Ein toter Mann liegt im Wald. Ein Loch im Kopf. Der Ermordete hat selbst Schüsse abgegeben. Doch von seinem Gewehr keine Spur. Ein sonderbarer Mordfall. Sonderbar auch der Rahmen für diesen nächtlichen Todesschuss: Der Tote wohnte unweit vom Tatort in einem heruntergekommenen Waldgehöft, zusammen mit seinen vier Kindern. Sie sind wenig berührt vom Tod des Vaters. Das Leben muss weitergehen, die Tiere – der Vater trainierte Kampfhunde – müssen versorgt werden. Polizei im Haus stört da nur. Weil Kommissar Martensen mit den Kids nicht klarkommt, unterstützt ihn seine ehemalige Chefin. Die hat zwar Besuch von ihrem neuen Freund Carlo, aber die Ex-Polizistin wittert aufregende Abwechslung vom feuchtfröhlichen Rentnerleben. Und die wird sie haben. Gleich beim zweiten Besuch nimmt der 14jährige Lukas Block gefangen – das Gewehr zielsicher auf sie gerichtet. Die Forderung der Kids: Sie wollen nicht ins Heim und ihre Mutter soll kommen, die Mann und Kinder vor einigen Jahren in Richtung Afrika verlassen hat. Kinder als Geiselnehmer – für die Profis, den Einsatzleiter, die Psychologin, die Jungpolizistin Leonie, Jan Martensen, ein Drahtseilakt, aber auch für Bella Block, die versucht, die angespannte Lage zu entschärfen.
Hatte der Berlin-Trip der „freien“ ZDF-Ermittlerin Altersarmut zum Thema, hat sich Susanne Schneider nun der Kinder angenommen, die am Rande der Gesellschaft leben, vernachlässigt, vergessen, von den Eltern seelisch missbraucht. „Ich habe vor Jahren von einem Vater gelesen, der seine Kinder regelrecht abgerichtet hat, wie kleine Kampfhunde“, sagt die Autorin. So wirken die Jungen in „Hundskinder“: vom Vater aufgestachelt gegen „die Welt da draußen“, verbohrt, hasserfüllt. Und dennoch stehen von Anfang an neben dem Schwager des Ermordeten, einem verschuldeten Versicherungsvertreter, den die Vormundschaft finanziell retten würde, auch die Kinder unter Verdacht, den Vater getötet zu haben. Vielleicht haben sie sich die Mutter so sehr zurück gewünscht? Vielleicht war das Leben mit dem gewalttätigen Hundefanatiker irgendwann nicht mehr zu ertragen? Vielleicht eine Übersprungs-Handlung? Zumindest sieht man die sechsjährige Johanna, wie sie das Gewehr durch den Wald trägt.
Soundtrack: Daft Punk („Around the world“), Kavinsky & Lovefoxxx („Nightcall“), Enno Bunger („Pass auf dich auf“)
Während des Films stellt man sich als Zuschauer diese Fragen eher nicht. Das Situative, die Rolle der Kinder als Täter, die immer deutlicher als Opfer erkennbar werden, die Physis des Augenblicks, die Kids drinnen, die Polizei draußen und Bella Block als Mittlerin, das alles zieht Aufmerksamkeit auf sich. Und das alles lässt auch vergessen, dass die Krimi-Konstruktion ein löcheriges, von vielen Zufällen und Unbekannten bestimmtes Gebilde ist und vielleicht sogar mehrfach umgestrickt wurde. Es gibt wenig klassisch dramatische Momente – und kaum etwas wird spannungsdramaturgisch hoch gekocht, nicht einmal die Tollwutgefahr, und auch ein Ultimatum wird nicht gestellt. So ist nur der Rahmen Krimi, im Zentrum ist dieser „Bella Block“ ein Drama, das von einer Moral geleitet wird, die Kinder erwartungsgemäß nicht zu Tötungsmaschinen werden lässt. Da können die Jungs noch so viele Molotow-Cocktails basteln. Die Folge: „Hundskinder“ zeigt eine Geiselnahme, deren Bedrohungspotenzial relativ gering bleiben muss, dafür ist der Affektgehalt umso höher. Perfekt deshalb auch die Wahl des Regisseurs: „Das Wunder von Kärnten“ und die ersten „Spuren-des-Bösen“-Krimis wiesen den Österreicher Andreas Prochaska zuletzt als Meister des atmosphärischen „Momentum“ aus. Situative Spannung weiß er mit seinem eingespielten Team zu erzeugen wie kaum ein anderer deutschsprachiger TV-Regisseur. Bediente er sich früher häufig typischer Genre-Standards, dringt er in seinen letzten Filmen verstärkt zu den Wurzeln der menschlichen Natur und der Psychologie seiner Figuren vor. Er hat sich vom Bild-Regisseur zu einem Schauspieler-Regisseur entwickelt, der um die Suggestivkraft der Bilder weiß. Und nicht nur der Bilder: „Hundskinder“ ist ein Musterbeispiel für gekonntes Sounddesign.
Lobende Erwähnung verdienen auch die Schauspieler. Da sind zum einen bekannte Gesichter wie Peter Simonischek, Götz Schubert, Anna Fischer, Stephan Grossmann oder Maja Schöne, die in ihren erwachsenen Mini-Rollen nicht der Versuchung erliegen, zu laut zu werden, und sich stattdessen stimmig in die Gesamttonlage einpassen. Sie ordnen sich unter, damit die, um die es geht, im Zentrum stehen: die Kids aus dem Wald und Bella Block alias Hannelore Hoger. Es ist bemerkenswert, was sich da für intensive Szenen mit den Kinderdarstellern ergeben. Henry Stange ist auf jeden Fall schon mal ein Gesicht, das man sich merken kann. Und was Simonischek und Hoger zu Beginn bei ihrem verhuschten Tänzchen mit köstlicher Lacheinlage hinlegen, das schreit nach mehr. Jener Carlo wird denn auch der Neue an Bellas Seite werden; auch die von Anna Fischer gespielte Nachwuchs-Polizistin Leonie kommt wieder. Dafür wird Jan Martensen und mit ihm sein Darsteller Devid Striesow nach acht Jahren „Bella Block“ verlassen. (Text-Stand: 19.2.2013)