Baron Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen hat schon einmal bessere Tage gesehen. Es bleiben ihm allein die Geschichten – vom Ritt auf der Kanonenkugel, mit dem er die Osmanen vertrieb, oder von seiner Liebe zur Zarin Katharina von Petersburg, die der ewige Abenteurer seiner Freiheit wegen einst verließ. In Gasthäusern erzählt er seine Geschichten, wird bestaunt, bespöttelt, muss sich Kost und Logis ergaunern. Erst die kleine Frieda, die sich den vermeintlichen Lügenbaron als Ziehvater ausgeguckt hat, entfacht in Münchhausen wieder den alten Abenteuergeist. Für das Waisenkind, das vorgibt, zu seiner Mutter nach St. Petersburg zu wollen, nimmt es der Baron mit einer Horde zahnloser Piraten auf, lässt sich von einem wilden Entenschwarm davontragen, von der schönen, selbstbewussten Landadeligen Constanze von Hellberg kurzzeitig wieder auf die Erde holen, bevor er und Frieda dem Mann im Mond einen Besuch abstatten. Nach einigen Umwegen erreichen sie endlich St. Petersburg, wo die eifersüchtige Katharina Münchhausen in Beschlag nimmt und das Mädchen entführen und ins Osmanische Reich zum aggressiven Sultan abschieben lässt. Der Baron entflieht das zweite Mal aus seinem goldenen Käfig, um seine „Tochter“ aus der Gefangenschaft des Sultans zu befreien. Ihm treu zu Diensten der stärkste und der schnellste Mann der Welt; außerdem liebevoll unterstützt von seiner Auserwählten Constanze.
Foto: SWR / Stephanie Kulbach
„Baron Münchhausen“ passt sich stimmig ein ins Weihnachtsfeiertagsprogramm der ARD. Nach den Märchenfilmen der Gebrüder Grimm darf Jan Josef Liefers die berühmten Geschichten des Lügenbarons in neuem Gewand und absolut familientauglich zum Besten geben. „Bisher war Münchhausen immer ein tollkühner Kerl, der – von schönen Frauen, gutem Wein und der eigenen Tollkühnheit mal abgesehen – keinerlei Schwächen zeigte“, betont Drehbuchautor Marc O. Seng. Da selbst die stärksten Helden aber erst dank ihrer menschlichen Schwächen einem ans Herz wachsen, wurde ihm ein Kind an die Seite gestellt, das nicht nur die Kinder als Zuschauerschaft abholen soll, sondern das auch eine Schwäche in Münchhausen offenbart: die selbst gewählte Beziehungslosigkeit des Abenteurers. Seng: „Ein Kind bedeutet all das, was der freiheitsliebende Lügenbaron verabscheut: feste Regeln, Verlässlichkeit und Verantwortung.“ Der Weltläufige wird quasi in den Mikrokosmos Familie versetzt. Doch dem jungen Publikum zuliebe wird der anfangs noch allzu selbstverliebte Aufschneider schneller als erwartet geläutert. Auch mit der Dame seines Herzens verkehrt der Lügenbaron bald auf Augenhöhe, ehrlich und in ehrenwerter Absicht.
Auch, was das filmische Handwerk angeht, kann sich „Baron Münchhausen“ sehen lassen. Die Dramaturgie ist wirkungsvoll. Im ersten Teil errettet das Kind den heruntergekommenen Abenteurer und die Geschichte spinnt ein enges Band um die beiden. Trotz humorvoller Zwischentöne und Sprachwitz entsteht eine echte Nähe zwischen Ziehvater und Kind. Im zweiten Teil muss Münchhausen dann sein größtes Abenteuer bestehen, um Frieda zu retten – und mit ihr natürlich auch sich selbst. Münchhausen-Mythos trifft auf Vater-Kind-Mythos, wie er von Chaplins „The Kid“ über „Der kleine Lord“ bis hin zu „Paper Moon“ immer wieder zu Herzen geht. Die Mischung aus Augenzwinkern und Gefühl funktioniert überraschend gut. Liefers ist – allein schon von der Optik her – beim Name Münchhausen sicher der erste, der einem einfällt. Umso besser, dass er seinen Helden weniger zur Karikatur macht, als zu erwarten war. Auch Jessica Schwarz macht sich erwartungsgemäß gut in den prachtvollen Roben vergangener Zeiten. Und die Zwillinge Helen und Isabelle Ottmann helfen tatkräftig mit, dass die Erwachsenen-Kind-Beziehung in befremdlichem Ambiente etwas Selbstverständliches bekommt und diese Abenteuerreise nicht als medialer Budenzauber enttarnt wird.
Passend zum märchenhaften Genre besitzt die Tricktechnik charmant altmodischen Flair. Gedreht wurde im Ludwigsburger Schloss und in Seeburg bei Berlin, das Leipziger Stadtbad wurde zum Sultanspalast, die Burg Burghausen zur Festungsruine der Piraten und die Mond-Szenerie fand man im brandenburgischen Braunkohletagebau von Welzow. Die Farben sind extrem bunt, telegene Phantasie-Totalen (Sternenhimmel, Mondlandschaft, Wald) wechseln mit eindringlichen Großaufnahmen der Helden. Die Kampfszenen sind auf Klamauk gebürstet, die feinen Damen haben die Koketterie für sich gepachtet, und die letzte halbe Stunde wirkt wie eine Maskerade aus 1001 Nacht – angereichert mit Situationskomik à la „Charleys Tante“. 90 Minuten sind eigentlich zu lang für die Aufmerksamkeit kleiner Kinder, die Aneinanderreihung verschiedener Abenteuer und das Setzen auf kurze Spannungsbögen macht die Filme aber auch für diese Zielgruppe goutierbar und „Baron Münchhausen“ somit auch dramaturgisch zum veritablen Familienprogramm. (Text-Stand: 30.11.2012)
Foto: SWR / Stephanie Kulbach