Flirt-Nachhilfe für die Generation der Fiftysomethings
Sieben Singles im fortgeschrittenen Alter wollen es noch einmal wissen. Sie wollen wissen, wie das geht mit dem Flirten, nachdem ihnen das Leben schon etliche Schnippchen geschlagen hat. Da ist Frieda (Corinna Kirchhoff), die emotional verunsicherte, feine Dame, die ihren 20 Jahre älteren Mann bis zu seinem Tod gepflegt hat. Da ist Britta (Proschat Madani), die besserwisserische Bibliothekarin, die sich nach einem Gegenüber sehnt, aber zu viel Nähe nicht ertragen kann. Da ist der Schuldirektor Friedrich (Falk Rockstroh), ein selbstverliebter Chauvi der alten Schule. Da ist der grundehrliche Heinz (Max Herbrechter), ein Gemütsmensch mit einem kräftigen rechten Haken. Da ist Gila (Teresa Harder), eine Frau, die nur ihre Kinder hat und von diesen sattsam ausgenutzt wird. Da ist Ulf (Rufus Beck), der versucht, sich mit Neugier und Kreativität seinen Weg aus der Krise zu bahnen. Und da ist Julia (Nadeshda Brennicke), die Karrierefrau mit permanentem Beziehungsknick, deren „40plus“-Kurs ausgefallen ist. Sie alle treffen sich in einem VHS-Kurs, um Techniken zum Kennenlernen – spätere Liebe nicht ausgeschlossen – zu erlernen. Ihr Coach ist Jan (Alexander Khuon) – ein gescheiterter Schauspieler, der in Liebesdingen Bescheid weiß, an dessen praktischer Kompetenz und Einfühlungsvermögen aber bald Zweifel aufkommen.
Foto: SWR / Bettina Müller
„Es geht um Menschen, die mit einem Umbruch in ihrem Lebenslauf zurecht kommen müssen oder auf der Suche nach einem Umbruch sind. Wie kann man sich selbst neu definieren, wenn einem die jugendliche Naivität fehlt? Wie sehr sind Erfahrungen & Eigensinn ein Schutz, aber auch eine Bürde? (Lutz Hübner)
Gefällige Unterhaltung mit Wiedererkennungswert
„Blütenträume“ basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Lutz Hübner („Frau Müller muss weg“) und Sarah Nemitz. Hübner, einer der am meisten gespielten Gegenwartsautoren, hat den Alltag für das vom Fernsehen – statt von klassischem Bildungsgut – sozialisierte Publikum auf die Bühne gebracht und wurde in bisher 128 Orten aufgeführt. Mit dem Film des Österreichers Paul Harather, der einst mit einer anderen Theaterverfilmung, „Indien“ mit Josef Hader, seine Karriere begann, kehrt das zeitgeistige Tournee-Theaterstück nun dorthin zurück, wo es ästhetisch seine Heimat hat: ins Fernsehen. Und da macht es sich gut als gehobene Mittwochabend-Unterhaltung mit ein bisschen Tiefgang. Ein vielstimmiges Konversationsstück, das viele Fragen aufwirft: Wohin geht man mit Anfang Sechzig, wenn man jemanden kennenlernen möchte? Gibt es tatsächlich Strategien für dieses späte Werben oder ist nicht immer Individualität das beste Argument? Ist der Traum einer Alten-WG lebbar oder muss er ein Traum bleiben? Nimmt man die Probleme der sieben Figuren ernst, die das Klischee vom Alter(n), das nichts für Feiglinge ist, facettenreich und zunehmend ernsthaft in den Charakteren zum Schwingen bringen, sind es am Ende fast zu viele Fragen. Und so bleibt es bei gefälliger Unterhaltung mit Wiedererkennungswert.
„’Blütenträume’ ist wie eine Schachtel Konfekt: Gut und liebevoll eingepackt kann man Süßes finden, Zartbitteres, den Duft der Lebensfreude und das Gefühl, dass alles im Leben, so gut es auch sein mag, vergänglich ist.“ (Paul Harather)
Foto: SWR / Bettina Müller
Soundtrack: Sergio Mendez („The Look of Love“), George Michael („Careless Whisper“), John Paul Young („Love Is In The Air“), Daft Punk („Get Lucky“), Randy Crawford („Street Life“), Charles Trénet („La Mer“)
Ein Jungspund und die Alles-besser-Wisser
„Blütenträume“ bietet den Zuschauern mehr als den bloßen Spaß an den ganz alltäglichen Neurosen, die die Fiftysomethings der Single-Gesellschaft hier im Stuhlkreis der VHS zu Markte tragen. Hübner und auch Drehbuchautor Harather machen sich weder über ihre Figuren lustig, noch stellen sie sie würdelos zur Schau. Darin unterscheiden sie sich von ihrem Coach, den beide Autoren wohlweislich nach zwei Dritteln der Spielzeit in die Wüste schicken. Denn dieser ist ein Jungspund, der die Rechnung ohne das langsam wachsende Gemeinschaftsgefühl seiner Kursteilnehmer macht. Wer Sechzigjährigen zur Bewältigung ihrer Einsamkeit dieselben Ratschläge gibt wie Zwanzigjährigen fürs Bewerbungsgespräch, indem er Selbstvermarktungstechniken trainiert – dem fehlt es gewaltig am richtigen Gespür für die Bedürfnisse und Lebenserfahrungen von Julia, Jan & Co, die im Übrigen auch nicht als „Senioren“ angesprochen werden wollen, sondern als „Menschen in der spätberuflichen Lebensphase“. Offensichtlich trägt auch der Seminarleiter, obwohl noch jung an Jahren, ein Päckchen auf seinen Schultern – ausgerechnet die Generation betreffend, die er coachen soll, diese Alles-besser-Wisser, die ihre Plätze in der Gesellschaft nicht räumen wollen.
„Legt den Finger in die Wunde, trifft den Nerv der Zeit.“ (TV-Spielfilm)
Foto: SWR / Bettina Müller
„Aber weil der Dramatiker Lutz Hübner zwar einer der meistgespielten Stückeschmiede deutscher Sprache ist, im Grunde aber ein Essentialist, der seiner Durchmusterung deutscher Zustände die Botschaft unterlegt, dass alles so ist wie es eben ist, werden sämtliche Fenster, die sich in ‚Blütenträume’ verbal in einen Möglichkeitsraum öffnen, auch verlässlich utopiedicht wieder geschlossen.“
Ein fast(!) romantisches Fest einer Generation
Was für einen Theaterabend vielleicht ein bisschen zu unentschlossen und beliebig in Gehalt, Form und Sprache daherkommt, ergibt im Fernsehen ein amüsantes 90minütiges Typen-Karussell, das einen durch die unterschiedlichsten Stimmungen trägt, ein bisschen Mitgefühl einholt, gute Laune verströmt und für den einen oder anderen Lacher gut ist. Harathers bestens besetzter Film ist auch ein Fest der Schauspieler, die ihre mehr oder weniger am Klischee gebauten Rollen, so gut es im Rahmen dieser Typen-Schau geht, ein eigenes Gesicht geben: Ausgerechnet die beiden, die dramaturgisch am wenigsten an der sozialen Stereotype kleben, und die sich wenig aus Konventionen machen, dafür mit Mut, Offenheit und dem Wissen um die Endlichkeit („Wir müssen alle krepieren“) zu Werke gehen, scheint sich zu guter Letzt eine neue Liebe zu finden. Im Schlussdrittel dann wird „Blütenträume“ zum (nie zu) romantischen Fest einer Generation – was den Einzelnen nicht nur der Gruppe, sondern offenbar auch sich selber wieder näher bringt. Die wackeren Sieben feiern, singen, spielen, trinken, kiffen, bevor sie sich auskotzen oder gehörig dem Anderen die Meinung geigen und sie kommen schließlich – Ausdruck des momentanen Glücks oder der tiefen Verzweiflung? – auf eine traumhafte Idee. Ein Wohlfühlende aber, so viel sei verraten, darf man von dieser telegenen Nabelschau einer Generation nicht erwarten. (Text-Stand: 7.9.2015)