Paul und Boris sind zwei Berliner Drogenfahnder, die sich mit der Türken-Mafia eingelassen haben. Sie haben sich verkauft, um an „die ganz großen Fische“ zu kommen. Mit diesem Argument haben sie sich ihr korruptes Treiben immer wieder schön geredet und vor ihrem Gewissen verteidigt. Ihre Erfolgsquote ist hoch, dennoch gehören sie längst nicht mehr zu den Guten. Paul will deshalb aussteigen. Doch die Bösen sind schneller. Sie sind hinter Pauls Frau her. Und noch bevor dieser die Bombe platzen lässt, die nicht nur das Drogenkartell der Hauptstadt, sondern auch die Berliner Politik erschüttern könnte, ist seine Frau Lili tot. Völlig außer sich rast er mit ihr durch Berlin, in der irrigen Hoffnung, sie noch retten zu können. Dabei verliert er die Kontrolle über sein Fahrzeug und knallt in eine Fensterscheibe. Die Folge: Schädelhirntrauma. Fast alle Erinnerungen verloschen. Paul ist ein Mann ohne Vergangenheit.
„Blackout – Die Erinnerung ist tödlich“ setzt an jenem Unglücktag ein. Man sieht Paul und Boris, wie sie aneinander geraten. „Pass auf, Paul, überleg dir gut, was du machst“, droht ihm der Freund. „Pass gut auf dich auf“, rät er auch Lili. Dann geht es Schlag auf Schlag. Ein Telefonat. „Bleib, wo du bist, ich komme!“ Pauls Blick auf die Szene, die nach seiner Amnesie als erste wieder vor seinen Augen steht: Lili, in der Tür des Fahrstuhls liegend, dazu der unerträgliche Ton des Türschließmechanismus und das wummernde Schlagen gegen Lilis Körper. Wenig später der folgenschwere Crash, dann der Neuanfang. Paul wird aus der Klinik entlassen. Vieles muss er neu lernen und er muss sich seine Biografie zurückholen, sein Leben zurückerobern. Außerdem muss er sich alles aufschreiben, selbst das, was er gerade getan hat, weil er sonst Gefahr läuft, es in den nächsten Minuten erneut zu tun.
Paul Novak erfährt während der rund 270 Filmminuten, wer er gewesen ist. Ein gekaufter Polizist, ein Mann, der betrogen, gelogen und gemeinsame Sache mit Mördern gemacht hat. Er steckte ganz tief drin im Sumpf aus Korruption, Drogen und Prostitution. Ungewöhnlich ist es, die Läuterung eines Helden einmal nicht als linearen Lernprozess dargestellt zu sehen, sondern die beiden Seelen in einer Brust immer wieder als harten Kontrast präsentiert zu bekommen. Je besser sich der Held erinnert, je mehr er auf eigene Faust ermittelt hat, desto öfters werden Szenen von damals mit Szenen von heute kombiniert. So ist die Läuterung mehr als eine klassische Erzählkonvention, die dem Charakter aufgezwungen wird. Der Zuschauer sieht auf jenen Paul und er sieht ihn, hin und her „switchen“ zwischen Gut und Böse. Am Ende siegt zwar die Moral, aber nicht nur, weil es sich so gehört, sondern weil sich hier einer ehrlich abgearbeitet an seiner Vergangenheit.
Der Sat-1-Vierteiler ist ein ungewöhnliches Stück Fernsehen. Nie war der deutsche Krimi düsterer und politisch unkorrekter, nie waren seine Kommissare korrupter und cooler. Und selten war ein deutscher Mehrteiler so raffiniert konstruiert, die Geschichte so intelligent aufgepuzzelt über vier 90-minütige Teile. Dabei war „Blackout“ unter dem Arbeitstitel „8 Days“ als achtteilige Serie gedreht worden. Doch in diesem Format sahen die Sat-1-Verantwortlichen jetzt keine Chance für das außergewöhnliche Projekt. „Es ist einfach keine klassische Serie“, so Sat-1-Chef Roger Schawinski. „Wegen der Dichte, Intensität und hohen Qualität des Programms haben wir uns für die Programmierung als Event-Vierteiler entschieden, denn unsere großen Zweiteiler haben alle sehr gut funktioniert.“ Die Entscheidung gegen die Serie und für den Vierteiler, gesendet innerhalb von neun Tagen, ist sicher nicht falsch. Dennoch wird es das von Norbert Eberlein („Doppelter Einsatz“) klug ausgetüftelte Düster-Werk schwer haben beim deutschen Zuschauer. Vielleicht hätten ein paar Fragezeichen weniger zu Beginn dem Verlauf der Geschichte gut getan. Konsequent belassen die Regisseure Peter Keglevic und Hans-Günther Bücking, der zugleich verantwortlich war für die überragende Kameraarbeit, den Zuschauer in einer großen Distanz zu den Charakteren und zum Geschehen. Da ist es umso bemerkenswerter, dass die Geschichte den Zuschauer trotz der kühlen Inszenierung und der gedrosselten Gefühle keineswegs kalt lassen muss.
Dafür sind die Schauspieler einfach zu überzeugend und gekonnt in ihrem reduzierten, aber nie künstlichen Spiel. Misel Maticevic („Hotte im Paradies“) hat sich endgültig vom Wilden-Stier-Image emanzipiert. „Auch Stille und Verletzlichkeit verlangen nach Intensität und Leidenschaft“, sagt er. Will heißen: die deutsche Nachdenklichkeit seines Paul lässt sich durchaus sinnlich-amerikanisch umsetzen. Nach dem gleichen Prinzip agiert auch Roeland Wiesnekker. Er ist eine Entdeckung. Der Schweizer spielt Pauls Freund Boris. Ein Mann, der nichts mehr zu verlieren hat, einer, der auf der falschen Seite steht und der sogar selbst tötet. Wiesnekker: „Er ist zerrissen, verzweifelt, rastlos.“ Für die anderen bleibt er unberechenbar; auf den Zuschauer wirkt er faszinierend und abstoßend zugleich. Dieser Boris Schenker ist der brutalste Bulle, den man je in einem deutschen Krimi gesehen hat. Auf der Seite, wo nur Geld, Macht und das Recht des Stärkeren zählt, besticht einer, den man bisher vor allem aus albernen Kino-Klamotten kennt: Hilmi Sözer. Er liefert eine stimmige Charakterstudie eines türkischen Bandenchefs. Im Macho-Land zeigen auch die Frauen reife Leistungen: Claudia Michelsen, Ina Weisse und Jule Böwe – alle drei begehren auf gegen die Welt der Killer, Kokser & Karrieristen. Und wie in jedem guten Genrefilm machen die Figuren wenig Worte, aber wenn sie etwas sagen, dann knallt es entweder wie ein Schuss oder klingt nach Poesie: „Ich hab sehr viel vergessen, ich lebe ohne Kopf“, sagt der Held und lächelt wie ein Kind.
„An dieser Produktion ist nichts vorhersehbar“, sagt ein weiterer Hauptdarsteller, Dominic Raacke, sonst in Berlin als „Tatort“-Kommissar unterwegs. „Bei anderen Krimi-Serien teilt sich die Welt artig in Schwarz und Weiß. Die Frage ‚Wer war’s?’ kann recht schnell beantwortet werden. Damit die Lösung nicht zu offensichtlich erscheint, baut der Autor drei bis vier Holzwege ein, auf denen sich der Kommissar über einige Szenen verrennt.“ Auf diese sichere Nummer, auf die sich seit Derricks Zeiten deutsche Krimis verlassen, wollen einige TV-Macher hierzulande nicht länger setzen. Angestachelt von amerikanischen Serienhits wie „The Wire, „24“ oder „Without A Trace“ wollen deutsche Krimimacher nun auch subtiler und eleganter zu Werke gehen. „Wir haben aus den US-Erfolgen gelernt, auch in Deutschland den Krimi mal in anderen Varianten zu erzählen“, so Sat-1-Fiction-Chefin Alicia Remirez. „Dabei geht es mehr darum, wie der Mord verübt wurde, als um die Frage, wer der Täter war.“