Fünf Menschen unter Druck. Zwei Männer fürchten um ihre Existenz, des einen Ehefrau gerät in den Machtkampf der beiden, und zwei Mädchen verlieren ihr optimistisches Lächeln. Es ist reich an Konflikten, das psychologische Familiendrama „Bittere Unschuld“ von Markus Busch, das der mehrfache Grimme-Preisträger Dominik Graf („Tatort: Frau Bu lacht“) mit Elmar Wepper, Michael Mendl & Andrea L’Arronge gewohnt meisterlich in Szene setzte.
Die geplante Umstrukturierung eines Pharmaunternehmens sorgt für Aufregung. Andreas Brandt muss um seine teure Forschungsabteilung bangen. Da kommt es dem Familienvater zupass, dass sein Vorgesetzter Larssen, der beim Umbau der Firma wesentlich mitentscheidet, eine Leiche im Keller hat: als Larssen noch forschte, starben mehrere Menschen unter Einwirkung einer von ihm erprobten chemischen Substanz. Durch Zufall bekommt Brandt die existenzbedrohende Akte in die Hände. Außerdem wird er Zeuge, wie Larssen eine junge Frau vergewaltigt. Da dürfte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Doch Larssen zieht alle Register.
Der erfolgreiche Thrillerregisseur Dominik Graf („Der Skorpion“) hat einen melodramatischen Stoff verfilmt. Das Buch von Markus Busch bedient wunderbar altmodisch die Regeln dieses klassischen Genres: Auf der verzweifelten Suche nach dem Glück geht jeder der Figuren seinen eigenen, heimlichen Weg. Aus den Mißverständnissen, die so entstehen, werden die großen Gefühle gemacht … Wie schon in früheren Filmen verfremdet Graf seine Bilder auch hier gerade so viel, daß sie uns ein bruchloses Hineinfallen in die Geschichte verwehren. In der Farbführung bleibt der Grimme-Preisträger sich treu: Kaltes Blau für die böse Firma, sanftes Gelb für die familiäre Idylle, aggressive Farbkontraste für den Eindringling. Aber verlassen darf man sich auf Grafs Farbleitsystem von Gut und Böse freilich nicht. Zu undurchsichtig agieren die Akteure, zu düster entwickelt sich die Geschichte. (Klaudia Brunst – heute Wick – in Berliner Zeitung)
Ein Film wie ein Tennis-Match. Ein, zwei „Big Points“ und der vermeintliche Verlierer ist wieder im Spiel. Ausgetragen wird jenes Match in einer Atmosphäre zwischen Männlichkeitsritualen und friedlich-verlogener Familien-Routine. Der brave Papa ist eingeklemmt in diese Milieus. Indem er sich mehr und mehr von Frau und Tochter (eine Entdeckung: Mareike Lindenmeyr) entfremdet, zieht er sie mit in den Strudel seines Existenzkampfs hinein. Aber auch das vergewaltigte Mädchen (einmal mehr sehr eindrucksvoll: Laura Tonke) kommt ins Spiel – und gemeinsam mit Brandts Tochter hat sie durchaus eine gewisse (Außenseiter-)Chance, das an sich ungleiche Match zu gewinnen.
Was Menschen nicht alles machen, um ihre Haut zu retten – davon erzählt „Bittere Unschuld“. Der Film zeigt eine kaputte Erwachsenenwelt, die beinahe die Jugend mit in den Abgrund reißt. Es ist zugleich eine Männerwelt, in der Frauen schnell zum Opfer werden. Buschs konfliktreiches Drama der Gefühle inszenierte der visuelle Analytiker Dominik Graf in einem für das Genre ungewöhnlichen Erzählrhythmus aus ausgespielten Szenen, Andeutungen und Auslassungen. Für den Regisseur gehört „Blinde Unschuld“ neben dem gerade mit dem TV Movie Award beim Münchner Filmfest, dem höchst dotierten deutschen Fernsehpreis, ausgezeichneten „Deine besten Jahre“ zu seinen vorerst letzten Versuchen, „die erzähltechnischen Möglichkeiten des Fernsehens auszuloten“. Graf möchte bald wieder Kino machen. „Es entwickelt sich im Fernsehfilm-Format derzeit einfach nichts weiter.“ Doch auch da haben es Innovationen schwer. Also plant er nach seinem Grimme-Preis-gekrönten „Wis-pern im Berg der Dinge“ erstmal einen weiteren Dokumentarfilm. (Text-Stand: 9.7.1999)