Beat

Jannis Niewöhner, Herfurth, Berkel, Fehling, Marco Kreutzpaintner. Sex, Koks, Gewalt & Ellipsen

Foto: Amazon Prime Video
Foto Tilmann P. Gangloff

Will ein Streamingdienst erfolgreich sein, muss er Serien zeigen, die im klassischen Fernsehen nicht möglich wären; deshalb ist die Amazon-Serie „Beat” ein hochkarätig besetzter Rausch aus Techno, Drogen, Sex und Tod. Außerdem lässt die von Marco Kreuzpaintner initiierte Produktion lange offen, worauf die Serie, ein aufwändig gestalteter Spielfilm in sieben Teilen, hinausläuft. Das funktioniert, weil Jannis Niewöhner als düsterer Titelheld ein reizvolles Identifikationsangebot darstellt: Der wurzellose Berliner Beat, Promoter im angesagtesten Club der Stadt, soll für den europäischen Geheimdienst den neuen Partner des Clubbesitzers ausspionieren. Alexander Fehling, charismatisch und rätselhaft wie zu Beginn die Handlung, ist die perfekte Besetzung für Beats eiskalten Gegenspieler, der mit Waffen und Organen handelt. Mitunter allerdings wirkt „Beat“ etwas prätentiös, als wolle der Regisseur unterstreichen, dass die Serie bei ARD und ZDF nie zur Hauptsendezeit laufen könnte.

Kämen ARD und ZDF auf die absurde Idee, „Beat“ zur besten Sendezeit auszustrahlen, das Stammpublikum würde millionenfach die Flucht ergreifen. Zwar muss eine Serie auch bei einem Streamingdienst ihr Publikum fesseln, um nicht durchzufallen, aber die Rahmenbedingungen sind andere; deshalb beginnt „Beat“ mit stampfenden Techno-Rhythmen und einer langen Kamerafahrt in einen Berliner Hinterhofclub, der die heißeste Location in der Stadt ist. Hier arbeitet der Titelheld: Robert, von allen bloß Beat (wie in „beats per minute“) genannt, gilt als Berlins angesagtester Promoter. In einer ersten Ankündigung hatte Amazon vor einigen Wochen „eine Serie wie einen Adrenalinrausch“ versprochen. Die Auftaktbilder lassen eher einen Drogenrausch erwarten: Beat (Jannis Niewöhner) scheint ausschließlich von Kokain und anderen Muntermachern zu leben; Sex und Alkohol tun ein Übriges. Umso heftiger ist der Kontrast, als abrupt der Schauplatz wechselt: Der Deutschlandchef (Christian Berkel) des europäischen Geheimdienstes ESI empfiehlt Beat dringend als „freien Mitarbeiter“. Seine Einschätzung des Clupromoters sorgt dafür, dass man den jungen Mann mit anderen Augen sieht, und so nimmt die scheinbar konzeptlose erste Folge langsam, aber sicher konkrete Züge an. Es dauert trotzdem noch eine ganze Weile, bis sich eine erkennbare Handlung entwickelt; anfangs begnügen sich Norbert Eberlein (Buch) und Marco Kreuzpaintner (Idee und Regie) damit, Impressionen einzufangen, deren Bedeutung sich nur selten auf Anhieb erschließt. Gruselig wird die Geschichte, als Beat unter der Decke des Clubs zwei wie tote Engel arrangierte weibliche Leichen entdeckt. Kurz zuvor hatte er eine verstörende Begegnung mit einem Mann, der eine ähnliche Vergangenheit hat wie er selbst.

BeatFoto: Amazon Prime Video
Emilia (Karoline Herfurth) vom Europäische Geheimdienst versucht, das Vertrauen von Beat (Jannis Niewöhner) zu gewinnen. Ein ständig zugedröhnter Nachtschwärmer als Informant? Erst will er nicht, dann muss er doch … und die Serie wird spannend.

Der kleine Robert ist in einem Kinderheim aufgewachsen. Der Unbekannte (Kostja Ullmann), der sich durch eine bizarre Vorliebe für die frühen Schlager von Conny Froboess auszeichnet, entpuppt sich als Jasper, der einst gern Roberts Freund geworden wäre, aber nie Beachtung gefunden hat; das ändert sich nun. In gewisser Weise ist „Beat“ (sieben Teile à circa sechzig Minuten) das Gegenstück zu „Babylon Berlin“. Die ARD-Serie hat zwar in vielerlei Hinsicht neue Maßstäbe gesetzt, verdeutlicht aber in beinahe jeder Einstellung, dass die Verantwortlichen Kunst im Sinn hatten. „Beat“ dagegen, laut und dreckig, wirkt im Vergleich zu den sorgsam geschliffenen Bildern über die späten Zwanziger wie ein Rohdiamant. Dafür steht nicht zuletzt Jannis Niewöhner. Der Schauspieler hat mit seinen 26 Jahren schon eine eindrucksvolle Filmografie vorzuweisen. Zu seinen wichtigsten Arbeiten zählen die Hauptrollen in der Edelstein-Kinotrilogie („Rubinrot“, „Saphirblau“, „Smaragdgrün“) als Zeitreisender sowie in dem spätmittelalterlichen ZDF-Dreiteiler „Maximilian – Das Spiel von Macht und Liebe“. Trotzdem verbinden die meisten Zuschauer mit seinem Namen nicht gleich ein Gesicht, und auch das macht seine Besetzung in der Amazon-Serie reizvoll: weil sich Beat seinen Status erst erarbeiten muss. Kontrastfigur ist zunächst sein Freund Paul (Hanno Koffler); der Besitzer des Clubs ist im Gegensatz zu Beat erwachsen geworden und heute ein braver Familienvater. Die Freundschaft bekommt erste Risse, als Paul seinen neuen Partner vorstellt. Beat mag den charismatischen Philipp Vossberg (Alexander Fehling) nicht, aber er muss sein Vertrauen gewinnen: Vossberg ist der Mann, den er für ESI ausspionieren soll.

BeatFoto: Amazon Prime Video
Jasper (Kostja Ullmann) hat eine Vorliebe für die frühen Conny-Froboess-Schlager – und ist auch sonst extrem durchgeknallt.

Selbst wenn Paul in den weiteren Folgen in den Hintergrund rückt: Das Trio ist gerade schauspielerisch eine interessante Kombination. Das gilt besonders für die gemeinsamen Szenen von Niewöhner und Fehling, weil deren Figuren kaum unterschiedlicher sein könnten: hier Beat, impulsiv und emotional, der wegen zu viel Koks und zu wenig Schlaf eine nervöse Energie ausstrahlt; dort der attraktive und charmante, aber auch kühl kontrollierte, komplett undurchsichtige Vossberg. Die Serie ist schon allein wegen dieser Konfrontation sehenswert; Fehling, grandios als scheinbar paranoider Journalist in „Der Fall Barschel“ oder als junger Staatsanwalt in „Im Labyrinth des Schweigens“, ist Niewöhner ein kongenialer Partner, zumal sich hinter Vossbergs makelloser Fassade ein eiskalter Verbrecher verbirgt. In einer kurzen Sequenz verdeutlicht Kreuzpaintner, wie das Geschäft des Gangsters funktioniert: Er liefert Waffen an Islamisten, deren Gewalttaten eine Flüchtlingswelle verursachen. Einige der Geflüchteten werden von Schleppern direkt zu einem gruseligen heruntergekommenen Bauernhof gebracht, wo sie als menschliche Ersatzteillager für illegale Organspenden dienen. Auch hier sind die beiden wichtigsten Personen von jener Janusköpfigkeit, die typisch für fast alle Figuren der Serie ist: Der Arzt (Karl Marcovics), der die Organe entnimmt, leidet unter Schuldgefühlen und riskiert sein Leben, um einen kleinen Jungen zu retten. Beaufsichtigt wird er von einem Mann (Waldemar Kobus), der sich gern freundlich und mitfühlend gibt, aber ohne mit der Wimper zu zucken die eigenen Leute abknallt, wenn sie einen Fehler gemacht haben. Auch Diehm, der deutsche ESI-Chef, scheint ein doppeltes Spiel zu spielen. Er hat Beat mit dem Versprechen geködert, herauszufinden, was dessen Eltern tatsächlich zugestoßen ist, aber sein Verhalten legt nahe, dass er den jungen Mann bloß benutzt.

Kreuzpaintner ist vor zehn Jahren durch die Jugendbuchverfilmung „Krabat“ bekannt geworden, anschließend hat er die Beziehungskomödie „Coming In“ (2014, auch mit Ullmann) gedreht. Dass er auch anders kann, haben ein sehenswerter „Polizeiruf“ aus München („Und vergib uns unsere Schuld“, 2016) sowie der fesselnde Psychothriller „Sanft schläft der Tod“ (2017) gezeigt. Ähnliches gilt für den Autor Norbert Eberlein, der seit vielen Jahren für die ARD-Vorabendserie „Großstadtrevier“ schreibt; eine seiner besten Arbeiten war der düstere Sat-1-Mehrteiler „Blackout“ (2006), mit dem Eberlein und der Sender ihrer Zeit ähnlich weit voraus waren wie vier Jahre später die ARD mit der Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ von Rolf Basedow und Dominik Graf. Was den klassischen Fernsehzuschauer an „Beat“ stören könnte, ist die elliptische Erzählweise: Viele Handlungsstränge enden scheinbar im Nichts, weil sie erst in der nächsten oder gar übernächsten Folge wieder aufgegriffen werden; manchmal schleicht Jasper bloß wie ein Untoter im Hintergrund durchs Bild. Andererseits weckt diese Erzählweise natürlich die Neugier: Was hat es mit diesem befremdlichen jungen Mann auf sich, welche Beziehung hat er zum deutschen ESI-Chef, der ihm eine Art väterlicher Freund ist, und vor allem: Was hat das alles mit der Jagd des ESI auf Vossberg zu tun? Frauen, darunter Karoline Herfurth als Beats „Führungsoffizierin“ beim ESI, spielen in „Beat“ übrigens nur Nebenrollen. Rätselhafteste weibliche Figur ist eine düstere Killerin (Anna Bederke), die als böser Engel durch die Serie huscht und die Ebenen miteinander verbindet. Die Lakonie, mit der Kreuzpaintner diese Momente inszeniert, ist viel eindrucksvoller als einige prätentiöse Szenen, in denen sich die Serie mit Sex- und Kokspartys allzu offensichtlich vom klassischen TV abheben soll; von den gelegentlichen Gewaltexplosionen ganz zu schweigen. Zwischendurch ist „Beat“ allerdings auch mal ganz normales gutes Serienfernsehen.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Serie & Mehrteiler

Amazon Prime Video

Mit Jannis Niewöhner, Karoline Herfurth, Christian Berkel, Alexander Fehling, Kostja Ullmann, Hanno Koffler, Anna Bederke, Waldemar Kobus, Karl Markovics, Nina Gummich, Claudia Michelsen, Gudrun Ritter

Kamera: Philipp Haberlandt

Szenenbild: Silke Buhr

Kostüm: Gioia Raspé, Manfred Schneider

Schnitt: Johannes Hubrich, Alex Murygin

Musik: Ben Lukas Boysen, Paul Emmerich, Marcel Dettmann

Produktionsfirma: Hellinger/Doll Filmproduktion, Pantaleon Films, Warner Bros. ITVP Deutschland

Produktion: Christopher Doll, Lothar Hellinger

Drehbuch: Norbert Eberlein

Regie: Marco Kreuzpaintner

EA: 09.11.2018 10:00 Uhr | Amazon Prime Video

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach