Nach einem feuchtfröhlichen Landgangabend wird ein Kadett am nächsten Morgen mit einem Loch im Kopf im Hamburger Hafen aufgefunden. „Betrunken vom Mast gefallen“, heißt es in der offiziellen Version der Marine. Die Staatsanwaltschaft wittert Todschlag oder unter Umständen sogar Mord. Bella Block soll der Sache nachgehen. Dass sie beim Ermitteln gewohnheitsmäßig gern mal gegen die Dienstvorschriften verstößt, scheint für Staatsanwalt Mehlhorn ausnahmsweise mal kein Problem zu sein. Im Gegenteil. Fünf sogenannte „Kameraden“ stehen ganz besonders unter Beobachtung: es sind die fünf, zwei Frauen, drei Männer, die mit dem Toten in der besagten Nacht in einer Bar „gefeiert“ haben. Sex war offenbar auch im Spiel, vielleicht auch Eifersucht. Viel bekommt Bella Block nicht heraus: ein Toter – fünf Filmrisse. Dann plagt den ersten sein Gewissen: ausgerechnet jene junge Kadettin, die mit dem Mordopfer in jener Nacht besonders heftig gestritten hat…
Bella Block verschlägt es in ihrem vorletzten Fall ins Marine-Milieu. Dabei bekommt sie es nicht nur mit einer Gruppe junger Kadetten zu tun, deren militärischer Ehrenkodex offenbar so gar nichts mit dem gemein hat, was die Ermittelnde unter Moral versteht, sondern sie liefert sich erwartungsgemäß auch mit den Repräsentanten der Marine einige grundsätzliche Rededuelle. Mit rhetorischem Biss wie lange nicht mehr zeigt die Heldin wessen geistig Kind sie ist. Mit „pfui Teufel“ quittiert sie ein falsches Ehrenwort und bringt damit noch einmal die nicht unberechtigte Kritik der Alt-68er an den militärischen Tugenden, die autoritär und um jeden Preis das militärische System im politischen System zu schützen haben, aufs Tapet. Damit gelingt der ZDF-Krimireihe „Bella Block“ noch einmal ein sehr stimmiger Fall, den wohl kein anderer Ermittler im deutschen Fernsehen mit dieser biographischen Wahrhaftigkeit und einer solchen inneren Überzeugungskraft angehen könnte. Kein Kripo-Terrier verbeißt sich so gnadenlos in einen Fall, der von den Mächtigen gedeckelt wird, wie Privatier Bella Block.
Foto: ZDF / Hardy Brackmann
Und so entwickelt sich – wie immer bei dieser passionierten Wahrheitssucherin – aus der Frage „Was ist in dieser Nacht geschehen?“ mehr als nur ein kriminalistisch motivierter Whodunit. Aber Moral macht noch keinen guten Krimi. Wenn sie allerdings in messerscharfe Dialoge verpackt wird, wenn sie den Zuschauer in einen faszinierenden Mikrokosmos, ein geschlossenes System, ja ein eigenes Wertesystem, entführt, dann schon. Und wenn dann noch die Dramaturgie mit ihren stimmungsvollen Geheimniskrämereien und der effektiven Informationspolitik stimmt; wenn die filmische Umsetzung der gruppendynamischen Prozesse in enger Verbindung mit dem faszinierenden Schiffsschauplatz steht; wenn alle Rollen top besetzt sind; wenn Kameramann Philipp Sichler („Tatort – Im Schmerz geboren“) großen Einfallsreichtum an den Tag legt, ohne seine Bilder sich verselbständigen zu lassen; wenn der Schnitt wie im Intro über jene unselige Nacht die Kamera magisch transzendiert; wenn das Sounddesign unmerklich, aber dennoch atmosphärisch an der Spannung schraubt… dann kippt der Mythos der Heldin, die sich nach 20 Jahren auf dem Grat bewegt zwischen „the same procedure“ und „Krimi-Reihe auf höchstem Niveau“ in die richtige Richtung.
In „Die schönste Nacht des Lebens“ kommt erschwerend für den sehr positiven Eindruck, den Andreas Senns erste Regiearbeit für die Reihe hinterlässt, das Duett zwischen Hannelore Hoger und Rainer Bock, Supporting Actor für alle Fälle, hinzu. Die leidenschaftliche Ermittlungswut der beiden ist ein auch optisch fein gesetzter Kontrapunkt zum Karrieredenken und Dichthalten der Marine-Youngsters. In einer leerstehenden Hochhausetage beziehen die Ex-Kommissarin und ihr ehemaliger Konkurrent Quartier, um sie in guter alter WG-Tradition mehr und mehr zu versiffen. Wie in „… denn sie wissen nicht, was sie tun“, „Die Frau des Teppichlegers“, „Der Fahrgast und das Mädchen“ oder „Hundskinder“ zeigt nun auch der 36. Film der ZDF-Ausnahme-Krimireihe, dass es nicht die schlechtesten Fälle sind, wenn die Reife Bellas auf die Stimmungslagen der Jugend trifft. (Text-Stand: 10.3.2015)
Foto: ZDF / Hardy Brackmann