Lissabon sehen und sterben
Lissabon ist eine Reise wert. Denkt sich Bella Block und begleitet Staatsanwalt Mehlhorn in die mythenumrankte Hafenstadt, die sie vor vielen Jahren schon einmal besuchen wollte… Der Staatsanwalt folgt der Einladung eines alten Studienfreundes, der großspurig seinen Geburtstag feiert. Die Reise steht unter keinem guten Stern. Am Tag nach dem Fest steht der Gastgeber unter Mordverdacht. Eine junge Deutsche, die als Kellnerin arbeitet und mit der Bella Block noch am Abend zuvor auf der Feier eine seltsame Begegnung hatte, ist in der Nacht vom „Elevador de Santa Justa“, dem Wahrzeichen der Stadt, einem turmhohen Fahrstuhl mit Aussichtsplattform, in den Tod gestürzt. Mehlhorn Freund, Bernhard Greve, kommt erst Stunden nach dem Leichenfund auf einem Friedhof wieder zu sich – und erinnert sich an nichts mehr, was die Mordnacht betrifft, weiß aber auch nicht, ob er mit der jungen Frau ein Verhältnis gehabt hat oder nicht. Mehlhorn glaubt seinem Freund, die portugiesische Polizei nicht und Bella Block geht ihren eigenen Weg – sprich: sie legt sich mit allen an.
Melancholisches Spätwerk
Das ZDF feiert ein Jubiläum: 20 Jahre „Bella Block“. Der 35. Film der erfolgreichen Samstagskrimi-Reihe, „Für immer und immer“, nimmt sich denn auch aus wie ein echtes Spätwerk. Melancholie liegt über der Szenerie. Die Figuren, zumindest die (über)lebenden, alle nicht mehr taufrisch, erinnern sich an die alten Zeiten. Die Heldin ist schon lange außer Dienst. Sie ermittelt entsprechend nicht mehr wie ein hanseatischer Terrier, sondern eher im lebensklugen Stil einer eigenwilligen Seniorin aus der entspannten Perspektive einer „Touristin“ heraus. Doch was von außen so viel relaxter wirkt als früher, scheint ein Schutzmechanismus zu sein: Bella Block hat keine Möglichkeit mehr, sich hinter ihrer Polizeimarke und der Pragmatik ihres Berufs zu verstecken, sie begegnet dem Tod nun auch und vor allem als Privatperson. Und so setzen ihr die Taten mehr zu, rücken ihr näher zu Leibe und verfolgen sie bis in ihre Träume. Nicht nur real hatte sie Kontakt mit der Toten; sie und eine weitere junge Frau, die offenbar unlängst Selbstmord begangen hat, dringen in ihr Seelenleben, erscheinen ihr im Traum. Mord, Selbstmord, schmerzliche Erinnerungen, unerfüllte Liebe, Freundschaften, die nicht mehr sind, was sie mal waren… für solche Motive und Stimmungen, für eine solche Schicksalsgeschichte, scheint Lissabon, eine Stadt, in der die Wehmut zuhause ist, der geeignete Schauplatz zu sein. Und so ist neben einem Hauch des großflächigen und doch dringlichen Hitchcock-Scores eines Bernhard Herrmann auch viel Fado in dem bereits preisgekrönten Original-Soundtrack von Christine Aufderhaar zu hören.
Foto: ZDF / Martin Farkas
Meisterlicher Bilderfluss
„Bella Block“ hat so gut wie nie enttäuscht. Einer der schwächsten Episoden war die letzte, „Angeklagt“ (2013), mit einem Plot, der vor allem die dramaturgischen Klischees der Reihe bediente. „Für immer und immer“ geht da einen sehr viel sensibleren Weg, was die Konstanten und Rituale der Reihe angeht. Auch Fabian Thaesler arbeitet mit dem Muster „Bella Block hat (fast) immer recht“, was zum nicht minder obligatorischen Disput zwischen ihr und Mehlhorn führt: „Sie horten ja die göttliche Wahrheit. Und wir anderen sind nur läppische Dilettanten und ich an der Spitze.“ Kurz vorm Ende entschuldigt er sich natürlich – wie es sich für einen (hemdsärmeligen) Kavalier alter Schule – gehört und liegt mit seinen aktuellen Prämissen zum Fall prompt schon wieder falsch… Von diesen rituellen Spielchen einmal abgesehen, besitzt dieser 35. Fall so viel Sinnlichkeit und lebensphilosophischen Tiefgang, dass es sich über die dramaturgischen Stereotypen im wahrsten Sinne des Wortes hinweg sehen lässt. Die Bilder von Martin Farkas sind großes Kino, und auch der Schnitt von Dagmar Lichius verdient zumindest den künstlerischen Begriff Montage. Die Bildsprache entwickelt sich ganz aus der Geschichte – die Farben trotz südlicher Sonne gedeckt, die Atmosphäre der Stadt realistisch statt für den Blick des Touristen geschönt (Lissabon ist eben auch für Filmemacher eine Reise wert, wie unter anderem 1994 Wenders bei „Lisbon Story“ erkannte); sogar Regen in den ersten Einstellungen. Und meisterlich der Fluss der Bilder.
Elegantes Krimidrama im edlen „Retro-Stil“
„Für immer und immer“ ist ein äußerst elegantes Krimidrama, edel in allen Belangen, auch was die Ausstattung, die altehrwürdigen Locations, angeht. Besonders der „Elevador de Santa Justa“ ist ein Drehmotiv, das Seinesgleichen sucht in einem deutschen Fernsehfilm. Regisseur Christian von Castelberg spricht, was die audiovisuelle Ästhetik des Films angeht, nicht umsonst von einem „Retro-Stil“. Aus alldem ergibt sich für den Zuschauer der Eindruck, hier einem ersten Abgesang auf eine große Krimi-Reihe beizuwohnen, einen Fernsehmythos, dem die großartige Hannelore Hoger über die Jahre viel mehr als nur ihr Gesicht geliehen hat. Das Gute wird ein Ende haben – davon erzählt diese „Bella Block“-Episode, die (sieht man von jenen dramaturgischen Oppositionen Block/Mehlhorn, Block/Kripo Lissabon einmal ab) ganz ohne kriminalistisches Oberflächengetöse auskommt. Der „BB“-erfahrene Autor Fabian Thaesler ging es um „die Kraft der großen Werte“, wie er im Presseheft betont. „Ich wollte versuchen, die ‚Macht der Gleichgültigkeit’, einer Gleichgültigkeit, die den Glauben und die Liebe tötet, auch als Strömung unserer Zeit sichtbar zu machen.“ (Text-Stand: 31.10.2014)
Foto: ZDF / Martin Farkas