Bier Royal

Schneeberger, Potthoff, Palfrader, Balthasar, Carolin Otto. Bissiger Gesellschaftsreigen

Foto: ZDF / Jacqueline Krause-Burberg
Foto Rainer Tittelbach

Als „eine Mischung aus ‚Kir Royal‘ und ‚Denver Clan‘“, bezeichnet Autorin Carolin Otto den ZDF-Zweiteiler „Bier Royal“ (Moovie). Da ist was dran: nicht ganz so böse vielleicht wie Dietls Gesellschaftssatire, aber in der Tonlage ähnlich. Ironie und Sarkasmus, böse Blicke und Retourkutschen sind Herzstück der Kommunikation. Jeder ist sich selbst der nächste, und keiner nimmt es mit der Wahrheit so genau in diesem Weibsbilder-Streit um das Erbe einer Münchner Bierdynastie. Und wo jeder mit jedem verbandelt ist, sind ständig neue Freund- und Feindschaften möglich. So entsteht ein launiger Reigen, bei dem alle ihr Fett wegkriegen. Lebt Teil 1 davon, wie alle Figuren in den Kampf zwischen Bier-Prinzessin und böser Stiefmutter hineingezogen werden und sich Konstellationen festigen, wirken die sicheren Verbindungen im zweiten Teil brüchig und die Dramaturgie schwächelt etwas. Dafür sind Schneeberger, Potthoff, Palfrader, Kriener großartig, und die Dialoge laden zum Dauerschmunzeln ein.

„I platz‘ glei“, echauffiert sich Gisela Hofstetter (Gisela Schneeberger), selbst die Impertinenz in Person, über die Selbstverständlichkeit, mit der die seit Jahren in den USA lebende Vicky (Lisa Maria Potthoff) sich im Haus ihrer Eltern bewegt. Und überhaupt, in alles mischt sie sich ein, diese Natter! Franz Hofstetter ist tot – und seine zweite Frau und die über alles geliebte Tochter aus erster Ehe streiten um das Erbe. Beim Notar-Termin ist es wenig später die Heimgekehrte, die zu platzen droht. Sie bekommt nur das Pflichtteil, 25 Prozent an der größten Münchner Brauerei, genau so viel wie ihr dekadenter Halbbruder Patrick (Franz Pätzold). Das ist ihr zu wenig, weiß sie doch, dass die Stiefmutter kurz vor dem Ableben des Patriarchen ein falsches Testament beglaubigen ließ. Und so bleiben Vicky und ihr Ehemann, der Ex-Basketballstar Dan Dawson (Michael Klammer), für unbestimmte Zeit im schönen Bayernland, wo sie das traditionsreiche Arnulfbräu mit einem „frischeren“ Image und wirtschaftlich größer aufstellen wollen: „biologisch, vegetarisch, nachhaltig“. Natürlich hat die Gisela da auch noch ein Wörtchen mitzureden, schließlich hat sie die längeren und besseren Kontakte in der Heimatstadt der Spezerlnwirtschaft, sie hat die Bürgermeisterin (Ute Willing) zur Freundin, sie hält die Aktienmehrheit und kann sich auf die Loyalität ihres halbseidenen Geschäftsführers Dr. Erich Maxlhuber (Robert Palfrader) mehr als verlassen. Nur Renate Rottmann (Ulrike Kriener), die frustrierte Jeden-Duzerin von der Lokalpresse, hat sie doch nicht so gut, wie sie dachte, im Griff. Und da Vicky mit dem Verkauf ihrer Aktien an einen amerikanischen Global Player droht, bleibt der Society-Lady nichts anderes übrig, als klein beizugeben: statt Chefsessel Aufsichtsrat und Büro unterm Dach. Zumindest vorübergehend.

Bier RoyalFoto: Foto: ZDF / Mathias Bothor
Vicky (Potthoff) und ihre Stiefmutter Gisela (Schneeberger) sind sich aufs Herzlichste verhasst: In Teil 1 ist in der Münchner Bierdynastie Hopfen und Malz verloren. Im zweiten Teil gibt es eine Art Nichtangriffspakt zwischen den resoluten Weibsbildern.

Als „eine Mischung aus ‚Kir Royal‘ und ‚Denver Clan‘“, bezeichnet Drehbuchautorin Carolin Otto („München 7“ / „Lena Lorenz“) den ZDF-Zweiteiler „Bier Royal“. Das ist PR-technisch klug kalkuliert, aber in der Tendenz auch nicht falsch; und erfreulicherweise haben die 180 Minuten mehr gemeinsam mit Helmut Dietls Serien-Meisterwerk aus dem Jahr 1985 als mit der amerikanischen Premium-Soap. Ironie und Sarkasmus, böse Blicke und neiderfüllte Retourkutschen sind hier Herzstück der Kommunikation. Jeder ist sich selbst der nächste, und keiner nimmt es mit der Wahrheit oder seiner vehement vertretenen Weltanschauung so genau. Und so zuzelt die überzeugte Veganerin Vicky gleich zu Beginn unbeobachtet an einer Weißwurst oder verheimlicht ihrem Dan, der seinerseits einen Seitensprung reumütig gesteht, ihre Affäre mit dem knuffigen Betriebsrat. Das sind im Vergleich mit dem Fälschen eines Testaments kleine Sünden – und so liegen die Sympathien im ersten Teil eindeutig bei der Heimkehrerin, die Lisa Maria Potthoff („Der Usedom-Krimi“) – immer wieder in bayerischen Rollen zu sehen – kraftvoll, cool, ein bisschen sexy, dialektfrei und durchaus scharfzüngig verkörpert. Dass man als Zuschauer dennoch geradezu an den Lippen der Antagonistin („schau net so kuhaugert“) hängt, das ist Gisela Schneeberger („Wir sind die Neuen“) zu verdanken. Sie gehört zu den wenigen Schauspielerinnen hierzulande, die alle ihre Rollen mit einer ähnlichen Art des Spielens angeht und dabei einen unvergleichlichen komischen Stil entwickelt hat, der einem ihre Figuren allein durch Sprache und Interaktion psychologisch näherbringt. Otto habe ihr die Rolle „auf den Leib geschrieben“. Das glaubt man sofort. Diese Gisela hat Biss, Haare auf Zähnen, und sie kann pragmatisch sein, wenn sie erkennt, dass keine bessere Lösung in Sicht ist. Sollen die doch ihre vegane Weißwurst auf den Markt bringen und die Arnulfbräu-Gaststätten zu „Pflanzenfresser-Brauhäusern“ verkommen lassen. Die werden schon sehen, wo’s hinführt. Die Witwe nimmt‘s bayerisch: „Schau‘n mer mal“.

Soundtrack:
CCR („I Heard It Through The Grapevine“), Eels („The Sound of Fear“), Trini Lopez („Gonna Get Along Without Ya Now“), D’Angelo („Lady“), Dawn Penn („You Don’t Love Me – no, no, no“), Bob Hoskins („Talking To The Police“)

Schließlich trifft man sich immer zweimal, in einem Film mit zwei Teilen vielleicht sogar öfter. Und wo alles mit allem zusammenhängt, wo jeder mit jedem verbandelt ist, sind ständig neue Freund- und Feindschaften möglich. Da kann es dann sein, dass die Bank irgendwann nicht mehr mitspielt, dass sich die Frau Oberbürgermeisterin verleugnen lässt, plötzlich die Oktoberfest-Lizenz futsch, der Ruf in der Öffentlichkeit ruiniert ist und der vegane Neustart aufgeschoben werden muss. Lebt der erste Teil davon, wie alle Figuren in den Kampf zwischen taffer Bier-Prinzessin und böser Stiefmutter hineingezogen werden, wie sich Konstellationen festigen und neue Koalitionen möglich werden, wirken die sicheren Verbindungen im zweiten Teil plötzlich brüchig. Zunächst treffen die meisten „Parteien“ dieses launigen Gesellschaftsreigens im Duett auf: Vicky hat Dan, Gisela Hofstetter ihren Maxlhuber, Rosa (Marianne Sägebrecht), Vickys Kinderfrau, ihren Karl (Fred Stillkrauth), der todessehnsüchtige Vampir- und BDSM-Fan Patrick Hofstetter hat immer seine Nina (Julia Riedler) dabei und die Berufszynikerin von der Presse, die „rote Renate“, ist auf Gedeih und Verderb ihrem spitzzüngigen Chef (Thomas Loibl) ausgeliefert. Daraus ergibt sich eine sehr dichte Dramaturgie, in der sich witzige Details und Plot-Informationen die Waage halten: Einige Schlagabtauschs sind ein Fest für Fans geschliffener komödiantischer Dialogwechsel; jede Szene macht für sich Spaß, bringt aber zugleich auch die Handlung weiter. Und weil der Zuschauer häufig mehr weiß als die Figuren, kann er sich im Voraus mögliche Wendungen des Geschehens ausmalen; kann dabei aber durchaus auch mal falsch liegen… und plötzlich steht es 2:1 für die clevere Gisela. In den zweiten 90 Minuten sind die alten Bindungen der beiden Hauptfigur-Pärchen (zwischenzeitlich) nicht mehr allzu viel wert. Während der Zickenkrieg auf einen zwischenmenschlichen Vergleich hinausläuft, spielt nun die Musik auf den Nebenschauplätzen: Es gibt Krisen aller Art, bittere Lügen, Krankheit, Korruption.

Bier RoyalFoto: Foto: ZDF / Mathias Bothor
Klare Gegensätze im ersten Teil: Neue Ideen vs. Tradition – und Gift spritzt aus den Dialogwechseln. In Teil zwei weichen die Fronten auf. Jetzt denkt jeder nur noch ans (eigene) Überleben. Michael Klammer, Lisa Maria Potthoff, Gisela Schneeberger und Robert Palfrader

Komödiantische Bereicherung aus Östereich: Robert Palfrader 
„Ich hab‘ keine Angst und Ihr braucht auch keine zu haben“, beruhigt der Betriebsrat die aufgebrachte Belegschaft. Der ehemalige Geschäftsführer Maxlhuber führt den Satz zu Ende: „… sagt der Schlachter zu den Kälbern.“ Wiener Schmäh in der weißblauen Bussi-Stadt. Robert Palfrader ist nach Schalkos Ausnahmeserien „Braunschlag“ und „Altes Geld“ sowie den schrägen „Metzger“-Krimikomödien auch in „Bier Royal“ eine Idealbesetzung. Auf Vickys „Wir sind Veganer“ bringt der elegante Intrigant, der sich seinen Doktortitel zwar Austria-like erkauft hat, bei Treffen mit der Hofstetter das akademische Viertel aber strikt einhält, die Rede auf Hitler: „der war Vegetarier“. Worauf Vicky kontert: „Gandhi auch.“ Seine verbalen Scharmützel im Film sind köstlich. Eine kleine Boshaftigkeit am Rande: Maxlhuber sammelt Nazi-Devotionalien und haut vor einem rechten Amerikaner gern mal ein Hitler-Zitat raus oder jubelt Strauß einen Satz unter: „Ich bin gescheit und faul, also zum Truppenführer geeignet.“

Übertragen auf die Sprache des grünen Rasens: Die erste Halbzeit besticht durch rasanten Angriffsfußball; das ist Borussia Dortmund gegen den 1. FC Bayern. In der zweiten Halbzeit siegt bei den Kontrahentinnen die Vernunft; es geht ums Überleben der Traditionsfirma. Ein 2:2 mit ausreichend Luft auf die Verfolger bringt schließlich beiden etwas. Für die Dramaturgie bedeutet das: dem Akt der klugen Verknotung folgt der Akt der kontrollierten Entknotung. Für den Zuschauer hat das zur Folge: Die Narration verliert etwas an Stringenz – und der Verlauf der Geschichte wechselt im Fünfzehn-Minuten-Takt. Auf der Zielgeraden müssen dann noch etwas kopflos Tempo und zwischenmenschliche Spannung simuliert werden, um die letzten 90 Minuten voll und rund zu kriegen; immerhin gelingt ein origineller Schlussgag. Emotional gesehen bleibt das Ende allerdings etwas unbefriedigend. Eine Lesart, die darauf schließen lässt, dass einem – der Distanz des Genres zum Trotz – die ambivalenten Charaktere offenbar auch ein bisschen ans Herz gewachsen sind (was vor allem für die überragende Qualität der Schauspieler spricht). Und das hat „Bier Royal“ mit „Kir Royal“ ge-meinsam. Auch bei Dietls Gesellschaftssatire konnte man von der unmoralischen Hauptfigur fasziniert sein. Schade war es, dass dieser Baby Schimmerlos, seine bessere Hälfte Mona und Buddy Herbie nach sechs Folgen vom Bildschirm verschwanden. Zu Zeiten serieller TV-Events stellt sich natürlich auch für „Bier Royal“ die Frage einer möglichen Fortsetzung. Um es mit Dietls Monaco Franze zu sagen: „Ein bissel was geht immer“ – bei einem solchen Personal; aber Autorin Otto hat das Ganze wohl eher nicht auf eine Fortsetzung angelegt.

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Mit Gisela Schneeberger, Lisa Maria Potthoff, Michael Klammer, Robert Palfrader, Ulrike Kriener, Franz Pätzold, Julia Riedler, Ute Willing, Thomas Loibl, Marianne Sägebrecht, Fred Stillkrauth, Andreas Kiendl, Ulrike Arnold

Kamera: Emre Erkmen

Szenenbild: Patrick Steve Müller

Kostüm: Dorothée Kriener, Ina Mirimanian, Anja Strohmeier

Schnitt: Andreas Althoff, Günter Schultens

Musik: Johannes Kobilke

Redaktion: Günther van Endert

Produktionsfirma: Moovie

Produktion: Heike Voßler, Oliver Berben

Drehbuch: Carolin Otto

Regie: Christiane Balthasar

Quote: (1): 6,72 Mio. Zuschauer (21% MA); (2): 5,44 Mio. (17,2% MA); Wh. (1+2, 2021): 2,88 Mio. (10,5% MA)

EA: 28.01.2019 00:00 Uhr | ZDF

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