Die Musik ist überall, dafür sorgt schon das prägnante Szenenbild von Pierre Pfundt. Notenblätter, mit Wäscheklammern auf quer durch die Räume gespannten Schnüren befestigt, hängen verteilt in der gesamten Leipziger Wohnung der Familie Bach. Und nahezu alle Familienmitglieder beteiligen sich daran, dass das Werk so kurz vor Weihnachten des Jahres 1734 noch fertig wird, kritzeln die Partitur aufs Notenpapier, kopieren und beschriften mit Tinte und Feder. Auch der Meister selbst ist pausenlos beschäftigt, komponiert in seinem Arbeitszimmer am Piano, probiert an der Orgel in der Kirche und schreibt auch dann noch weiter an seinem neuen Werk, wenn er in den Gemächern des Stadtrats darauf wartet, vorgelassen zu werden. Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“, das seit Mitte des 20. Jahrhunderts wieder zu den häufig gespielten Klassikern der Barockmusik zählt, entstand im Wettlauf mit der Zeit und gegen den Widerstand eines verstaubten Zeitgeists – jedenfalls in der Version dieses „historischen Event-Familienfilms“, wie die ARD den gemeinsam mit dem ORF in Auftrag gebenen Fernsehfilm „Bach – Ein Weihnachtswunder“ bezeichnet. Und siehe da: Wenn am Ende der Thomanerchor die voll besetzte Kirche rockt, dann wirkt die geistliche Musik aus dem 18. Jahrhundert gar nicht mehr so fern und veraltet.
Auch wer mit Religion im Allgemeinen und Barockmusik im Besonderen eher wenig anfangen kann, wird mit dieser vorweihnachtlichen Reminiszenz an den Komponisten Johann Sebastian Bach (1685-1750) gut unterhalten. An die Klasse des ebenfalls von Drehbuch-Autor Christian Schnalke geschriebenen Films „Katharina Luther“ reicht diese Produktion nicht ganz heran, aber von einer vorbehaltlosen Lobhudelei des Meisters und einem langweiligen Historienschinken ist die Inszenierung von Florian Baxmeyer weit entfernt. Wieder wurde die männliche Hauptrolle mit dem viel beschäftigten Devid Striesow besetzt, der den Bach nicht ganz so derb, zerrissen und getrieben wie einst den Martin Luther spielt, aber ähnlich stur und allein seiner Mission verpflichtet. „Worte erreichen doch die Menschen nicht“, schleudert Bach zornig den Politikern entgegen, die seine Werke für eine eitle Sünde halten, weil er sich mit seiner für den Gottesdienst geschriebenen Musik über die Predigt erheben wolle. Einfache Kantaten zum Mitsingen soll er komponieren, doch Bach schafft in fiebriger Eile ein komplexes Oratorium für gleich sechs Gottesdienste. Stadtrat Christian Stieglitz (Thorsten Merten) verbietet folgerichtig die Aufführung, und zum Ausstattungs-Vergnügen dieses historischen Kostümfilms zählt, dass Merten hier mal dank der Perücke eine üppigere Haarpracht mit imposanten Locken tragen darf als Christina Grosse, die die Rolle von Stieglitz‘ Ehefrau Erdmuthe übernommen hat (Kostüm: Veronika Albert).
„Von Johann Sebastian Bach und seiner Familie ist nur sehr wenig bekannt. Wie war das Verhältnis der Eheleute Anna Magdalena und J. S. Bach? Wie stark hat die beiden der Tod von sieben ihrer Kinder traumatisiert? Wie sah das Familienleben im Hause Bach aus? Mit Hilfe der bekannten Quellen und einer umfassenden Beratung durch Historiker haben wir uns diesen Fragen genähert. Letztendlich war ich aber überzeugt, dass ein Mensch, der solch emotionale und zutiefst bewegende Musik wie Bach erschaffen kann, auch selbst ein hochsensibles Wesen sein muss. Aus diesem Grund fand ich es besonders reizvoll, sich dieser Figur über seine Frau Anna Magdalena zu nähern, die als hochtalentierte Sängerin eben nicht nur als seine Lebenspartnerin spannend ist, sondern auch als Musikerin.“ (Florian Baxmeyer, Regie)
Bach war nicht nur musikalisch, sondern auch als Erzeuger überaus produktiv. Von den insgesamt 20 Kindern, von denen die Hälfte jedoch bereits in den ersten fünf Lebensjahren starb, treten hier lediglich vier in bedeutenden, nahezu gleichwertigen Nebenrollen in Erscheinung. Wenn sich die vorzügliche Kamera von Sten Mende auf die Fersen des geistig beeinträchtigten Gottfried (German von Beug) begibt, kommt Bewegung ins historische Leipziger Zeitbild, das mit dem Treiben auf dem Platz vor dem Bach’schen Haus recht lebendig wirkt. Und als der Zehnjährige vom wütenden Vater aus der Stube geschickt wird, reißt er aus und sorgt für zusätzliche Aufregung. Auch ist Gottfried ein musikalischer Schlüsselmoment vorbehalten. Die zwei Jahre jüngere Elisabeth (Lotta Herzog) ist die pfiffige, selbstständige Tochter, die den Erwerb des Weihnachtsbaums in die eigene Hand nimmt und dabei auch die frechen Jungs der Stadt einzuspannen weiß. Denn Thomaner und Nicolaier sind nicht nur Leipziger Knabenchöre, sondern auch sich gegenseitig bekämpfende Banden. Im Gegensatz zu „Katharina Luther“ ist „Bach – Ein Weihnachtswunder“ auch ein klassischer Familienfilm für die Adventszeit.
Was nicht heißt, dass hier ausschließlich historischer Kitsch im wohligen Kerzenschein erblühen würde. Neben den Reibereien mit dem Stadtrat steht ein Vater-Sohn-Konflikt im Mittelpunkt. Johann Sebastian zürnt seinem zweitältesten Sohn, weil der sein Talent angeblich als „Hochzeits-Musicus“ verschleudere. Als Carl Philipp Emanuel (Ludwig Simon), der in Frankfurt/Oder Jura studiert und nur noch nebenbei musiziert, überraschend kurz vor Weihnachten in Leipzig erscheint, ist der Vater mäßig begeistert. Und da beide temperamentvoll und streitlustig sind, geraten sie häufig aneinander. Striesow und Simon, auch im wahren Leben Vater und Sohn, schenken sich nichts, aber die vorweihnachtliche Versöhnung ist in einem solchen Film natürlich keine Überraschung. Von Johann Sebastian gleich bei der Ankunft herzlich umarmt wird dagegen der älteste Sohn Friedemann (Dominic Marcus Singer), der bereits als Organist in einer Dresdner Kirche angestellt war und gute Kontakte zum kurfürstlichen Hof pflegte.
Das eigentliche Zentrum des Films ist allerdings die von Verena Altenberger gespielte zweite Ehefrau Bachs, Anna Magdalena, die auch in der Realität eine außergewöhnliche Persönlichkeit gewesen sein muss. Nicht nur weil sie zu Weihnachten 1734 als 31-Jährige bereits zehn Kinder zur Welt gebracht hatte und zum elften Mal schwanger war, sondern auch weil sie selbst als Sängerin eine eigene erfolgreiche Karriere vorzuweisen hatte. Im Film überbringt Friedemann ein Angebot des Dresdner Hofs, Anna Magdalena als Hofsängerin anzustellen, während ihr Mann Johann Sebastian den erhofften Posten als Hofkompositeur wieder nicht erhält. Altenberger spielt mit Hingabe und der ihr eigenen herzerwärmenden Ausstrahlung diese erstaunliche Frau: als liebevolle wie als schmerzerfüllte Mutter, die an den Gräbern ihrer früh verstorbenen sieben Kinder verzweifelt in den Schnee sinkt, als um die Familien-Existenz besorgte Managerin ihres kompromisslosen Mannes und als musikalische Partnerin auf Augenhöhe, die als Erste die Soli des Weihnachtsoratoriums zu Gehör bringt. Die Musik ist hier wirklich überall, aber weder als aufdringliche Lektion in Sachen Klassik noch als neuzeitliche Vergewaltigung. Dafür sorgt Komponistin Martina Eisenreich, die die Partituren aus dem Bach’schen Zeitalter im Filmscore behutsam um eigene Akzente ergänzt, ohne die Barockmusik mit den Mitteln der Moderne übertrumpfen zu wollen.
2 Antworten
Ein wirklich wunderschöner Film, tolle Schauspieler, hervorragende Filmmusik, Kostüme und Ambiente stimmen.
Eigentlich alles perfekt, hätte der Weihnachtsfilm der nächsten Jahre werden können, wäre da nicht ein dickes Problem.
Historisch stimmt hier nahezu nichts, 90% der Geschichte ist reine Fiktion, das eigentlich einzige was wirklich stimmt ist, daß das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach stammt und zum Weihnachtsfest 1734/35 uraufgeführt wurde, der Rest nahezu alles „Fake-News“.
Sehr schade, eine verspielte Chance. Die beteiligte beratende Musikwissenschaftlerin hätte einschreiten sollen oder hat sie keine Ahnung!
Selbst wenn man kein Biotopic erstellen will, sollten die wesentlichen dann doch Fakten stimmen!
Emotionen erzeugte nur Bachs großartige Musik. Grob im Gegensatz dazu stand leider das dramaturgische Fiasko des über 88 Minuten in ewig gleichen Kulissen dahinplätschernden Films, der es zu keiner Sekunde schafft, zu bewegen. Ein Weihnachtsklassiker wird dieser stark enttäuschende Film sicher nicht. Zu Weihnachten wird der Film zukünftig allenfalls zu gebrauchen sein, wenn wegen zu üppiger Mahlzeiten Einschlafhilfen benötigt werden.