Bierleichen. Ein Paschakrimi

Tim Seyfi, Hanich, Bagriacik, de Koy, Bigler, Steurer. Familienzusammenführung

Foto: Degeto / Luis Zeno Kuhn
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Nach den türkischen Ritualen in „Kommissar Pascha“ ist es in „Bierleichen“ das bayerische Brauchtum, dem sich dieser zweite Paschakrimi lustvoll zuwendet. Dank Ramadan darf Zeki Demirbilek noch mehr von seinen wahren Gefühlen zeigen als im ersten Film der neuen ARD-Donnerstagkrimi-Reihe – und kommt dem Zuschauer damit emotional noch näher. Es ist ein Krimi mit Witz & wahrhaftigen Gefühlen, ein Familienfilm im wahrsten & im besten Sinne. Das ist Unterhaltungs-TV mit Niveau: gut konzipiert die Vorlage, mehrschichtig die Dialoge, dicht die Dramaturgie, elegant der Erzählfluss, sympathisch der Cast mit Tim Seyfi, einem Hauptdarsteller, der hier die Rolle seines (bisherigen) Lebens gefunden hat.

Ramadan-Frust, Gerstensaft-Kater & zwei zünftige Bierleichen
Kommissar Zeki Demirbilek (Tim Seyfi) muss unter erschwerten Bedingungen ermitteln. Fast schon vier Wochen hat sich der Chef der Abteilung „Migra“ eisern an die Gesetze des Fastenmonats Ramadan gehalten: Kein Essen und Trinken zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. Seine Mitarbeiter, Isabel Vierkant (Theresa Hanich), Jale Cengiz (Almila Bagriarcik) und Pius Leipold (Michael A. Grimm), bekommen das zu spüren. Gelegentlich steht Zeki völlig neben sich. Da hat er etwas gemeinsam mit der Chefsekretärin einer Münchner Traditionsbrauerei (Barbara de Koy). Die fastet zwar nicht, schluckt dafür aber Unmengen Beruhigungspillen. Der mit ihr verbandelte Braumeister (Wolfgang Fierek) macht auf jovial. Aber irgendwas ist faul beim Minga-Bräu. Den Ermittlungen im Bier-Milieu vorausgegangen ist ein Mord an einem Filmstudenten, der offenbar einen Film über die Brauerei gedreht hat. Gefunden hat man ihn in einem Brunnen, abgefüllt mit dem süffigen Leichtbier Marke Minga. Ein Unfall im Suff ist auszuschließen. Da die Beweislage dünn ist, dürfen sich Pius und die junge Kollegin aus Berlin in Dirndl, Lederhose und Janker schmeißen und den Gästen und der Belegschaft beim alljährlichen Bierfest des Minga-Bräu auf den Zahn fühlen. Am Morgen danach begrüßt Bier-Philosoph Pius den Tag mit seinem Lieblingssatz: „Scheiß doch die Wand an“. Die  Wortwahl passt schon mal. Neben ihm liegt die Leiche der Minga-Maid, dem PR-Eyecatcher der Firmenkampagne, erschlagen von einem Dixie-Klo.

Bierleichen. Ein PaschakrimiFoto: Degeto / Luis Zeno Kuhn
Pius Leipold (Michael A. Grimm) ist ein Gemütsmensch, im Job kommt er aber nur selten dazu, es zu zeigen. Und Jale Cengiz (Almila Bagriarcik), die Berliner Schnauze, kann auch auf „a g’standenes Münchner Weibsbild“ machen. Da staunt der Fierek!

Hunger, die enttäuschte Lust auf Familie & die große Sehnsucht
Der eine hat Katerstimmung, weil er zu viel gesoffen hat, der andere, weil er gar nichts trinken darf, aber gute Gründe dafür hätte. Nach den türkischen Ritualen in „Kommissar Pascha“ ist es nun das bayerische Brauchtum, dem sich der zweite Paschakrimi „Bierleichen“ lustvoll zuwendet. Dabei nimmt es offenbar die Brauerei mit dem Reinheitsgebot und die Belegschaft mit der Wahrheit nicht so genau. Und mittendrin im Geschehen um das flüssige Gerstengold der türkische Münchner Chefermittler, der „Pascha“, der noch mehr als sonst die Kollegen laufen und die Arbeit machen lässt. Durch das Fasten liegen die Nerven blank und Zeki Demirbilek darf noch mehr von seinen wahren Gefühlen offenlegen als im ersten Film der neuen ARD-Donnerstagkrimi-Reihe, in der er sein Gemüt noch mit Bier und Schweinsbraten besänftigen konnte. Jetzt himmelt er förmlich jede Brotzeit an, die ihm auf irgendwelchen Plakaten entgegenlächelt, doch noch mehr Sehnsucht hat er nach seiner ersten Frau, der Mutter seiner Kinder. Die lebt in Istanbul und hat dort einen neuen Freund, den Roman-Autor Süleyman Turhan (der Autor spielt sich selbst), wie Zeki bei seiner letzten Türkei-Reise am Ende von „Kommissar Pascha“ erfahren musste. Jetzt ist die „Liebe seines Lebens“ in München und hat ihm noch nicht einmal Bescheid gegeben. Und sogar sein Sohn, zu dem er seit längerem keinen Kontakt mehr hat, ist wieder in der Stadt. Und so hat der tagsüber Fastende auch noch nach Sonnenuntergang den Blues. Und so weicht denn auch immer öfter der Sound-Mix aus geblasener Bayern- und gezupfter Türk-Folklore, der im ersten Film den Ton angibt, stilvoll angejazzten Klängen. Trauriger Blick, hängende Schultern und im Kopf die bittersüße Wehmut. Da möchte man ihm schon fast eines seiner seidenen Taschentücher reichen. „Seide wurde erfunden, um die Tränen der Frauen zu trocknen“, sagte Zeki, als es ihm noch etwas besser geht. Solche Sätze und solche Stimmungen, die sich der Film von seiner Hauptfigur ausleiht, bilden mehr und mehr den Mittelunkt der Geschichte. Die türkische Seele dominiert über die bayerische Gier, Familiendramödie über Heimatkrimi.

Ein Gemütsmensch mit vielen Facetten: Tim Seyfis Glanzrolle
Dringen Krimi-Dramen in die Tiefe der Fälle, geht es bei den komödiantisch unterfütterten „Paschakrimis“ um die Tiefe der Gefühle. Der melancholische Blick öffnet neue Räume und weitet die Geschichte in den Augen des Betrachters, der ganz auf die Sehnsüchte des Helden eingeschworen wird. Tim Seyfi, so viel darf man nach zwei Episoden bereits sagen, spielt hier die Rolle seines (bisherigen) Lebens. Das Ermitteln durfte er bereits üben an der Seite von Matthias Koeberlin in der „Kommissar-Marthaler“-Reihe und den beiden Färberböckschen BR-Heimatkrimis aus Niederbayern. Dort wie in fast allen seiner Filme – das preisgekrönte Gastarbeiter-Drama „Zeit der Wünsche“ und ein ORF-„Tatort“ ausgenommen – steht der 45jährige Schauspieler eher in der zweiten Reihe. Fast immer bleibt Seyfi in seinen Rollen auf Typ und türkische Herkunft reduziert. Als Kommissar Demirbilek ist das anders. Hier darf Seyfi die ganze Palette deutsch-türkischer Gefühlslagen durchprobieren – darf als Schauspieler den Ermittler, den autoritären Chef, den liebenden Vater, schmachtenden Ex-Ehemann, den Ramadan-geschädigten Muslim, den Münchner Sturkopf, den leichtfüßigen Jongleur zwischen türkischer und bayerischer Lebensart und Sprache geben. Sein Zeki darf Mensch sein. In „Bierleichen“ öffnet er – dem Fasten & der Liebe sei Dank – noch weiter sein Innenleben in Richtung Zuschauer. Man mochte ihn sofort, auch wegen seiner Launen, seiner deutschen Strenge in türkischer Verpackung – nun, nach der zweiten Episode, zeigt dieser Kommissar Pascha, dass er das Zeug hat zu einem etwas anderen TV-Liebling.

Bierleichen. Ein PaschakrimiFoto: Degeto / Luis Zeno Kuhn
Zwei Urviecher, die sich näher sind als zunächst angenommen: Chef Zeki (Tim Seyfi) hat mit „Charmeur“ Pius (Michael A. Grimm) ein ernstes Wörtchen zu reden. Der Paternoster im Polizeipräsidium macht sich dramaturgisch wie filmisch ziemlich gut.

Weshalb dieser „Paschakrimi“ so gut funktioniert: Alles ist Familie!
Man fühlt(e) sich in den Paschakrimis, die nach der Serie „Türkisch für Anfänger“ und dem Cenk-Batu-„Tatort“ mit Mehmet Kurtulus offenbar auch ein Stück weit die Normalität des türkisch-deutschen Alltags in Deutschland spiegeln wollen, so schnell zuhause wie in kaum einer anderen deutschen Krimi-Reihe. Das liegt an der gut konzipierten Vorlage, der Titelfigur, an Tim Seyfi, das liegt an München, der dichten Dramaturgie, der überaus sympathischen Besetzung, dem Verzicht auf plumpe Kontraste, an der Eleganz in Sprache und Erzählfluss, am hohen Komikpotenzial von Figuren und Situationen und an der durchaus wahrhaftigen Darstellung von Gefühlen. So skurril der Bierleichen-Fall durch sein schräges Personal auch ausfällt, so sehr die Auflösung filmisch interessant vonstatten geht und so sehr diese Auflösung auch (wie schom im ersten Fall) dem Zuschauer über das Filmende hinaus Gründe zum Spekulieren gibt: Das Besondere an dieser neuen ARD-Reihe ist die Kombination aus Krimi und Familiengeschichte. Ob bei der Kripo-Arbeit, ob zuhause oder nur im Kopf des Helden – Familie ist alles. Und weil das so ist, kommt es auch zu einer überraschenden „Familienzusammenführung“. Damit ist aber nicht der Umstand gemeint, dass auch die Ex plötzlich Sehnsucht nach Zeki verspürt und beide eine Nacht miteinander verbringen…

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Reihe

ARD Degeto, BR

Mit Tim Seyfi, Theresa Hanich, Almila Bagriacik, Michael A. Grimm, Barbara de Koy, Wolfgang Fierek, Ilknur Boyraz, Selen Savas, Doga Gürer, Bettina Mittendorfer, Su Turhan

Kamera: Hermann Dunzendorfer

Szenenbild: Günther Gutermann

Kostüm: Petra M. Hanslbauer

Schnitt: Veronika Zaplata-Lauratet

Musik: Alexander Maschke, Unterbiberger Hofmusik

Produktionsfirma: TV60Fimproduktion

Produktionsfirma: TV60 Filmproduktion

Produktion: Sven Burgemeister, Andreas Bareiss

Drehbuch: Sascha Bigler

Regie: Matthias Steurer

Quote: 4,18 Mio. Zuschauer (13,1% MA)

EA: 23.03.2017 20:15 Uhr | ARD

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