Muss man als Gerichtsvollzieherin ein verkniffener Handlanger des Staates sein?
Billy Kuckuck (Aglaia Szyszkowitz) will dem Image ihres Berufsstands etwas entgegensetzen. Sachlich, aber freundlich ist ihr Auftreten; und realistisch sind für die, die sich finanziell übernommen haben, die Rückzahlungspläne ihres Assistenten Emre Sahin (Burak Yigit). Billy Kuckuck möchte sozial verträgliche Entscheidungen treffen. Vor allem in menschlichen Härtefällen schöpft sie ihren Ermessensspielraum aus. So im Fall der 80jährigen Margot Kuhlborn (Monika Lennartz). Es fällt ihr schwer, gegen die alte Dame, die nach 50 Jahren ihre Wohnung und womöglich ihr Viertel im Herzen von Mainz verlassen muss, eine Eigenbedarfs-Klage durchzusetzen. Aber der neue Besitzer, ein schnöseliger angehender Anwalt (Artjom Gilz), will endlich selbst einziehen – und er hat ein Recht darauf. Aber nicht nur das. Die Wohnung ist auch für den vermeintlichen Yuppie-Student lebensnotwendig, muss Billy erkennen – und steckt in einem Dilemma. Kompliziert ist auch ihre private Situation. Ihr Ex Gunnar (Gregor Bloéb) hat vor geraumer Zeit eine 19 Jahre jüngere Fußpflegerin geschwängert, Billy darauf überstürzt die Scheidung eingereicht, was aber beide nicht davon abhält, hin und wieder gemeinsam in die Kiste zu springen. Jetzt aber hat Billy mal wieder ein Date – mit dem Sanitäter Lukas (Bernd-Christian Althoff), süß, aber zu jung, findet sie. Um genau zu sein: 14 Jahre jünger als sie. Da will auch Tochter Hannah (Vivien Sczesny) ihren Eltern nicht nachstehen: Sie ist noch keine 16, ihre Errungenschaft aus dem Netz 27.
Eine ganz normale Frau, die alles richtig und möglichst gut machen will
Dieser Beruf steht eigentlich nicht unter Verdacht, das zuletzt arg überstrapazierte Helfer-Genre bedienen zu müssen. Und auch wenn Billy Kuckuck durchaus eine Frau ist, die sich fernsehgerecht aufreibt für die Menschen, mit denen sie es in ihrem Beruf zu tun bekommt, so ist sie doch vor allem eine Frau, die mitten im Leben steht, mehr als nur berufliche Baustellen hat und alles richtig und möglichst gut machen will. Ein ganz normaler Mensch, bisschen klüger, bisschen gewissenhafter, bisschen attraktiver als der Durchschnitt. Kein geborener „Gutmensch“, der immer gleich schwere moralische Geschütze auffährt. Und wenn doch einmal, dann folgen Einsicht und Katzenjammer auf dem Fuß. Das alles gilt zwar auch für die meisten der Kolleginnen von der öffentlich-rechtlichen Helferfront, aber mit einer Gerichtsvollzieherin in Mainz besteht die Möglichkeit, etwas mehr gesellschaftlich Relevantes einzufangen als mit den Wohlfühlfilmen aus Deutschlands Wellness-Oasen, was „Margot muss bleiben!“ auch gleich deutlich macht. Diese Heldin, ihr Beruf und das Konzept einer verkappten, dafür umso amüsanteren Familie haben von den aktuellen ARD-Degeto-Versuchen, mit einer Heldin in Reihe zu gehen, neben „Hotel Heidelberg“ und „Zimmer mit Stall“ (wobei es da nicht unbedingt eine lang laufende Reihe sein muss) das größte Potenzial.
Foto: SWR / Degeto / Kai Schulz
Komödiantisch in der Grundanlage, doch auch offen für melancholische Töne
Der Titel ist kein Zufall. „Billy Kuckuck“ ist Programm: „Kuckuck“ verweist sowohl auf den Beruf als auch auf die Tonlage. Irgendwo zwischen Drama und Komödie liegt fast alles, was auf dem ARD-Freitagssendeplatz und dem ZDF-„Herzkino“ ausgestrahlt wird. In diesem Fall – bei diesem Titel, dem manchmal köstlich blöden Gesichtsausdruck von Gregor Bloéb und der Situation, in die Gunnar Kuckuck sich hineinmanövriert hat – neigt sich die Waage mehr in Richtung Komödie. Dazu passt es auch, dass jeder im Film erst mal stutzt, dem sich die Heldin mit Name und Beruf vorstellt. Ja, sie thematisiert es zu Beginn gleich selber: „Ich weiß, eine Gerichtsvollzieherin, die Kuckuck heißt, ziemlich witzig, was?!“ (und nimmt damit der „haha, wie witzig“-Reaktion einiger Zuschauer selbst den Wind aus den Segeln). Während andere Reihen „Eifelpraxis“ oder „Praxis mit Meerblick“ heißen, betont hier der Titel, dass sich tatsächlich alles um die Hauptfigur dreht. Keine Szene ohne Billy Kuckuck, sie hat das Heft des Handelns fest in der Hand – und auch der Vorname passt zu der burschikosen und doch sehr weiblichen, hellwachen und immer beweglichen Jeansträgerin. Und Hauptdarstellerin Aglaia Szyszkowitz ist immer für ein Lächeln gut. Aber sie kann auch anders, wenn die Figur es verlangt. Wenn Selbstzweifel Billy überkommen, dann liegt urplötzlich eine durch und durch glaubwürdige Melancholie auf der Szenerie. Sie will ihrer Tochter Orientierung geben, fühlt sich dann aber wie ein Moralapostel („Wir haben Hanna gerade dafür bestraft, ein sexuelles Wesen zu sein“). Schon wieder so eine Zwickmühle.
Zwei Dinge gibt es, die den positiven Flow des Films ein wenig stören:
Da ist der Beamten-Nerd, den Rüdiger Klink wie immer äußerst übertrieben (und deshalb nervig) geben muss. Dieses Pullunder-Männlein von der lächerlichen Gestalt ist ein echter komödiantischer Ausreißer in die neuzeitliche Mobbing-Unsitte und bleibt als Funktion für die Geschichte ein völliges Rätsel. Außerdem stolpert man gelegentlich über die Sprache, wenn sie mit gedrechselter Rhetorik und überpointierten Begriffen dem Zuschauer etwas deutlich machen soll. Vor allem Bettina Lamprechts Stadtneurotikerin mit ihrem „Du hast so viele Punkte auf deinem Karma-Konto“ und „der Jean d’Arc der unbezahlten Rechnungen“ beißt sich mit der ansonsten äußerst alltagsnahen Sprache. Und wenn in der ersten Szene die Heldin in einer ihrer Repliken ironisch die Kränkung in ihrer Ehe unvermittelt einbaut, fällt das zumindest unter die Rubrik Geschmackssache.
Die absolut perfekte Lösung gibt es nicht, aber es gibt eine bestmögliche
Die Lösungen sind typisch für die Heldin: An Hannas Geburtstag bleibt zwar die Party für das Mädchen verboten (als Reaktion auf ihr leichtsinniges Date mit dem 12 Jahre älteren Mann), dafür aber geht die Mutter, die sich daran erinnert hat, dass sie schon mit 15 Sex hatte, mit ihrer Tochter zum Frauenarzt. Typisch für die etwas andere Reihe ist auch die realistischere Einstellung zur Wirklichkeit: Das Leben besteht aus Widersprüchen; nicht immer lassen sie sich zur Zufriedenheit aller auflösen. Diese Erkenntnis des gelebten Alltags, gleichzeitig auch das Credo der Heldin, mag banal klingen, die Geschichte aber macht sie wahr und wahrhaftig. Die Folge: Die Konfliktsituationen, in die Billy Kuckuck gerät, können selten auf einmal gelöst werden. Es muss immer wieder geredet, das Gesetz mit den Lebensbedingungen abgeglichen, es muss abgewogen und nachjustiert werden. Die perfekte Lösung gibt es nicht immer, aber es gibt eine bestmögliche. Und nicht alle Probleme lösen sich am Ende in Wohlgefallen auf. Das liegt im Wesen der Sache: Die Macher wollen natürlich eine Reihe etablieren. Da wird der Fokus am Ende auf die Familie gelenkt. Beide, Herr und Frau Kuckuck, sind unzufrieden mit der Situation. Beide haben Fehler gemacht. Lebt man bald wieder, obwohl geschieden, mit dem Ex zusammen? Oder ergibt sich Gunnar in sein selbst verbocktes Schicksal und macht sich Billy weiterhin auf die Suche nach Frischfleisch? Sollte „Billy Kuckuck“ in Reihe gehen, wäre eine über mehrere Episoden gedehnte „Remarriage“-Variante (kennt man aus zahlreichen klassischen Screwball-Comedys) sicherlich die lustvollste Lösung für den Zuschauer. Zu hoffen bleibt, dass die Kuckucks eine sympathische, leicht neurotische „Familie“ bleiben werden, für die Sex genauso wichtig ist wie Vorwürfe & Streitereien. Damit haben sich Autorin Kirsten Peters („Drunter & Brüder“) und Regisseur Jan Ruzicka („Freundinnen – Alle für eine“) die etwas weniger radikale Variante der Seitensprung-als-Chance-Dramödie „Neu in unserer Familie“ (2017) ausgedacht, mit der Daniel Nocke und Stefan Krohmer das Familien-Fernsehen grundlegend revolutionierten und entsprechend die Zuschauer verschreckten.
Foto: SWR / Degeto / Kai Schulz
Die Machart ist bestechend: leicht & locker, spielerisch & dramaturgisch dicht
Was „Billy Kuckuck – Margot muss bleiben!“ vor allem herausstechen lässt aus den anderen Mutter-Teresa-Produktionen ist die Art und Weise, wie der Film daherkommt: leicht und locker, spielerisch und dramaturgisch dicht. Kirsten Peters hat die Geschichte gut gebaut, verzahnt die A-, B- und C-Plots geschickt miteinander und beherzigt immer das Struktur-Prinzip „Man trifft sich mindestens zweimal“ – häufig mit komödiantischem Mehrwert. Wenn hier das 35jährige Date der Heldin plötzlich bei der 80jährigen Margot im Sanitäterkittel auftaucht, weil diese bei der Räumung vermutlich einen leichten Schwächeanfall erlitten hat, ist das mehr als eine jener „Es-musste-ja-so-kommen“-Situationen. Denn anwesend ist ja auch Gunnar, von Beruf Polizist, der auch nach der Scheidung noch gelegentlich mit seiner Frau zusammenarbeitet. Durch Bloébs Blicke bekommt die Ebene des Dating-Paares, die eingebettet ist in die Margot-Szene, eine weitere Nuance. Durch die Anspielungen seiner Tochter scheint er diese Situation mit dem Sanitäter erst später zu verstehen. Der Zuschauer weiß mehr – und das macht Laune! Überhaupt, diese Figur von eher schlichtem Gemüt (siehe Zitat im Kasten) und dazu der brillante Komödiant Gregor Bloéb („Single Bells“) sind ein weiterer Pluspunkt des Films. Amüsant auch das Zusammentreffen von Margot und Billy in der BH-Abteilung des Wäschegeschäfts: Die alte Dame weiß sofort, was Sache ist („ein Mann?“). Kurz vor Schluss spielt Margot dann noch mal auf diese Situation an: „Wie sitzt der neue BH?“, fragt sie, allerdings meint sie wohl: „Hat der BH seinen Zweck erfüllt?“. Hübsch auch, dass in dieser Situation jener Lukas auftaucht, ein paar ernste Worte mit Billy wechselt und Margot nach ihrem Befinden fragt, worauf diese später von Billy wissen will: „Muss ich den kennen?“ Eine komödiantische Szene, realitätsnah, denn natürlich ist anzunehmen, dass sich die alte Dame das Gesicht des Sanitäters nicht gemerkt hat, als es ihr in der Aufregung der Räumung schwummrig wurde. Alles kleine Details. Aber entscheidend für die Qualität. Und sie zeigt sich auch darin, wie dieser Film „Sub-Botschaften“ beiläufig unterbringt. Ausgerechnet die Heldin darf dem Zuschauer in der Geschichte um die alte Frau und den herzlosen Yuppie („Steht dieses Arschloch auch noch auf einem Behindertenparkplatz!“) die pragmatische Kraft des Vor-Urteils vor Augen führen. Das Thema wird nicht ausdiskutiert. Man muss es sehen (wollen). Wie die vielen kleinen bezaubernden Dinge in diesem Film.