30 Jahre saß Joseph Komalschek (George) wegen besonderer Schwere der Schuld hinter Gittern. Er wurde wegen brutalen Mordes an seiner Nachbarin und deren neugeborenem Kind verurteilt. Die Tat hat er allerdings nie gestanden. Und auch die Leichen wurden nie gefunden. Nun versetzt die Rückkehr der „Bestie“ seine Heimatstadt, Schauplatz des einstigen Verbrechens, in große Aufregung. Der junge Polizist Tom Barner (Koffler) und seine Kollegen observieren den als gefährlich eingestuften Ex-Sträfling rund um die Uhr – und das mit enormem Aufwand. Trotzdem kann der alte Mann, der nach einer Schießerei nur noch ein Bein hat und sich mit einer Prothese fortbewegt, seinen Bewachern immer wieder entkommen. Sein Weg führt ihn tief unter die Erde, wo er in einem stillgelegten Bergwerk die Wahrheit ans Licht befördern will. Toms Vater Klaus (Zapatka) und seine pensionierten Kollegen Braun (Thieme) und Reet (Stier), die seinerzeit für Komalscheks Verurteilung sorgten, werden zunehmend nervöser. Weshalb? Auch Tom findet so manche Ungereimtheit im damaligen Fall. Er beginnt gegen alle Widerstände, auf eigene Faust zu ermitteln…
Fein gesponnen ist das Thriller-Netz, das Sascha Arango hier ausgeworfen hat. Der renommierte und intelligent-versierte Drehbuchschreiber, bereits zweimal mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, lässt seinen entlassenen Sträfling Komalschek in die trügerische Idylle einer Ruhrpott-Grubensiedlung eindringen und die Menschen dort in helle Aufruhr versetzen. Schleichend entwickelt sich die Geschichte des Mannes, der nach der Wahrheit sucht und Machenschaften selbstgerechter Polizisten auf die Spur kommt. Immer abgründiger wird der Psycho-Thriller, immer weiter und weiter dreht sich die verstörende Story. Geht es um Gerechtigkeit, geht es um Rache? „Geschichtenerzählen ist Hypnose, Geiselnahme, Folter“, sagte Arango in einem Interview. Das trifft auf „Besondere Schwere der Schuld“ vorbildlich zu. Kaspar Heidelbach setzt in seiner Inszenierung nicht auf vordergründige Effekte, die Spannung und Beklemmung des Films entstehen durch die Atmosphäre, die der Regisseur erzeugt. Miefige Wohnungen, billige Stripclubs, lieblose Vorgärten – das sind die Schauplätze. Hinzu kommt das Labyrinth eines stillgelegten Bergwerks. Mit der Inszenierung unter Tage kennt sich Kaspar Heidelbach aus, hat ihm doch „Das Wunder von Lengede“ 2004 einen Grimme-Preis eingebracht. Starke Bilder, atmosphärisch dicht. Und wie der Regisseur Misstrauen und Verlogenheit unter den Menschen in der Siedlung zeigt, ein Leben voller Lügen entlarvt, das ist visuell gekonnt und eindrucksvoll (Kamera: Daniel Koppelkamm).
Soundtrack: u.a. Johnny Cash („Hurt“), Madonna („Vogue“), Depeche Mode („Personal Jesus“), Alannah Myles („Black Velvet“)
Götz George ist der einbeinige Störenfried, der als verurteilter Mörder eine kleine Stadt in Angst versetzt, in der Tiefe und damit in der Vergangenheit gräbt. Mit welcher Ruhe, Klarheit und Präzision er diesen Komalschek mimt, ist feine Schauspielkunst. Wenn er spricht, ist es fast wie ein etwas lauteres Flüstern. Längst nicht mehr die Action, die ihn als „Schimanski“ zum Kult-Star werden ließ, ist es, was er braucht, er blickt seinen Figuren in die Seele – auch diesem Mann auf der Suche nach der Wahrheit. Stimmig das Ensemble um ihn herum: Hanno Koffler als der junge Polizist, der eine Lebenslüge aufdeckt, Thomas Thieme, Hans-Martin Stier und Manfred Zapatka als spießige Ex-Bullen, eine Verschwörungs-Gemeinschaft, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Auch die kleineren Rollen sind punktgenau & prominent besetzt: Hannelore Elsner als Barners Ehefrau und Anna Fischer als alleinerziehende Mutter.
„Besondere Schwere der Schuld“ ist ein perfider, abgründiger Psycho-Thriller, intelligent entwickelt, gut getimt und stark gespielt. Ein Katz- und Maus-Spiel mit Sog-Wirkung, bei dem man lange im Dunkeln tappt und die überraschende Auflösung lange nachwirkt. 90 kurzweilige Minuten und einfach nur hochinteressant zu beobachten, wie ein „Fremdkörper“ eine (aber nur vermeintliche) Idylle sprengt. Die TV-Premiere gibt es an einem Samstag. Der Film hätte bestens auch auf den Mittwochs-Sendeplatz gepasst. Doch warum nicht solche anspruchsvolle (Degeto-)Genre-Fiktion auch mal am Samstag!?