.

Garde und ihre Co-Autoren verdichten das Ringen zwischen Alt-Nazis und Demokraten in der jungen Bundesrepublik auf ein Duell zwischen Otto John und Reinhard Gehlen (Martin Wuttke). Der ehemalige Chef der Wehrmachts-Abteilung „Fremde Heere Ost“ baute nach dem Krieg mit Rückendeckung der westlichen Alliierten, die im Kampf gegen die kommunistische Sowjetunion nicht auf deutsche Altnazis verzichten zu können glaubten, die Organisation Gehlen auf, den Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der beschäftigte auch zahlreiche NS-Kriegsverbrecher, wie eine vom BND eingesetzte Unabhängige Historiker-Kommission jüngst bestätigt hatte. Dass Gehlen gleich im ersten Teil der Serie Alois Brunner, einen der Haupttäter des Holocausts, der tatsächlich eine Weile unerkannt als Bergmann arbeitete, vor dessen Flucht in den Nahen Osten persönlich trifft, ist also in seiner historischen Kernaussage zutreffend, selbst wenn es das persönliche Treffen nicht gegeben haben mag. Martin Wuttke spielt mit Verve diesen Gehlen als erfolgreichen Intriganten und Strippenzieher, der seinen Gegenspieler John gerne mit Sticheleien und süffisantem Grinsen provoziert. Gehlen als Siegertyp – man muss wohl sagen: Auch das ist historisch leider korrekt. Bundesinnenminister Gerhard Schröder (Christian Erdmann) und Kanzleramts-Chef Hans Globke (Sascha Nathan) treten in Nebenrollen ebenfalls in Erscheinung, doch Garde vermeidet den Aufmarsch einer übermäßigen Vielzahl historischer Figuren aus der Adenauer-Ära und beschränkt sich aufs Wesentliche.

Bonn – Alte Freunde, neue FeindeFoto: ARD, WDR / Zuzana Panská
Das musste ja so kommen… Aber kann Toni (Mercedes Müller) dem Agenten Wolfgang Berns (Max Riemelt), der von Otto John als „Romeo“ auf Gehlens neue Sekretärin angesetzt wurde, trauen? Auch er pflegt noch den Kontakt zu alten Nazis.

Die Titel-Chiffre „Bonn“ steht ohnehin weniger für den konkreten Ort, der sich – abgesehen von gelegentlichen Ausblicken auf den Rhein und das Siebengebirge – nicht so augenfällig und prägend in Szene setzen lässt wie Berlin, sondern für eine zeitgeschichtliche Epoche. Die Ära der 1950er Jahre wird in vielen Ausstattungs-Details, von Frisuren und Kostümen bis zum Fuhrpark, von der Architektur bis zur Inneneinrichtung, in privaten Wohnungen ebenso wie in den Büros und Sitzungssälen eindrucksvoll und weitgehend ohne Wirtschaftswunder-Klischeebilder lebendig. Kulissen wie Redlichs Laden oder der Baustoff-Handel der Familie Schmidt stehen für den Aufschwung, ohne in Nostalgie zu schwelgen.

Auf Dialekt wird in der Serie weniger Wert gelegt, was keinen Mangel an Authentizität bedeutet, schließlich lebten und arbeiteten am Regierungssitz Bonn Menschen aus vielen Regionen Deutschlands. Bei Julius Feldmeier, der als heimischer Einzelhändler dann doch statt Hochdeutsch den rheinischen Singsang versuchen muss, klingt das eher angelernt; wobei Feldmeier den naiven Optimismus Redlichs überzeugend spielt. Das Scheitern seines privaten Lebenstraums steht von Beginn an fest, bereits in dem Moment, in dem seine Verlobte Toni nach einem Sprachaufenthalt in England heimkehrt und von ihrer Familie und von Hartmut überschwänglich begrüßt wird. Denn dass die junge „Heldin“ sich nicht an die Konventionen ihrer Zeit halten wird, ist bei historischen TV-Dramen keine Überraschung mehr.

Ohne große Umschweife kommt die Serie zur Sache: Toni lernte in London Otto John und seine jüdische Frau Lucie (Inga Busch) kennen, die die junge Deutsche in einen scharfen Dialog über die deutsche Vergangenheit verwickelte. Die näheren Umstände von Tonis Aufenthalt in England spielen keine Rolle und bleiben ausgeblendet. Wichtig ist allein: Nach Bonn kehrt die junge Frau gereift und mit erwachtem Ehrgeiz zurück. Über das Wiedersehen mit Hartmut freut sie sich aufrichtig, aber die Aussicht, ihr Dasein bald als Hausfrau und Verkäuferin in seinem Laden zu fristen, löst bei Toni keine Begeisterung aus. Es scheint vielmehr so, als könne ihre jüngere Schwester Ingrid (Luise von Finckh) den für Toni reservierten Platz an Hartmuts Seite perfekt einnehmen. Dass dieses Dreiecks-Verhältnis nicht plakativ erzählt und simpel aufgelöst wird, spricht ebenfalls für die Serie. Toni bewirbt sich erfolgreich auf die freie Stelle einer Fremdsprachen-Korrespondentin in Gehlens Büro, wobei die guten Kontakte ihres Vaters (Jürgen Maurer) zum Geheimdienstchef hilfreich sind. Gerd Schmidt ist irritiert von Tonis Selbstbewusstsein, beansprucht weiterhin die Kontrolle über seine noch nicht volljährige Tochter, scheint aber auch ein wenig stolz auf Toni zu sein.

Bonn – Alte Freunde, neue FeindeFoto: ARD, WDR / Zuzana Panská
Gefährliches Spiel als Informantin. Wird sich die selbstbewusste Toni (Mercedes Müller) auch von ihrer Familie lossagen? Dass die junge „Heldin“ sich nicht an die Konventionen ihrer Zeit halten wird, ist bei historischen TV-Dramen keine Überraschung mehr. Politische Historie, Agententriller, Familien- und Emanzipations-Drama fließen in „Bonn“ jedoch höchst geschmeidig zusammen. Sebastian Blomberg

Die Freude über Tonis Heimkehr bleibt aber getrübt, weil das Schicksal von Stefan, ihres Bruders, auch neun Jahre nach dem Ende des Krieges unbekannt ist. Eine Rückblende zu Beginn legt nahe, dass er bei einem Front-Einsatz desertierte und erschossen wurde. Insbesondere Tonis Mutter Else (herausragend: Katharina Marie Schubert) hofft noch auf eine Rückkehr ihres Sohnes. Um die Ehe von Tonis Eltern ist es freilich nicht zum besten bestellt. Else trauert ihrem jüdischen Liebhaber nach, mit dem sie vor ihrer Heirat mit Gerd liiert war. Ihr Mann bemüht sich vergeblich um Elses Liebe und wirkt auch als Vater nicht durchgehend unsympathisch. Gleichzeitig mischt er kräftig im Bund der Alt-Nazis mit. Der Geist der Vergangenheit ist immer noch gegenwärtig. Im Karneval reißen die Bonner ihre Arme zu einem fröhlichen „Alaaf“ empor, als wollten sie den Führer grüßen. Der familiäre Handlungsstrang überzeugt dank interessanter, vielschichtiger Figuren und starker Darsteller:innen, auch wenn es erkennbar viele Themen der Zeit abdecken soll.

Erfreulich außerdem, dass die weibliche Hauptrolle mit einem nicht völlig unbekannten, aber doch weniger prominenten Gesicht besetzt ist. Mercedes Müller, die etwa im „Irland-Krimi“ der ARD regelmäßig zu sehen war und in der Serie „Oktoberfest 1900“ oder dem Drama „Tage des letzten Schnees“ in Hauptrollen überzeugte, erweist sich als hervorragende Besetzung für die heranwachsende Toni, die in ihrer Figur jugendliche Naivität, einen wachen Geist und mutiges Draufgängertum vereint. Sie entwickelt als emanzipierte Frau Interesse an der Wahrheit über die von vielen noch verklärte oder verdrängte Vergangenheit, forscht nach dem wahren Schicksal ihres Bruders und der Verstrickung ihres Vaters, spioniert wohl auch aus eigenem Antrieb Gehlens Pläne aus. Otto John, dem Toni in Bonn als Gehlens Mitarbeiterin beinahe zwangsläufig wieder über den Weg läuft, erkennt seine Chance und setzt den Agenten Wolfgang Berns (Max Riemelt) auf sie an: „Dann legen Sie mal los, Romeo.“ Berns ist eine weitere starke, eigenständige und prägende Figur der Serie, die sich im Verlauf der sechs Folgen mehr und mehr zu einem Geheimdienst-Thriller um ein von Gehlen und seinen alten Kameraden heimlich vorangetriebenes Projekt namens „Scipio“ sowie Berns‘ persönlich motivierte Jagd nach Alois Brunner entwickelt. So spannend sind historische TV-Dramen aus Deutschland selten. (Text-Stand: 23.12.2022)

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ARD, WDR

Mit Mercedes Müller, Max Riemelt, Sebastian Blomberg, Martin Wuttke, Jürgen Maurer, Katharina Marie Schubert, Julius Feldmeier, Luise von Finck, Inga Busch, Christian Erdmann, Sascha Nathan, Moritz Führmann, André Eisermann, Johanna Gastdorf

Kamera: Andreas Köhler

Szenenbild: Ingrid Henn

Kostüm: Petra Kray

Schnitt: Thomas Stange

Musik: Florian Tessloff (Komposition)

Redaktion: Götz Vogt

Produktionsfirma: Odeon Fiction

Produktion: Philip Voges

Drehbuch: Claudia Garde, Martin Rehbock, Peter Furrer – nach einer Idee von Gerrit Hermans

Regie: Claudia Garde

Quote: (1+2): 3,78 Mio. Zuschauer (14,1% MA); (3+4): 3,13 Mio. (11,8% MA); (5+6): 2,44 Mio. (8,9% MA)

EA: 11.01.2023 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

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