„Ich habe die Macht. Eine Macht, die Sie nicht verstehen. Eine Macht, die Sie zerstören wird.“ Solche Prophezeiungen beunruhigen Hauptkommissar Jan Fabel. Er weiß, dass es wohl nicht bei den beiden Frauenleichen bleiben wird. Hier mordet nicht nur einer nach einem uralten Strafritual der Wikinger, hier lebt ein Psychopath auch seine Allmachtsphantasien aus. Die E-Mails mit den verschlüsselten Botschaften sind ein Hinweis darauf, dass der Mörder ein Spiel mit der Polizei treiben will. „Der Adler öffnet seine Schwingen“, heißt es da immer wieder. Das Mordszenario sieht jedes Mal so aus: Der Brustkorb wird geöffnet und die Lungenflügel um Hals und Schultern der Opfer drapiert. Wie ausgeweidete Vögel hängen die Toten am Kreuz. Ein drittes Opfer wird in Wikinger-Art vergewaltigt, wird aber am Leben gelassen. Zum Kreis der Verdächtigen gehören ein drogensüchtiger Ex-Bulle und ein egozentrischer Millionär. Der eine hat bald ein Loch im Kopf, dem anderen folgt die neue Teamkollegin nächtens auf dessen Yacht. Dann plötzlich ergibt sich eine heiße Spur zur ukrainischen Mafia, die in Hamburg groß ins Immobiliengeschäft einsteigen möchte.
Soundtrack: SOS Band („Just be good to me“), Gossip („Heavy Cross“), The Prodigy („Break & Enter“), Anne Clark („Sleeper in Metropolis“)
Foto: Degeto / Tivoli / Feist
Die Nacht liegt über Hamburg. Die Psychopathen und Killermaschinen sind los und setzen das vornehmlich junge, attraktive Team um den erfahrenen Fabel mächtig unter Druck. Dem Professional alter Schule ist nichts Menschliches fremd. Peter Lohmeyer spielt ihn mit typisch amerikanischer Genre-Psychologie – unterkühlt und markant zurückhaltend. Auch die anderen Darsteller passen sich an das optische Konzept dieses Kriminalthrillers perfekt an: Potthoff, Schönemann, Sellem, Klink – da passt jeder Blick zum Rhythmus des Schnitts, jede Geste zur düsteren Grundstimmung des Films. Wie schon „Wolfsfährte“ ist „Blutadler“ ein perfekter Designer-Krimi, der hohen US-Crime-Series-Standards entspricht. Die mythengeschwängerte Story mit ihrer mittelalterlichen Mystik – so bizarr sie auch einige Male ins Bild gerückt wird – gerät darüber fast ins Hintertreffen, wird vor allem als Atmosphäre-Spender eingesetzt und ist andererseits auch nützlich, um die enormen Brutalitäten des Films zu legitimieren. Das Erzählte kann man getrost vergessen, was zählt, ist allein die Erzählweise und ihre Wirkung. Es ist der Mix aus moderner Urbanität und archaischem Germanenkult, der den Zuschauer in den Bann schlagen soll. Und es ist vor allem die enorme Spannung, die Regisseur Nils Willbrandt und Autor Daniel Martin Eckhart nach allen Regeln der Kunst erzeugen und die man hierzulande so nur selten zu sehen bekommt. Dass diese altbekannten Regeln noch immer greifen, liegt am strikt durchgehaltenen Konzept und der Klasse-Arbeit aller Gewerke.
Durch die extremen Spannungsmomente, in die auch die Kommissare immer wieder involviert sind, relativiert sich der allzu coole Look, die etwas blutleere Team-Kommunikation, die hanebüchene Story und die unlogischen Details in einigen Szenen. „Blutadler“ beweist, dass man hierzulande auch Krimis für den internationalen Markt „basteln“ kann. Klare Handlungsführung, kurze Spannungsbögen, viel Action, viel Blut, viel Gewalt (gegen Frauen), große Coolness, die Lichter der Großstadt, der Hafen und immer wieder die Nacht. So ungewohnt für den deutschen Krimi-Alltag, so wirkungsvoll, so handwerklich präzise dieser Hochspannungsthriller auch ist – am Ende bleibt eine gewisse Leere und die wenig erfreuliche Erkenntnis, dass der Mensch auch nur ein Tier ist. (Text-Stand: 6.10.2012)