Eine alte Frau springt in den Tod. Ein Mann wird vor einen Betonmischer gestoßen. Bella Block will eigentlich nur ein Kultur-Wochenende mit ihrer Freundin verbringen. Doch dann kommt alles ganz anders. Den tödlichen Schubs hat sie aus der Ferne gesehen, sie hat sogar mit dem Mann, den sie als Täter verdächtigt, kurz gesprochen. Zunächst aber hat sie andere Probleme. Ihr ist das Portemonnaie mit Ausweis, Karten und Geld geklaut worden. Ihre Freundin ist nicht zu erreichen, so bleibt der Dame aus Hamburg nichts anderes übrig, als sich in einer Obdachlosenunterkunft einen Schlafplatz für die Nacht zu suchen. Am nächsten Tag ist sie dann wieder „Bella Block“, mit Notausweis, Geld in der Tasche und einer großen Neugier. Sie macht ihre Aussage bei der Polizei und trifft dabei auf ihren „ganz speziellen Freund“ aus Hamburger Tagen, Kommissar Müller. Grund genug, sich selbst in den Fall einzumischen. Sie lernt Berlin von einer ganz anderen Seite kennen, das Berlin der Sozialstationen und der Menschen, die alt und arm sind. In dieser vergessenen Welt begegnet ihr zufällig ein Charmeur alter Schule, der ein österreichisches Restaurant führt. Wenigstens ein Hauch von Kultur. Doch der andere, dieser alte Mann mit dem traurigen Blick, ist ihr wichtiger! Als sie ihn schließlich aufspürt, gerät Bella in eine moralische Zwickmühle.
„Unter den Linden“, damit ist nicht der Ost-Boulevard gemeint, sondern der gleichnamige Friedhof. Altersarmut ist das Thema des 32. „Bella-Block“-Krimis, dem fünften, zu dem Katrin Bühlig das Drehbuch schrieb. Langsam, mit Vertrauen in Bella Block, entwickelt sie die Geschichte. Wenn diese Figur, die mit ihrer einzigartigen Darstellerin Hannelore Hoger eine Einheit bildet, in einem Nachtasyl unterkommt, dann ist das nicht weniger spannend als der übliche Krimi-Mord in den ersten zehn Minuten. In dem Film von Martin Enlen bleibt das Verbrechen nur angedeutet. Ein Stück Alltag, eine Nachrichtenmeldung, flüchtig, andere Dinge passieren, eine Geldübergabe, die fotografiert wird. Auf leisen Sohlen schleicht sich das Thema in den Vordergrund. Und weil die Freizeit-Ermittlerin bereits eigene Erfahrungen im „Milieu“ der sozial Benachteiligten gemacht hat, weil sie weiß, wie es sich anfühlt, im hippen Berlin der freundlichen Dienstleister („Hatten Sie eine gute Anreise“) plötzlich ohne Geld dazustehen, ist ihr Mitgefühl stimmiger und nachhaltiger als in den Krimis klassischer Ermittler, die sich fast alle schon an den Tafeln herumgetrieben haben, bei denen das soziale Elend aber oft wie ausgestellt aussah und die Kommissare wie Eindringlinge wirkten.
Foto: ZDF / Volker Roloff
So sehr auch „Unter den Linden“ auf entspannten Realismus und eine unaufdringliche Inszenierung statt auf Genre-Dringlichkeit setzt – es gibt auch andere, spielerische Momente in diesem Film. Als Peter Simonischeks Ösi-Gastronom im Übernachtungsheim morgens zum Frühstück auftaucht, dürfte dem „Bella-Block“-erfahrenen Zuschauer vielleicht das ebenfalls von Bühlig initiierte Duell aus „Falsche Liebe“ (2008) in den Sinn kommen. „Irgendwie erinnern Sie mich an jemanden“, heißt es dann einige Szenen später. „Hoffentlich eine gute Erinnerung.“ Block lächelt. „Nein, im Gegenteil, er war ein mieser Betrüger und parfümierter Heiratsschwindler.“ Solche augenzwinkernden Reminiszenzen gibt es viel zu selten im deutschen Fernsehen. Ist es die kleinmütige Furcht vor der Masse der Zuschauer, die sich nicht erinnert? Dabei tut in diesem Fall dieser kurze Dialogwechsel keinem weh. Dem Kenner aber bereitet sie einen wohligen Mehrwert. Die spielerisch ästhetischen Möglichkeiten des Seriellen könnten deutsche Krimi-Reihen tatsächlich stärker nutzen. (Text-Stand: 21.9.2012)