Mit einer dramatischen Vorblende wird der Ton im Fernsehfilm „Bis zum letzten Tropfen“ gesetzt: In Lauterbronn herrscht nach einer Hitzeperiode der Wassernotstand. Bürgermeister Martin Sommer (Sebastian Bezzel) bemüht sich gerade, die aufgebrachten Bürgerinnen und Bürger zu beruhigen, als sich Landwirt Bernhard Schultz (Michael Roll) vor aller Augen mit Benzin übergießt und selbst anzündet. Sommer stürzt sich auf den brennenden Mann und taucht mit ihm im Brunnen ab, der glücklicherweise noch mit Wasser gefüllt ist (während die Leitungen in den privaten Haushalten keinen Tropfen mehr hergeben). Daniel Harrichs Film erzählt nun, wie der Konflikt ums Wasser in den vergangenen sechs Wochen derart eskalierte, dass es zu der tragischen Tat kam. Schultz‘ Motiv für die versuchte Selbstverbrennung ist eine Mischung aus Protest und Verzweiflung, denn im Zuge der Auseinandersetzung kam sein mit einem Down-Syndrom geborener Sohn Alexander (Sebastian Urbanski) ums Leben.
Foto: SWR / Olczyk
Mit einer hochemotionalen Geschichte will der auf gesellschaftspolitische Konflikte spezialisierte Daniel Harrich das Publikum für das Thema Privatisierung des Trinkwassers interessieren – und zwar nicht mit einer Handlung, die in fernen Ländern spielt, in denen das Wasser jetzt schon knapp ist, sondern mitten in Deutschland, in einer fiktiven baden-württembergischen Kleinstadt. Dass dies nicht weit hergeholt ist, zeigt unter anderem das Beispiel Lüneburg. In der niedersächsischen Stadt trug ein Bürgerprotest gerade dazu bei, dass Coca-Cola auf weitere Probebohrungen zur Entnahme von Tiefengrundwasser verzichtete. Der Klimawandel dürfte das Problem der Wasserversorgung in den nächsten Jahrzehnten weiter verschärfen. Das Projekt ist also zweifellos ein verdienstvolles Anliegen, bei dem die ARD wieder verschiedene Kanäle benutzt, um Öffentlichkeit zu schaffen.
Erneut wird Harrichs fiktionale Erzählung durch eine anschließend im Ersten ausgestrahlte Dokumentation (und diesmal auch durch eine dreiteilige Dokuserie für die ARD-Mediathek) ergänzt. In der Vergangenheit ging dieses Konzept häufig auf. Seine nicht immer hochklassigen, aber packenden Filme fanden ein breites Publikum, seine investigativen Recherchen etwa zum Münchener Oktoberfest-Attentat („Der blinde Fleck“) oder zu deutschen Waffenexporten in Krisengebiete („Meister des Todes“) blieben zudem nicht ohne Einfluss auf Debatten und Entscheidungen in Politik und Justiz. Für den Themenabend „Tödliche Exporte“, in dessen Rahmen auch der Fernsehfilm „Meister des Todes“ ausgestrahlt wurde, erhielten Daniel Harrich und sein Team 2016 den erstmals vergebenen Preis für die „Besondere journalistische Leistung“ der Grimme-Jury Information und Kultur.
Foto: SWR / Jürgen Olczyk
Unabhängig von der Qualität der journalistischen Arbeit des Teams Harrich: Die Umsetzung in einer fiktionalen Erzählung ist diesmal leider nicht sonderlich gelungen. Handlung und Figuren geraten plakativ, schematisch und unglaubwürdig, die Darstellung der Verflechtung von Politik und Wirtschaft ist vorhersehbar und eindimensional. Vermutlich ist die Geschichte um die sympathische Hauptfigur, den engagierten Bürgermeister Sommer, gut gemeint. Aber letztlich bedient sie ein populistisches Narrativ: Auf der einen Seite der aufrechte, erstaunlich naive Lokalpolitiker, der sich für seine Leute vor Ort einsetzen will – auf der anderen Seite eine Allianz übermächtiger Gegner aus Bundespolitik und internationaler Wasserwirtschaft. Hauptdarsteller Sebastian Bezzel nimmt man den alleinerziehenden Vater und besorgten Politiker gerne ab, aber das ändert nichts an den Schwächen von Drehbuch und Inszenierung.
Martin Sommer agiert als Einzelkämpfer. Einen Gemeinderat oder andere kommunalpolitische Kräfte gibt es nicht einmal andeutungsweise – eine Verkürzung, die unterstreicht, dass der Bürgermeister auf verlorenem Posten steht. Das mag noch halbwegs legitim sein, aber Sommer verhält sich auch derart widersprüchlich, dass man sich wundert, worin die redaktionelle Betreuung der vier (!) beteiligten Sender wohl bestanden haben mag. Sommer hofft auf die Rettung der Arbeitsplätze durch den Konzern Pure Aqua, gibt bei Amira König (Neda Rahmanian) vom lokalen Wasserverband auch ein hydrologisches Gutachten in Auftrag, entdeckt dann aber wie aus heiterem Himmel im Gespräch mit König am Rande eines Fußballspiels seiner Tochter Ava (Hannah Schiller), dass die Privatisierung von Grundwasser vielleicht doch keine gute Idee ist („Wasser gehört allen“). Was ihn später wiederum nicht daran hindert, den Vertrag mit Pure Aqua quasi blind zu unterzeichnen. Denn offenbar hat er das Gutachten gar nicht gelesen. Ava muss es ihm erst vom Schreibtisch stibitzen und wieder empört vor die Füße werfen, bis Sommer auf die Idee kommt, genauer hinzuschauen.
Foto: SWR / Jürgen Olczyk
Am Ende entsteht eher Verwirrung, weil es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem akuten Wassernotstand und den umstrittenen Probebohrungen des Konzerns für die Tiefenwasser-Entnahme zu geben scheint. Viele Zuschauer dürften sich fragen: Wozu also die Aufregung? In den vielen Dialogen werden zwar die verschiedenen Argumentationslinien deutlich, aber der Konfliktstoff bleibt abstrakt und unverständlich. Umso formelhafter wirken manche Dialoge. Gleich mehrfach muss sich Ava in einen oberlehrerinnenhaften Ton flüchten („Informiert euch doch erst mal“). Dann wieder gebärdet sie sich, Parolen schreiend, wie eine Protest-Furie der Klima-Bewegung. Ulrich Tukur spielt den typischen Konzern-Manager, der, vordergründig charmant und zugewandt, knallhart die Interessen seines Unternehmens vertritt. Kalt und zynisch arbeitet auch die Wissenschaftlerin Amira König an ihrer Karriere, während die Politik durch Julia Roland, eine bis zum Schluss wankelmütige Beraterin aus dem Umweltministerium, vertreten ist. Immerhin: Karoline Schuch gibt diese junge Frau mit feuerroten Haaren in einer interessanten Mischung, mal als Verführerin, die mit dem Bürgermeister flirtet, mal als clevere Strippenzieherin.
Die dramatischen Ansätze sind da: Der Konflikt zwischen dem alleinstehenden Bürgermeister und seiner umweltbewegten Tochter. Der von Beginn an schwelende Streit zwischen dem Bürgermeister und dem verbitterten Landwirt, dem Sommers Vater den Hof anvertraute, damit sich der Sohn „nicht die Finger schmutzig machen muss“, wie Bernhard Schultz bemerkt. Aber die Möglichkeiten werden nicht genutzt, zu oberflächlich ausgespielt oder gar mit dem Holzhammer bedient. Auch das süße Lämmchen, um das sich Schultz‘ Sohn Alex rührend kümmert, muss dran glauben. Es passt ins Gut-Böse-Raster, dass es dem für die Probebohrung angerückten Bagger zum Opfer fällt. (Text-Stand: 15.2.2022)