tittelbach.tv schrieb zum ersten Film im Mai 2018: „Kein Krimi, der einen vom Hocker reißt, aber ein etwas anderes jener beliebten ungleichen Duos, das Spaß macht und aus dem noch viel herauszuholen ist – ‚Blind ermittelt‘ kann man sich gut als Reihe oder Serie vorstellen.“ Der Einstand im Ersten lockte mehr als fünf Millionen Zuschauer vor die Bildschirme. Und so geht es – nach dem Gesetz der Serie – natürlich weiter als Donnerstagskrimi: „Blind ermittelt – Die verlorenen Seelen von Wien“ ist der zweite Fall für die beiden Privatermittler in Wien. Philipp Hochmair als blinder Ex-Chefinspektor Alexander Haller und Andreas Guenther als sein Gefährte Nikolai Falk bekommen es diesmal mit einer Entführung zu tun.
Die Geisel ist Hallers Schwester Sophie (Patricia Aulitzky). Die besucht mit Nikolai das Burgtheater, in der Pause geht sie kurz auf die Toilette und wird dort gekidnappt. Als ihr Begleiter das mitbekommt, versucht er die Entführer zu stoppen. Dabei kommt es zu einem Gerangel, es fällt ein Schuss, einer der drei Gangster wird getroffen. Die weiteren Geiselnehmer Adrian (Sabin Tambrea) und Caro (Julia Franz Richter) fackeln nicht lange, kurze Zeit später töten sie ihren verletzten Komplizen (Peter Pertusini). Für Haller steht fest: „Keine Polizei, denn 50 Prozent der Geiselnahmen mit Polizeibeteiligung enden tödlich!“ Niko vermutet, dass die Wettmafia, der er 50.000 Euro schuldet, dahintersteckt. Eine falsche Fährte. Bald schon fordern die Kidnapper 750.000 Euro. Als die Leiche des dritten Täters gefunden wird, startet Kommissarin Laura Janda (Jaschka Lämmert) ihre Ermittlungen. Sie ahnt nichts von der Entführung, hat aber Fragen an Nikolai, der auf Überwachungskameras am Burgtheater bei dem blutigen Handgemenge zu sehen ist. Ihr Ex-Chef Haller bittet sie, seinen Freund gehen zu lassen. Schließlich braucht ihn Haller für die Lösegeldübergabe am Prater.
Foto: Degeto / Philipp Borzsek
Handicaps bei Ermittlern sind nicht gerade selten. Sieht man mal vom Klassiker, dem im Rollstuhl sitzenden „Der Chef“ und seinem Austria-Nachfolger in „Die Toten von Salzburg“ ab, beschränken sich die meistens darauf, dass sie mit Traumata zu kämpfen haben wie beispielsweise Faber im Dortmund-„Tatort“. Ein Ermittler, dem einer der fünf Sinne fehlt, das ist (noch) ein Alleinstellungsmerkmal, das die Reihe klug und einfallsreich zu nutzen weiß. Dieser blinde Haller setzt auf seine messerscharfen anderen Sinne und die Sehkraft seines Partners. Vor allem hört der Ex-Kommissar besser als andere. Das zeigt schon die Anfangs-Szene, als er – untermalt mit Falcos Gassenhauer „Der Kommissar“ – einen flüchtenden Taschendieb heran nahen hört, mit seinem Blindenstock zu Fall bringt und sich dann von dem glücklichen Opfer über die Straße führen lässt. Dieser witzige, leicht ironische Ton zieht sich durch die Handlung. Dramaturgisch gesehen arbeitet Jan Ben Chaabane dagegen eher mit Thriller-Elementen: durchgehende Spannung, düstere Soundgestaltung, rasante Bildsprache. Überblendungen, Zeitlupen-Action, Rückblenden, Kameraflüge – alles drin in dieser Jagd nach „den verlorenen Seelen von Wien“. Auch die markanten Locations der österreichischen Metropole dürfen nicht fehlen – vom Burgtheater bis zum Prater samt Riesenrad.
Regisseur Jano Ben Chaabane hat auch schon den Debütfilm „Blind ermittelt – Die toten Mädchen von Wien“ in Szene gesetzt; es war sein erster Langfilm nach Arbeiten mit Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf für „Circus HalliGalli“ und „Duell um die Welt“ und seinem Serien-Debüt mit „Culpa – Niemand ist ohne Schuld“. Er setzt auch diesmal auf reichlich Tempo und Atmosphäre. Philipp Hochmair und Andreas Günther (aus dem Rostocker „Polizeiruf 110“-Team) ergänzen sich in ihren Rollen mit ihren Sinnen, die Dialoge sitzen. Als Gegenspieler der beiden brilliert Sabin Tambrea („Ku’damm 59“ und auch in der 3. Staffel von „Babylon Berlin“ zu sehen), kaum einer kann Bösewichte dämonischer spielen als er. Da ist es äußerst schade, dass der Krimi-Plot von Stammautor Ralph Werner („SOKO Kitzbühel“, „Der Bulle von Tölz“) äußerst konventionell geraten ist. (Text-Stand: 2.2.2020)