Bella Block im Fontane-Land: Nach einer Auto-Panne bleibt sie in einer brandenburgischen Kleinstadt hängen, in der es tatsächlich zu Irrungen und Wirrungen aufgrund einer unstandesgemäßen Liebe gekommen ist. Der Mann der Bürgermeisterin, dessen Auto zuletzt vor der Tür des örtlichen Bordells gesehen worden war, starb an einem Herzinfarkt. Sein Zwillingsbruder, der Kfz-Mechaniker am Platze, bittet die ehemalige Kommissarin, die Todesumstände näher zu untersuchen. Bella, die anfangs mit einiger Überheblichkeit auf die „am Arsch der Welt“ lebenden Bewohner blickt, ist wieder in ihrem Element. Weil sie nicht mehr bei der Polizei ist, muss sie in verschiedene Rollen schlüpfen, um Zeugen befragen, Überwachungsvideos sichten oder Zugang ins Rathaus bekommen zu können.
Bella im Bettengeschäft: Der Himmel muss warten
„Stille Wasser“ ist der 37. & vorletzte Fall der beliebten Reihe, sicher kein Top-Krimi, aber ein angenehm ruhig komponiertes Land-und-Leute-Drama, das die Hamburger Großstadt-Pflanze Bella Block mal in einer ungewohnten Umgebung zeigt. Sie fremdelt in dem Kaff Grahlsee, und zu Beginn fremdelt man auch als Zuschauer. Mehr als zwei Jahre ist es mittlerweile her, dass das ZDF die letzte Episode ausgestrahlt hatte. So wirkt dieser Auftritt schon ein bisschen wie eine kurzzeitige Rückkehr aus dem Ruhestand. Aber das Bella-Block-Gefühl stellt sich schnell wieder ein, Hannelore Hoger bringt die Stärken dieser Figur mit unveränderter Frische zur Geltung. Und der Running Gag mit den Rückenschmerzen und den Matratzen ist eine selbstironische Pointe. Das erste Bild: Bella, liegend. Die Kamera filmt sie mit Blick auf die Schuhsohlen. Man könnte meinen, dass sie krank ist oder gar irgendwo aufgebahrt wurde, aber nein, sie probiert im Geschäft ein neues Bett, Modell „Heaven“. Als der Verkäufer den Preis nennt, rauscht sie empört davon. Der Himmel muss warten.
Für einen Golfplatz soll das Bordell „Cheri“ im Gewerbegebiet weichen
Die Autorin und mehrfache Grimme-Preisträgerin Beate Langmaack hat nach fast zehn Jahren mal wieder das Drehbuch für eine „Bella Block“-Folge geschrieben. Für den erfahrenen Regisseur Jo Baier ist es, kaum zu glauben, ein „Bella Block“-Debüt. Beide rollen der „Mutter aller Kommissarinnen“ (Baier) und ihrer Darstellerin gewissermaßen den roten Teppich aus, durchaus zum Vergnügen des Publikums. Der Kriminalfall selbst ist unblutig und unspektakulär und wird ein wenig altbacken erzählt, mit kurzen Rückblenden an den passenden Stellen. Es geht um ein Beziehungsdrama, das sich vor dem Hintergrund des Gemeinschaftslebens in einer kleinen ostdeutschen Gemeinde entfaltet. Die dänischen Zwillinge Jens und Lars Johannsen (Henrik Birch in einer Doppelrolle) sind einst der Liebe wegen in Grahlsee geblieben. Sabrina (Katja Weitzenböck) entschied sich für Lars, den „Mann der Zahlen“, und ist nun eine beliebte Bürgermeisterin. Mit einem Golfplatz will sie Touristen in den verschlafenen Ort locken. Weichen soll dafür das Bordell „Cheri“ im Gewerbegebiet. Es wird von Lilo Schulz (Lina Wendel) geführt, deren Mann einst in Berlin erschossen wurde und die ihren erwachsenen Sohn Mischa (Tim Kalkhof) durch den Umzug in die Provinz vor einem ähnlichen Schicksal im Verbrecher-Milieu bewahren wollte.
In der Provinz ist auch die Halb-Welt noch in Ordnung
Für den Film spricht, dass die Figuren weitgehend klischeefrei gezeichnet sind. Weder ist Sabrina Johannsen eine durch und durch korrupte Politikerin, noch ist Lilo Schulz die typische „Puffmutter“. Das „Cheri“ wird als Arbeitsplatz selbstbestimmter Frauen dargestellt – ganz so, als wäre in der Provinz die Halb-Welt noch in Ordnung. Das ist sicher etwas fragwürdig. So muss Bella Block alles mit einem Satz gerade rücken: „Ich habe schon so viele (Bordelle) gesehen und ich finde sie alle gleich trostlos.“ Langmaack versteht es, ihren Figuren überraschende Charakterzüge und damit mehr Tiefe zu geben. Mischa zum Beispiel ist auf den ersten Blick ein Macho und Kleinkrimineller, wie er im Buche steht. Dem Klischee entspricht aber nicht, wie er der Floristin den Hof macht. Henrik (Matti Schmidt-Schaller), der Sohn von Sabrina und Lars, bleibt dagegen vergleichsweise eindimensional. Seitdem er seinen Vater Lilo küssen sah, düst er orientierungslos auf dem Motorrad durch die Gegend.
Die Neugier und die Lust am Ermitteln halten Bella am Ort fest
Das Bild von einer Kleinstadt im Osten kommt zwar ohne die oft (und nicht ganz ohne Grund) verwendete Zutat rechtsradikal aus. Auch kommt die Klage, vom Westen abgehängt worden zu sein, allenfalls unterschwellig vor. Allerdings glaubt man, als Bella Block nach der Panne im „Gasthaus Nase“ Quartier bezieht, noch den ollen DDR-Mief zu riechen. Der Gastwirt (Tom Jahn) ist wortkarg und unfreundlich, das Zimmer im Stil längst verblichener Jahrzehnte eingerichtet. Immer in der Ecke sitzt die Mutter des Gastwirts und löffelt stumm einen Jogurt. In der Schublade im Nachtschränkchen findet sich Fontanes „Irrungen und Wirrungen“, was Bellas Stimmung etwas aufhellt. Die Fremde wird misstrauisch beäugt, im Friseurgeschäft zerreißen sie sich die Mäuler. Zwei Welten prallen da aufeinander, Bella will am liebsten gleich wieder weg, trotz der schönen Landschaft. Die Lust am Ermitteln, die Neugier auf den Fall und auf die Abgründe in dem vermeintlich harmonischen Gemeinschaftsleben – alle über 50 singen im Chor – hält sie am Ort fest. Sachte wächst die gegenseitige Sympathie zwischen ihr und den Leuten, was in den knappen Dialogen etwa zwischen Bella und dem Wirt mit Sinn für Humor erzählt wird. Auch die Menschen in Grahlsee sind „stille Wasser“, dem Kfz-Mechaniker Jens Johannsen zuliebe lernt Bella sogar das Angeln. Da entsteht allmählich eine Freundschaft, dazu klimpert es jazzig oder klassisch. Und der Chor probiert John Denvers „Take Me Home, Country Roads“. (Text-Stand: 30.9.2017)