Böser Wolf – Ein Taunuskrimi

Woll, Bergmann, Schrott, Rott, Wörner. Die erste sehenswerte Neuhaus-Verfilmung

Foto: ZDF / Christian Lüdeke
Foto Tilmann P. Gangloff

Nach fünf fast durchweg sehr enttäuschenden Nele-Neuhaus-Verfilmungen ist nun endlich mit „Böser Wolf – Ein Taunuskrimi“ ein vergleichsweise großer Wurf gelungen: Der komplex strukturierte Zweiteiler über organisierten Kindesmissbrauch ist spannend, sehr viel erzählökonomischer als seine Vorgänger erzählt, stark besetzt und ebenso gespielt und auch die Inszenierung von Marcus O. Rosenmüller ist diesem Krimi-Thriller-Drama angemessen. Einen Haken könnte der Film für manchen Zuschauer allerdings haben: Die Geschichte ist unendlich grausig.

Die ersten vier Verfilmungen der „Taunuskrimis“ nach den Romanen von Nele Neuhaus blieben künstlerisch deutlich hinter den Erwartungen zurück. Dem Erfolg hat das keinen Abbruch getan. Der fünfte Film, „Wer Wind sät“, ist den Erwartungen zumindest schon mal deutlich näher gerückt. Mit „Böser Wolf“ nun setzen Drehbuchautorin Anna Tebbe und Regisseur Marcus O. Rosenmüller einen Maßstab, an dem sich nicht nur die weiteren Neuhaus-Adaptionen messen lassen müssen. Der Zweiteiler über organisierten Kindesmissbrauch ist ein jederzeit fesselnder, gut gespielter, packend inszenierter und dramaturgisch komplexer Thriller; fast hat es den Anschein, als hätten Rosenmüller & Tebbe bei ihren beiden bisherigen gemeinsamen Neuhaus-Filmen nur für diesen großen Wurf geübt. Auch die beiden Hauptdarsteller scheinen endlich in ihren Rollen angekommen zu sein; in den früheren Filmen stimmte die Chemie einfach nicht. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass der etwas steife Kommissar (Tim Bergmann) und seine Kollegin (Felicitas Woll) keinen rechten Draht zueinander fanden, aber den Filmen tat die Distanz nicht gut. Weiteres Manko: Thriller-Spezialist Rosenmüller gelang es nicht, die Spannung durchgehend hochzuhalten.

Böser Wolf – Ein TaunuskrimiFoto: ZDF / Christian Lüdeke
Ermittler wie Schauspieler machen soliden Job: Tim Bergmann & Michael Schenk in „Böser Wolf“ (ZDF), ein guter Taunuskrimi.

Das ist in diesem Fall völlig anders; und das trotz einer Länge von knapp 180 Minuten. Der Film überzeugt auch im handwerklichen Detail; einige Übergänge sind fast schon kunstvoll gestaltet. Sämtliche Darsteller sind gut geführt, gelegentliche Zeitlupeneinlagen passen zur Handlung, Musik und Bildgestaltung sorgen dafür, dass auch optisch und akustisch jener Sog entsteht, auf den Filme dieser Art angewiesen sind. Das Beste aber ist die Geschichte, und hier liegt, wenn man das überhaupt so nennen kann, der einzige Haken: Die Kinder und Jugendlichen, um die es letztlich geht, haben namenloses Grauen erleben müssen. Im Bild ist das nie zu sehen, aber die Andeutungen und Beschreibungen der seelischen und körperlichen Wunden genügen völlig; „Böser Wolf“ wirft Blicke in menschliche Abgründe, von deren Existenz die meisten Menschen keine Ahnung hätten, wenn es solche Filme (und Bücher) nicht gäbe. Im Kern geht es um eine Einrichtung, in der junge Mütter ungewollte Kinder zur Welt bringen können, die dann umgehend zur Adoption freigegeben werden. Das in einer Burg untergebrachte Heim und sein Leiter Josef Finkbeiner genießen allseits größte Anerkennung. Erst später zeigt sich, welch’ grimmiger Hohn der Name Burg Sonnenschein darstellt.

Seine Spannung verdankt der Zweiteiler einer geschickten Dramaturgie, denn abgesehen vom Ermittler-Team bleibt fast bis zum Schluss offen, wer die Guten und wer die Bösen sind. Wichtigste Figuren der Handlung sind ein unsympathischer Oberstaatsanwalt (Harald Schrott), eine Psychiaterin (Natalia Wörner) und ein Rocker (Jürgen Tarrach). Alle sind auf die eine oder andere Weise in den Fall verwickelt. Der Rocker hält offenbar eine junge Frau gefangen (Karin Hanczewski), mit der die Psychiaterin immer wieder Gespräche führt. Die entsprechenden Erinnerungsfetzen ziehen sich in Form von Rückblenden durch den gesamten Film. Diese Einschlüsse sind in Schwarzweiß gehalten, weshalb signalrote Details – rote Lippen, rote Kleidung – umso stärker hervorstechen. Am Schluss wird die Frau in einem knallroten Kleid für ein spektakuläres Finale sorgen.

Böser Wolf – Ein TaunuskrimiFoto: ZDF / Christian Lüdeke
Die Kommissarin Kirchoff (Felicitas Woll) sieht überall nur noch Kinderschänder. Ist etwa auch ihr Jugendfreund ein Böser Wolf?

Die Gegen-Meinung (TV-Spielfilm):
„Zwar wird die verworrene Story mit der Zeit klarer, jedoch stößt es übel auf, dass das Thema Kindesmissbrauch nur als Aufhänger für einen seichten, gewollt schockigen Gruselkrimi dienen muss, der vom Burgverlies über Persönlichkeits-Spaltung bis hin zum elegant beschuhten Killer kaum ein Klischee auslässt.“

Bis dahin aber lebt die Geschichte nicht zuletzt von der Frage, wer hier wie viel Dreck am Stecken hat; es muss den Beteiligten große Freude bereitet haben, immer wieder für gelungene falsche Fährten zu sorgen, weil es außer beim Kripo-Trio, in dem Michael Schenk diesmal etwas mehr zu tun hat als sonst, bei den meisten handelnden Personen zum Teil erhebliche Diskrepanzen zwischen Schein und Sein gibt. Auch die weiteren Figuren sind nicht uninteressant und namhaft besetzt: Jenny Elvers spielt eine TV-Moderatorin, die ihre Neugier bitter bezahlen muss, Jennifer Ulrich ihre Tochter, eine Journalistin, die der Polizei schließlich den entscheidenden Hinweis gibt. Und dann ist da noch ein Schulfreund (David Rott) von Pia Kirchhoff, der in den Verdacht gerät, seine kleine Tochter missbraucht zu haben; er ist der Sohn des Sonnenschein-Leiters. Selbst kleinste Nebenrollen sind mit unter anderem Walter Kreye als Programmdirektor eines TV-Senders und Natalia Avelon als Prostituierte, die dazu beiträgt, dass ein ganz anderer alter Fall gelöst wird, namhaft besetzt.

Markant sind zudem die Momente mit Àlex Brendemühl als früherem Anwalt, dessen Karriere abrupt endete, weil er sich mit den falschen Leuten anlegte. Als zu Beginn des Films am Main die Leiche eines furchtbar zugerichteten Mädchens gefunden wird, scheint sich zu wiederholen, was neun Jahre zuvor passiert ist. Damals hatte es einen ähnlichen Fall gegeben, auch diese Frau hatte Spuren schlimmster Misshandlungen aufgewiesen. Allein der Handlungsreichtum der Geschichte ist enorm, aber Anna Tebbe hat die Komplexität gut in den Griff bekommen. Am besten wäre es, wenn die Reihe jetzt endete; die ehemalige Hobby-Schriftstellerin hat zwar noch einen siebten Taunuskrimi geschrieben („Die Lebenden und die Toten“), aber besser kann eine Adaption kaum werden. (Text-Stand: 8.12.2015)

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ZDF

Mit Tim Bergmann, Felicitas Woll, Michael Schenk, Kai Scheve, Harald Schrott, Àlex Brendemühl, David Rott, Michael Mendl, Jürgen Tarrach, Natalia Wörner, Karin Hanczewski, Jenny Elvers, Jennifer Ulrich, Natalia Avelon, Bella Bading, Emma Bading

Kamera: Stefan Spreer

Szenenbild: Benedikt Herré

Schnitt: Claudia Klook

Musik: Florian Tessloff

Produktionsfirma: all-in-production

Drehbuch: Anna Tebbe

Regie: Marcus O. Rosenmüller

Quote: Teil 1: 7,27 Mio. Zuschauer (21,6% MA); 2. Teil: 7,27 Mio. (22,1% MA); Wh. 1. Teil (2017): 4,41 Mio. (14,7%MA); Wh. 2. Teil (2017): 4,28 Mio. (15,1% MA)

EA: 11.01.2016 20:15 Uhr | ZDF

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