Der Berliner Martin „Ickarus“ Karow ist Techno-DJ – mit dem Plattenkoffer in der Welt unterwegs, ständig was am Laufen, immer in Bewegung, wenn ihn nicht gerade der Jetlag gepackt hat oder Drogen ihn außer Gefecht setzen. Zurzeit hängt er mit seiner Freundin Mathilde, die ihn zugleich managt, in Berlin fest. Die kleine Plattenfirma, deren Aushänge-schild er einmal gewesen ist, rechnet in Kürze mit seinem neuen Album. Martin steht unter Druck, es geht ihm gesundheitlich nicht gut. „Böse Pillen“ und die Kritik seiner Produzentin tun Ihr Übriges – und so findet er sich eines Tages in der Drogenstation einer Psychiatrischen Klinik wieder. Die behandelnde Psychologin schlägt dem schwer Vergifteten eine Art Urlaub vom Drogen-Ich vor. Ickarus ist einverstanden – unter der Voraussetzung, in der Klinik weiter an seinen aktuellen Songs arbeiten zu dürfen. Immer mal wieder nimmt er sich eine Auszeit von den „Irren“ und kehrt in seine Welt des Rauschs zurück – bis er sich nach einer ausufernden Klinik-Party die Einlieferung in die geschlossene Abteilung verdient hat.
Hannes Stöhr über „Berlin Calling“:
„Unsere Vision war immer, einen Film über Kunst und Wahnsinn, Liebe, den täglichen Überlebenskampf, Beziehungen, Freunde, Familie, Hoffnung, Zukunft, Gegenwart, Rausch und Ekstase, Berlin zu machen. Auch darüber, wie wichtig es ist ein Ziel im Leben zu haben.“
„Berlin Calling“ ist kein Szene-Film, obwohl er viel von der Faszination der legendären Techno-Raves vermittelt und den synästhetischen Rausch der Sinne dem Zuschauer weitgehend wertneutral näher bringt. Hannes Stöhr („Berlin is in Germany“) ist ein eindringliches Musiker-Porträt gelungen, das Produktionsverhältnisse wie Partyszene ausleuchtet und das auch als Metapher für die Sucht-Gesellschaft einiges hergibt. Man hat als Zuschauer aber nie den Eindruck, als solle hier eine bestimmte Jugendkultur als Übel unserer Zeit vorgeführt werden. Sehr gelungen ist der Spagat zwischen tragischen Situationen und komödiantischer Bearbeitung. Gespielt wird jener Electro-DJ, der zwar schon über 30, aber noch kein echter Star der Szene ist, von Top-Trance-DJ Paul Kalbrenner (35). Dauernervös und hibbelig und doch zurückgenommen und introvertiert gibt er sehr glaubhaft jenen Techno-Nerd mit schizophrenen Schüben. „Ich kenne den Ickarus sehr gut, weil er so ist, wie ich nicht hätte werden sollen. Er ist mein eigener Dämon, aber auch einer, der gerne dahin will, wo ein Paul Kalbrenner vielleicht heute ist“, sagte der DJ 2008 in einem Interview. Auch die anderen Darsteller, allen voran Corinna Harfouch und Rita Lengyel überzeugen in diesem stark dokumentarisch anmutenden Film, der sich handlungsdramaturgisch gar nicht viel einfallen lassen muss, um dennoch tief zu bewegen. (Text-Stand: 16.7.2012)